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Kein Dank für Blank

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Zu Beginn des Jahres 1950 hatte die Regierung Adenauer eine umfassende Sozialreform angekündigt, welche die Wandlungen der deutschen Gesellschaftsstruktur seit Bismarcks Zeiten berücksichtigen sollte. Das Kernstück dieser Reform bildete die 1957 verwirklichte Einführung einer dynamischen, dem Wert des Sozialproduktes folgenden Rente für rund sieben Millionen Rentenempfänger. Die nächste Aufgabe sollte dann eine zeitgemäße Neugestaltung der Krankenversicherung bilden, die heute 45 Millionen Menschen, also volle drei Viertel der Gesamtbevölkerung der Deutschen Bundesrepublik, umfaßt. Eine moderne Gesundheitsvorsorge mit Leistungen zur Erhaltung der Gesundheit sollte eingeführt werden, und nicht mehr wie bisher sollten die :Grundbegriffe Krankheit und Arbeits-; Unfähigkeit im Vordergrund stehen. Und man hätte wohl keinen günsti- ; geren Zeitpunkt für dieses große Werk i wählen können als den jetzigen, wo 1 als glückliche Folge einer einzigartig : prosperierenden Wirtschaft Geldmittel ] in reichem Maße zur Verfügung i standen.

Aber was geschah wirklich? Am : 18. Dezember 1958 gab Bundesarbeits- ! minister Theodor Blank, dem sicher- lieh nicht der gute Wille, aber doch der große Schwung echter sozialer Be- 1 geisterung fehlt, den Gesetzesentwurf ( zur Neuregelung des Rechtes der so- s zialen Krankenversicherung zur Dis- j kussion außerhalb des parlamentari- 1 sehen Raumes frei. In den Jahren seit- i her sind die darin enthaltenen Leit- ; gedanken immer mehr zerredet wor- ; den, immer heftiger wurde der Wider- spruch gegen sie, und, von seinen eigenen Parteifreunden in der CDU 1 CSU - Bundestagsfraktion verlassen, i stand Blank schließlich allein da, bis 1 dann schließlich das bittere Ende kam; j In einer Fraktionssitzung am 6. Fe- , biuar d. „ unter Adenauers Vorsitz, hat die CDUCSU die Reform der i Krankenversicherung für diese Legis- ( laturperiode endgültig abgeschrieben 1 und dafür ein kleines sozialpolitisches i Programm aufgestellt, dessen Annahme mit den Stimmen der Regierungspar- teien im Bundestag bereits sicher- gestellt ist.i Alle gegen Blank, Wie konnte es dazu kommen? Blank ( glaubte, es sei das Gebot der Stunde, j eine konsequente und dabei empfind- i liehe Selbstbeteiligung der Versicher- ten an jeder ärztlichen Leistung durch- ; zuführen, um die finanzielle Aus- ; höhlung der Krankenkassen zu ver- :hindern, vergaß aber dabei, daß die Mietenerhöhungen nach dem „Lückegesetz“ die Arbeitnehmer schon an und für sich zusätzlich belasteten. So stieß er zunächst auf eine geschlossene Front der Gewerkschaften; am 18. Februar des Vorjahres demonstrierten in Frankfurt nicht weniger als 15.000 Arbeiter gegen den Gesetzentwurf. Er machte sich aber auch die Krankenkassen und Krankenhausverwaltungen zu Feinden. Was ihn aber noch viel mehr traf, war der Umstand, daß sich die Ärzteschaft mit größter Energie gegen die Selbstbeteiligung, die eine Barriere zwischen Arzt und Patient aufrichte, aber auch gegen das im Entwurf enthaltene Arztrecht und die geplante Gebührenordnung wandte. Wer ihre Manifestation in der Paulskirche zu Frankfurt am 10. Februar 1960 gesehen hatte, an der 158 Delegierte teilnahmen, wer eines der 10 Millionen Flugblätter las, welche die Ärzte im gesamten Bundesgebiet verteilen ließen („dieser Unsinn darf nicht Gesetz werden"), der mußte sich sagen, Blank werde hier der Verlierer sein. Man drohte sogar mit einem ‘Ärztestreik, und in Hessen wurde im Dezember 1959 eine „Schicksalsgemeinschaft hessischer Ärzte“ gegründet, die das einzige Ziel hatte, den Gesetzentwurf mit allen Mitteln zu Fall zu bringen. Bevor Adenauer im Vorjahr Cadenabbia aufsuchte, versuchte er selbst noch in den Streit einzugreifen. Aber auch er, der bewährte Vermittler, vermochte die beiden Streitteile nicht zu versöhnen; die Beziehungen zwischen den Ärzten und dem Bundesarbeitsministerium erreichten einen bis dahin nie gekannten Tiefstand.

Schließlich forderte zu Beginn der vorjährigen Herbstsession des Bundestages der Vorsitzende des Gesund- heitsaus chusses, Dr. Stammberger, Parlament und Regierung auf, „die völlig verfahrenen Beratungen des Gesetzes über die Krankenversiche- rungsreform im Stadium des beginnenden Bundestagswahlkampfes (die Wahlen finden im September dieses Jahres statt) abzubrechen".

Die SPD hatte die längste Zeit über dem Streit zwischen den Ärzten und dem Bundesarbeitsminister ruhig zugesehen, am 21. Juni 1960 aber legte sie, von dem Standpunkt ausgehend, daß dadurch die so dringend notwendige Verbesserung des Leistungsrechtes in der Krankenversicherung nicht länger binausgezögert werden dürfe, und wohl auch deshalb, um damit einen zugkräftigen Wahlschlager in die Hand zu bekommen, einen von ihrem Sozialexperten, Prof. Schellenberg.verfaßten Entwurf eines Vorschalte- gesetzes zum Krankenversicherungs- Neuregelungsgesetz vor.

Der sozialpolitische Bundestagsausschuß seinerseits beschloß dann noch am 11. Jänner dieses Jahres die Einführung einer Krankenscheingebühr, vertagte dann aber, wie bereits eingangs erwähnt, den gesamten Reformkomplex bis auf die Zeit nach den Septemberwahlen. Der Bundestag wäre auch gar nicht imstande gewesen, seine Arbeit bis zum Ende des Legislaturperiode zu beenden, denn von den 400 Paragraphen des Gesetzentwurfes waren erst 24 durchberaten worden. Und hätte man diq Reform doch noch bezwungen, dann wäre sie noch reformbedürftiger gewesen als das bisherige Krankenversicherungsgesetz aus der Bismarck-Zeit, und der neue Bundestag hätte dann erst recht die Sanierung durchführen müssen. So war es schließlich das Beste, die Waffen’ zu strecken.

Ersatzprogramm

Die Regierung Adenauer hat dafür im Bundestag zunächst eine Novelle zum Gesetz über die Lohnfortzahlung an Arbeitnehmer im Krankheitsfall eingebracht. Mit dieser soll das Krankengeld auf 100 Prozent des Nettolohnes erhöht werden, ferner sollen die beiden Karenztage, für die bisher nur unter bestimmten Voraussetzungen Krankengeld gezahlt wurde, wegfallen. Weiter werden in Hinkunft Krankengeld, Krankenhaus- und -pflegekosten bis zu 78 Wochen gewährt werden; an diese Leistungen wird sich dann sofort, ohne jede Unterbrechung, die Invaliditätsrente anschließen. Mit diesen Maßnahmen hat die Regierung die wichtigsten Gedankengänge aus dem von der SPD eingebrachten Vorschalte- gesetz übernommen. Eine Novelle zum Kindergeldgesetz sieht ab 1. April dieses Jahres die Zahlung von monatlich 25 DM an die zweiten Kinder derjenigen Familien vor, deren Monatseinkommen 550 DM nicht übersteigt. Ab 1963 wird bei der Bundesanstalt für Arbeitslosenvermittlung eine Bundeskinderkasse errichtet werden, auf die dann sowohl die Auszahlung des Kindergeldes als auch der Einzug der Beiträge übergehen soll.

Und Blank? Der Arme hat wirklich Pech; um die Aufstellung der neuen deutschen Bundeswehr hat er sich als Heeresminister unleugbar große Verdienste erworben, als man dann aber so weit war. wieder einmal marschieren zu können, da mußte er dem viel durchschlagskräftigeren Franz Josef Strauß weichen. Und auch mit der Krankenversicherung hat er es doch so gut gemeint und nun alles verschüttet. Aber warum eigentlich arm? Als zweifacher ehemaliger Bundesminister werden sich alle großen deutschen Industriegesellschaften um ihn reißen, stehen ihm doch jene Wege offen, die man in der deutschen Wunderwirtschaft gern und oft beschreitet — oder auch mit Leihwagen befährt.

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