6652084-1959_07_07.jpg
Digital In Arbeit

Kaugummi aus Peking

Werbung
Werbung
Werbung

Bis zu den bekannten Ereignissen in Polen und Ungarn hat das ferne Rotchina in der Europapolitik des Ostblockes keine besondere Rolle gespielt. Daß die vorläufig noch zweite kommunistische Großmacht mit dieser Lage nicht sehr einverstanden war, konnte aus verschiedenen Anzeichen angenommen werden. So wurden zum Beispiel -in Peking die ersten Erscheinungen der Auflehnung der europäischen Satellitenstaaten gegen die bedrückende Sowjetherrschaft mit einem gewissen Wohlwollen aufgenommen. Am Parteikongreß der chinesischen Kommunisten — im September 1956 — wurde der polnische Delegierte Ochab mit allen Ehren begrüßt, obwohl man zu dieser Zeit in Polen und Ungarn schon offen gegen den sowjetischen Einfluß warb. Auch die Erklärung der Colombostaaten und die berühmte Rede Marschall Titos in Pola wurden in der chinesischen Presse veröffentlicht — in beiden Fällen handelte es sich um eine Verurteilung der sowjetischen Intervention in Ungarn …

Dieses Verhalten hat natürlich den sowjetfeindlichen Strömungen in den Satellitenländern starken Auftrieb gegeben, was in Moskau besorgt registriert wurde. So kann es gewiß nur auf russische Intervention zurückzuführen sein, daß am 28. Dezember 1956 die chinesische Parteipresse sich schlagartig umstellte und über Nacht die Freiheitsbewegungen in den europäischen Volksdemokratien verurteilte und als die neue Erscheinungsform des zeitgenössischen Revisionismus brandmarkte. Anscheinend hatte Moskau mit der Möglichkeit des Zerfalles des ganzen Satellitengürtels argumentiert. Das aber hätte letzten Endes auch den erfolgreichen Abschluß der chinesischen Fünfjahrpläne gefährdet, da in diesen Plänen die zahlreichen Lieferungen der europäischen Satelliten eine nicht unbedeutende Rolle spielen.

Im Mittelpunkt des Interesses des Pekinger Regimes an den Satelliten steht die wirtschaftliche Kapazität fieser Länder, besonders der Tschechoslowakei und Ungarns. Volkswirtschaftlich gesehen sind diese Beziehungen eigentlich sehr einseitig, da sich die chinesischen Gegenleistungen auf eine eher uninteressante Warenliste beschränken. So liefern die Chinesen an Ungarn zwar gewisse Rohmaterialien, wie farbige Metalle, Wolfram, Silber, Quecksilber, chemikalische Grundstoffe, Oele, Baumwolle, Schafwolle, Seide, Textilmaschinen, Papier, Asbest usw., aber nur in sehr beschränktem Ausmaß. Ein Teil dieser Lieferungen ist beispielsweise für Ungarn völlig überflüssig, da Ungarn Textilmaschinen u. a. selber exportieren kann und der ganze Handel mit dem Nahen Osten ohnehin gegen Baumwollkompen- sationen erfolgt, so daß die ungarischen Außenhandelsstellen die größte Mühe haben, diese Gegenleistungen aus Aegypten und dem Iran auf den westeuropäischen Märkten zu Dumpingpreisen anzubringen.

Eine ungarische Handelsdelegation, die Anfang Dezember nach Peking gefahren war, konnte für den Import nichts Besseres finden als Kaugummi, Pfeifentabak, Füllfedertinte, Zahnbürsten, Kugelschreiber, Reißverschlüsse, Kachelwaren, Geschenkartikel, Seidenwaren für Unterwäsche, Getränke, wie China-Cola, Ananas- Juice und Südfrüchte. Man importiert Kaugummi, obwohl kein Bedarf vorhanden ist, abgesehen davon, daß die kommunistische Propaganda bis heute den Kaugummi als eine Nachäfferei der verwerflichen Manieren imperialistischer Länder verbellt. Ebenso überflüssig ist die Einfuhr von Pfeifentabak, denn man mischt in Ungarn die Produkte der Tabakregie mit bal- kanischen Tabaksorten und hat die größten Schwierigkeiten, den Ueberschuß der eigenen Produktion zu verkaufen. Auch für Zahnbürsten gibt es mehrere Fabriken in Westungarn. In den staatlichen Kleidergeschäften wird nun auch die Seidenunterwäsche prangen, um den Budapestbesuchern zu beweisen, was alles man in der Volksdemokratie kaufen kann. Das Volk wird diese Luxusartikel gewiß nicht kaufen — es ist heilfroh, wenn es sich die billigere Baumwoll- wäsche leisten kann. Dasselbe gilt auch für die Textilmaschinen, von denen aus Propagandagründen einige Prachtexemplare in den Textilfabriken von Steinamanger und Raab aufgestellt wurden. Der Regierung aber bleibt nichts anderes übrig, als alle diese „großartigen Erzeugnisse der brüderlichen Volksdemokratien” China, Bulgarien oder Rumänien — wieder auszuführen, so daß die ungarischen Warenlisten zum Beispiel eine Fülle von Südfrüchten enthalten, obwohl im Lande selbst diese Waren nur in ungenügender Quantität und übermäßig teuer zu bekommen sind. (1 kg Orangen = 36 Forints X kg Fleisch F= 32 Forint.)

