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Kein ernster Konflikt?

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Buenos Aires, im Mai

„Es gibt keinen Konflikt mit der Kirche“, erklärte im November 1954 der argentinische Staatspräsident Perön und verkroch sich samt seiner Regierung hinter das „Volk“, das keine „klerikale Infiltrierung“ in die Volksbewegung dulde noch dulden werde.

Die damals auf Spruchbändern und in Sprechchören von den vom Allgemeinen Gewerkschaftsbund angeführten Arbeitermassen zum Ausdruck gebrachten „Wünsche des Volkes“ nach Abschaffung des Religionsunterrichtes, Einführung der Ehescheidung, Wiedereröffnung der Freudenhäuser, Beschränkung der kirchlichen Handlungen auf das Innere der Gotteshäuser usw. wurden sofort erfüllt.

Um die Jahreswende fehlte es nicht an Versuchen, diesen neuen Kurs der Regierung Perön einerseits dem Auslande durch einen weitangelegten Propagandafeldzug schmackhaft zu machen, anderseits im Lande selbst jede Kritik zu unterdrücken. Diesem Zwecke diente auch die Einstellung von Papierzuteilungen an die' katholische Tageszeitung „El Pueblo“ und die Entziehung der von offizialistischen Banken gewährten Kredite an den katholischen Verlag „Difusiön“, welche Maßnahmen zur Einstellung des „El Pueblo“ führten. Sachliche Kritiken von der Kanzel aus wurden als staatsfeindliche Wühlarbeit und Schmähung der Person des Staatsoberhauptes ausgelegt, und ein Priester nach dem anderen wanderte ins Gefängnis.

Der Feldzug gegen den Religionsunterricht wurde in einen Feldzug gegen das konfessionelle Schulwesen erweitert, indem man die Privatschulen global des Mißbrauches staatlicher Subventionsgelder beschuldigte, jener Gelder, die diesen Schulen auf Grund des Prinzips der Kostenlosigkeit des Unterrichtes für die Besoldung des Lehrpersonals zukamen. Der eigentliche Zweck der eingeleiteten „Untersuchungen“ ist, zunächst die Eltern abzuschrecken, damit sie ihre Kinder nicht mehr in konfessionelle Schulen schicken, schließlich aber, sich der Lehrsäle dieser Institutionen zu bemächtigen, um dem Raummangel der staatlichen Schulen auf billige Art und Weise abzuhelfen.

Die Kampagne zur Förderung der Produktivität des Landes war der geeignetste Vorwand, die Zahl der Feiertage zu kürzen. Die Zahl der Staatsfeiertage wurde von sieben auf sechs herabgesetzt, die kirchlichen Feiertage zu „arbeitsfreien Werktagen“ degradiert und insgesamt auf drei gekürzt: neues Jahr, Karfreitag und erster Weihnachtstag. Es gelten demnach die Heiligen Drei Könige, das Fronleichnamsfest, Maria Himmelfahrt, Allerheiligen und Maria Empfängnis als Werktage. Den aus religiösen Gründen noch weiterhin zugelassenen „arbeitsfreien Werktagen“ wurden dann noch der Karnevalsmontag gleichgestellt und der Karnevalsdienstag als solcher neu eingeführt I

Dies geschah alles in einem Lande, dessen Verfassung von 1949 den Unterhalt und die Förderung des römisch-katholischen Glaubens dem Staate und seiner Regierung als Pflicht auferlegt und von der Person des Staatspräsidenten u. a. verlangt, daß er dem römischkatholischen Glauben angehören muß. Den vom neuen argentinischen Regierungskurs ausgelösten Kritiken versuchte man entgegenzutreten, indem man die liberalen Parolen des europäischen 19. Jahrhunderts mit der kommunistischen Sprachregelung vermengte und die Stimmungsmacherei zugunsten der neuen Regierungspolitik gegenüber der Kirche im Lande selbst fortsetzte, dem Ausland dagegen die sporadischen Besprechungen mit dem päpstlichen Nuntius und dem Kardinalprimas von Buenos Aires als Versöhnungsversuche darstellte.

Die Kirche als Feind des Volkes, als Verbündeter der Oligarchie und de's Kapitalismus, als Gegner der nationalen Freiheit und des Fortschrittes überhaupt darzustellen, ist die Hauptaufgabe der vom Staate gelenkten Presse, in der sämtliche Nachrichten katholischen Charakters gedrosselt werden. Nach totalitärem Muster ist es anderseits den Mitgliedern der Peronisrischen Partei zur Pflicht gemacht worden, sich in katholische Organisationen zu infiltrieren, Messen zu besuchen, sogar zur Beichte zu gehen, um aktive Bespitzelung der Priester zu betreiben, alles bei garantierter Straffreiheit für in Kirchen und Versammlungen provozierte Tumulte.

Die Wühlarbeit der Kommunisten, die mit vom Spiel sind, ist auf Schritt und Tritt spürbar. Während in der Presse schließlich das Wort von Trennung von Staat und Kirche als notwendige „Lösung des Konfliktes“ fiel und der argentinische Episkopat in einem kollektiven Hirtenbrief den Standpunkt der Kirche in dieser Frage, mit besonderer Rücksicht auf den konkreten Fall bekanntgab, zettelten kommunistische Elemente einen Anschlag gegen das Gebäude der peronisrischen Hochschülervereini-gung an, der zwar mißlang, aber sofort von der perönistischen Parteipresse katholischen Kreisen in die Schuhe geschoben wurde, obwohl sich die Katholische Aktion sofort in einer Verlautbarung von solchen Methoden distanzierte.

Noch bevor* im Zeichen des Grolles des „werktätigen Volkes“ gegen die „klerikalen Volksfeinde“ die Feier des diesjährigen 1. Mai stattfinden sollte, fand es die peronisrische Mehrheit im Kongreß als angebracht, die neugewählte Hälfte der Kammermitglieder beim Amtsantritt, ohne vorherige Abänderung der Geschäftsordnung, nach einer neuen Eidesformel schwören zu lassen, in der die Schlußworte „Für Gott, Vaterland und die Heiligen Evangelien“ ausgelassen wurden. Die am Vormittag des 1. Mai im Kongreß verlesene Präsidentenbotschaft gipfelte in der Feststellung, daß die Vollmacht dem Kongresse vom einzigen Herrn und Souverän, vom Volke, verliehen wurde. Berücksichtigt man den offiziellen Text, in dem das Wort „Sefior“ (Herr) mit großen Buchstaben geschrieben, also die im Spanischen nur für Gott übliche Schreibweise dieses Hauptwortes angewandt ist, so bedeutet diese Phrase eine direkte Gotteslästerung.

Auf der am Nachmittag des 1. Mai üblichen Arbeitergroßkundgebung, der Perön beiwohnte und die als die weittragendste in der Geschichte Argentiniens angekündigt wurde, ließ man wieder das „Volk“ sprechen. Der Nachfolger des Rotspanienkämpfers Jose Espejo im Amt des Generalsekretärs des argentinischen Allgemeinen Gewerkschaftsbundes, Eduardo Vuletich, zeigte sich würdig seines Vorgängers. Nach einem Wortschwall von Beschimpfungen gegen den politisierenden Klerus brachte er den Wunsch des „Volkes“ zum Ausdruck, Kirche und Staat im Interesse des Friedens im Lande voneinander zu trennen. Präsident Perön hielt anschließend seine- bisher kürzeste Rede bei den Maifeiern und erklärte, die Regierung könne nicht umhin, dem Wunsche des Volkes zu entsprechen.

Nun kam sofort der Stein ins Rollen: die Peronisrische Partei erklärte sich solidarisch mit dem Wunsche des werktätigen Volkes, die Volksvertreter gingen an ihre Arbeit. Zunächst legalisierten sie die Abschaffung des Religionsunterrichtes durch den formellen Widerruf des 1949 erlassenen Gesetzes über dessen Wiedereinführung, stimmten dann der Aufhebung der Steuerfreiheit der Kirche für sämtliche Liegenschaften, Gotteshäuser, Institutionen sowie Einnahmen und Gebühren für kirchliche Handlungen zu. Inzwischen reichte die Regierung die Gesetzesvorlage ein, laut der die verfassunggebende Versammlung das Verhältnis zwischen Kirche und Staat neu formulieren und festlegen soll.

Des ungünstigen Widerhalles in der Weltöffentlichkeit wegen dieses weiteren Schrittes bewußt, unternahm Perön neue Beschwichtigungsversuche. Während man für den Hausgebrauch das staatliche- Rundfunknetz ausschaltete, dafür aber das „private“ — das heißt, die vom Staate an Privatunternehmen verpachteten Sender — einspannte, um, parallel mit der Presse, der Bevölkerung auch auf diese Weise die Trennung von Kirche und Staat als Notwendigkeit beizubringen, bestellte man Inter views mit ausländischen Journalisten, wo man die alte Platte vom November 1954 wieder auflegte. Ilario Fiore vom „II Tempo“ wurde aus Rom nach Buenos Aires geflogen, um die Weltöffentlichkeit mit der neuen Formel Peröns bekannt zu machen: „Es gibt keinen Konflikt zwischen der katholischen Kirche oder Religion und dem Staate; was es gibt, ist ein Konflikt zwischen einem Teil des Klerus und den Organisationen des Volkes.“ Dem römischen Zeitungsmann folgte auf dem Fuße der Direktor der „France Soir“ und der „Paris Presse“, Fierre Lazaroff, der im zweitgenannten Blatte in bezug auf die Meinungsverschiedenheiten zwischen Frankreich und den USA in der Vietnamfrage Anfang Mai schrieb, Kardinal Spell-man sei der Architekt der nordamerikanischen Politik in Indochina und unter dem Drucke des New-Yorker Erzbischofs sei Ngo Dinh Diem zum Ministerpräsidenten ernannt worden. Somit befähigte sich Lazaroff auch zum journalistischen Anwalt der Kirchenpolitik Peröns. Da es — wie Perön behauptet — „gute und schlechte Priester“ gebe, so mußten auch einige „gute“ Priester herhalten. Man fand bisher zwar nur drei „gute“ Priester: der erste, namens Martin Rothamel, sandte ein Protestschreiben an den Erzbischof von La Paz, Msgr. Dr. Abel Isidoro Antezana, gegen dessen Hirtenbrief, in dem die Kirchenpolitik der argentinischen Regierung scharf unter die Lupe genommen wurde; man räumte Rothamel sogar eine Rundfunksendung ein, damit er die „schlechten“ Brüder belehre. Der zweite ist Pedro Badanelli. aus Santa Fe; dieser wandte sich erzürnt an den Kardinal-Erzbischof von Kolumbien, Monsignore Crisanto Luque, in Bogota, wegen dessen „falscher Auslegung des Peronismus“ in einem Hirtenbrief; Badanelli wurde anschließend vom Präsidenten mit einem Empfang beehrt. Den beiden Briefen dieser „guten Priester“ wurde in der peronisrischen Presse große Publizität gegeben und Badanellis Bild mit Perön veröffentlicht. Der dritte „gute“ Priester heißt Lorenzo Francisco Quintal aus Godoy Cruz bei Mendoza; er wurde wegen der Verteidigung der Kirchenpolitik Peröns von seinem Bischof suspendiert und flüchtete nach Buenos Aires unter die Fittiche des Staatspräsidenten. Nach dem vierten „guten Priester“ wird noch eifrig gesucht!

Um sich jedoch das Zeugnis eines guten Christen zu verschaffen, ließ Perön Ende April die sterblichen Reste des im Jahre 1953 verstorbenen ersten russischen orthodoxen Priesters in Argentinien, Konstantin Izrastoff, ausnahmsweise vom Zentralfriedhof in die Krypta der russischen Kirche auf Staatskosten überführen. Vom orthodoxen Patriarchen von Antiochien und dem ganzen Orient, Alexander III., ließ er sich den St.-Peter-und-St.-Paul-Orden verleihen, und wenige Tage später erhielt Perön vom orthodoxen Patriarchen Timotheus I. von Jerusalem den Orden vom Heiligen Grabe, mit dem u. a. der Titel „Fürst der Orthodoxen Kirche“ und „Beschützer der Christenheit“ verbunden ist.

In diesem Zeichen geht die Kirchenpolitik Feröns weiter. Die argentinischen Wähler werden nun zu den Urnen schreiten. Wann und wie, ist noch nicht gewiß. Auf der Tagesordnung ist nicht nur die Verfassungsänderung. Man möchte zunächst in simultanen Wahlen auch die Volksvertretungen für die zu Provinzen erhobenen Nationalterritorien und für drei unter kommissarischer Leitung stehende Provinzen wählen lassen. Da man schon im April 1954 die erst in diesem Jahre fälligen Wahlen der Hälfte der Kongreßmitglieder antizipierte und da 1957 sowieso die Wahl des Präsidenten und Vizepräsidenten fällig wären, das „Volk“ aber am 1. Mai durch den Generalsekretär des Allgemeinen Gewerkschaftsbundes bekanntgab, daß es die Wiederwahl Peröns für die Amtsperiode 1958 bis 1964 wünsche, trägt sich die Regierung mit dem Gedanken, mit einem Schlag — aus Spargründen — vier Fliegen zu schlagen.

Die Wahlaussichten des peronisrischen Regimes sind nicht ungünstig, und die Regierung dürfte es kaum unterlassen, die gegenwärtige Lage auszunützen. Obwohl es in der peronisrischen Bewegung gärt, ist aus formellen Gründen mit einer Spaltung der Bewegung nicht zu rechnen; ebensowenig mit der Gründung einer neuen Partei. Nach den Bestimmungen des Gesetzes über politische Parteien kann eine neugegründete Partei erst zwei Jahre nach ihrer Gründung bzw. Zulassung an den Wahlen teilnehmen. Bei der Spaltung einer Partei gilt die Dissidentengruppe als neue Partei und hat ebenfalls eine Karenz von zwei Jahren. Mit der Vorverlegung der Präsidentenwahlen und Kongreßwahlen würde man somit — für alle Fälle — verhindern, daß eine neue Partei auf den Plan treten könnte.

Obwohl sich das Regime bemüht — aus propagandistisch-taktischen Gründen —, die katholischen Kreise mit der Opposition auf einen Nenner zu bringen, verfolgt heute in kirchenpolitischen Fragen das peronisrische Regime die ehemalige laizistische Politik der gegenwärtigen Opposition, als diese an der Regierung war. So hätte die Kirche, auch im Falle eines Sieges der Opposition, von dieser Seite kaum etwas zu erwarten, zumal die Opposition z. B. in den Fragen des Religionsunterrichtes und der Ehescheidung zwar gegen die Regierungsvorlage stimmte, aber auch eigene Gesetzesvorlagen im gleichen Sinne eingebracht hatte. In der Frage der Trennung von Kirche und Staat ist die Opposition einer Meinung mit der Regierungspartei und wird voraussichtlich nur“ Einwände formeller Natur erheben, ohne sich aus prinzipiellen Gründen dem Plan der Regierung zu widersetzen.

Trübe Wolken ziehen sich am Horizont Argentiniens zusammen. Der katholischen Kirche dürfte ein langer und erbitterter Kampf nicht erspart bleiben.

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