Gegen diese kuriose Warenliste liefert Ungarn lauter hochwertige Industrieprodukte. In Peking, Schanghai, Nanking und Kwantung verkehren zahlreiche Autobusse, die in den ungarischen „Ikarus”-Werken hergestelh wurden. In den Fabriken von Charbin, Ansan oder Senjang trifft man auf die verschiedensten Werkzeugmaschinen mit der Inschrift „Csepel” oder „Mavag”, zwei bekannter Fabriken in Ungarn. Die Telephonzentralen von Kanton und Wuhan wurden bis zür kleinsten Schraube aus der Budapester Fabrik „Belojanis” importiert. Ueber- all in China stößt man auf Lastkraftwagen der „CsepeT’-Autofabrik (eine Steyr-Lizenz), ungarische Fahrräder, Traktoren, Raupenschlepper, Präzisionsmaschinen, elektrische Einrichtungen, elektronische Meßgeräte usw. Die Geologen, die im Sungarital, im Ordos und in der inneren Mongolei nach Oel schürfen, sind größtenteils mit Instrumenten ungarischer Herkunft ausgestattet. Aber nicht nur einzelne Industrieprodukte, sondern ganze Fabrikeinrichtungen werden nach China geliefert. Die Anlagen der Glasröhrenfabrik zu Nanking stammen aus den Werken „Egyesült Izzo” in Budapest. Die Maschinen verschiedener Wasserkraftwerke, wie zum Beispiel die des Kraftwerkes in Vang-Ting am Jangtsefluß, sind ebenfalls aus Ungarn geliefert worden. Laut den letzten Abschlüssen der staatlichen Außenhandelsstellen wird Un- gä¥H ‘ad”‘Chiha’ eifdrꔑ3000 iCaupenšcKIej er,’’. 16 Diesellokomotiven ä 600 PS, ferner einė größere Anzahl von Traktoren liefern.

Dasselbe wie für Ungarn gilt auch für die Tschechoslowakei, die sich an der Industrialisierung Chinas ebenfalls maßgeblich beteiligt. Auch Prag liefert nicht nur Einzelstücke, sondern ganze Fabrikeinrichtungen. Tschechische Facharbeiter und Techniker montieren in China die gelieferten Anlagen und lernen die einheimischen Arbeitskräfte an. Die chinesische Rüstungsindustrie wird zum großen Teil von den Spezialisten der Skoda-Werke und der Brünner Waffenfabrik ausgebaut.

Natürlich spielt sich dieser rege wirtschaftliche Kontakt nicht gegen den Willen Moskaus ab. Im Gegenteil, es waren eben die Russen, die die mitteleuropäischen Satellitenstaaten zu diesen Verlustgeschäften gezwungen haben. Bekanntlich haben die Sowjets China bedeutende Wirtschaftshilfe versprochen, und den bedeutendsten Anteil wälzten sie eben dann auf die wirtschaftlich fähigeren Volksdemokratien ab, genau wie bei dem Abkommen mit Aegypten über den Bau des Assuandammes — auch dort werden einen bestimmten Teil der von den Russen übernommenen Lieferungen die Ostblockstaaten tätigen. Natürlich wurden die Satellitenstaaten vorher nicht befragt, ob sie sich an diesen russischen Verpflichtungen beteiligen wollten. Moskau hat von ihnen ganz unabhängig gehandelt und nachher die „gleichberechtigten” Verbündeten angewiesen, an der chinesischen Industrialisierung und an dem Bau des Assuandammes mitzuhelfen.

Die Russen haben also gegen diese wirtschaftlichen Verbindungen im Grunde nichts einzuwenden. Was ihnen aber ganz und gar nicht paßt, das ist die Tendenz Pekings, sich auch politisch in die europäischen Angelegetiheiten einzumischen. Daher kommt es dann in den zwei großen kommunistischen Staaten zu solchen Widersprüchen w’e im Falle Jugoslawien, wo zur selben Zeit, als eine russische Delegation in Belgrad mit den Jugoslawen gemeinsame Erklärungen veröffentlichte, das jugoslawische Staatsoberhaupt von den Chinesen als ein imperialistischer Agent und ein „Strohmann” des Außenministers-Dulles beschimpft wurde…

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung