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Kein experimenteller Autor

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„DIE ANGST DES TORMANNS BEIM ELFMETER.“ Von Peter Handke. Frankfurt am Main. 125 Seiten, DM 10.—.

„Die Mordgeschichte beginnt, wie alle Geschichten, als die Fortsetzung einer anderen Geschichte. Die Personen und Dinge, die beschrieben werden, sind schon bekannt aus der anderen Geschichte, die nicht geschrieben, sondern nur stillschweigend vorausgesetzt ist. Wie jede Geschichte, gibt sich auch die Mordgeschichte als die Fortsetzung einer nicht vorhandenen Geschichte.“ Der Einleitungstext, den Peter Handke seinem Hausierer voranstellte, könnte auch für sein letztes Buch „Die Angst des Tormannes beim Elfmeter“ Geltung haben. Klaus Stiller knüpft an den zitierten Text die Überlegung, der Leser solle „die vom Autor umschriebene Story als Fortsetzung verstehen, Fortsetzung eines verheimlichten imaginären Geschehens, dessen alleinige Kenntnis den Autor in die Position des Mehr-wissers emporlüpfen soll“ (Klaus Stiller: „Die Verwandtschaft des Erzählers“ in „Text und Kritik“, Stuttgart 1969). Peter Handke selbst hat einem kurzen Ausschnitt aus „Die Angst des Tormanns beim Elfmeter“, den er als Vorabdruck veröffentlichte, die grundsätzliche Bemerkung vorangestellt: „Es handelt sich also um einen beliebigen Ausschnitt aus der Geschichte, die stilistisch von Anfang bis zu Ende sich nicht verändert.“

Die Erzählung „Die Angst des Tormanns beim Elfmeter“ bereitet — das sei vorausgeschickt — dem konservativen Leser keine Schwierigkeiten. Es wird „hinerzählt“ (Heinz Ludwig Arnold in „Ein Heft über Peter Handke“). Der gewählte Ausschnitt aus einem „imaginären Geschehen“, das nur Handke selbst kennt, wird ausdrücklich als „beliebig“ bezeichnet. Die Tatsache, daß in diesem Ausschnitt ein Mord vorkommt, ändert nichts an dieser „Beliebigkeit“. Die Entdeckung und Entlarvung des Täters ist nicht Sache des Ausschnitts, mit dem wir es zu tun haben. Handke schreibt keine Detektivstory. Der Ausschnitt, der die Entlarvung des Mörders zum Gegenstand haben könnte, wird sorgfältig mit vielen Details vorbereitet. Wir erfahren von den Hinweisen, die der Polizei über den Mörder gegeben wurden, wir beobachten den Mörder bei der Lektüre dieser Hinweise in der Zeitung. Die Komtoinationskette, die ein Sherlock Holmes zur Aufdeckung des Verbrechens benötigt, wird weit fortgesetzt. Die letzte Verbindung jedoch wird nicht hergestellt. Sie ist unwichtig — zumindest für diesen „beliebigen Ausschnitt“. Sie gehört zu dem „verheimlichten imaginären Geschehen“, das der Autor kennt, aber nicht preisgibt, so wie er den Leser nur andeutungsweise über die Vorgeschichte des Fußballers Bloch informiert. Man erfährt nur die Tatsache von Sportreisen nach USA und Brasilien, von denen die Münzen stammen, die dem Extormann zur unrechten Zeit aus der Hose fallen. Nicht die äußeren Erlebnisse des Monteurs und früheren Fußballers Bloch nach seiner vermeintlichen Entlassung — sie steht in deutlicher Parallele zur „vermeintlichen“ Verhaftung des Prokuristen K. im „Prozeß“ — sollen das Interesse des Lesers erregen, sondern ein sprachpsychologischer Vorgang, der sich an ihm und in ihm vollzieht. Lassen wir uns erneut von Peter Handke belehren: „Das Prinzip war, zu zeigen, wie sich jemandem die Gegenstände, die er wahrnimmt, infolge eines Ereignisses (eines Mordes) immer mehr versprachlichen und, indem die Bilder versprachlicht werden, auch zu Geboten und Verboten werden.“ Diese „Versprachlichung von Gegenständen“ wird allerdings vom Leser nicht sogleich erkannt. Er muß sich erst durch minuziöse Details hindurcharbeiten, die den Eindruck eines Realismus erwecken, der an die „Hornissen“ gemahnt und bei Butor seine Entsprechung findet. Aber Peter Handke schreibt keinen „Nouveau Roman“. Bei ihm unterwerfen sich die zu schildernden Ereignisse der normativen Einwirkung der innersprachlichen Logik. „Im einzelnen, in den Sätzen, ist ein Flaubertsches Prinzip beobachtet: der Fortgang der Geschichte richtet sich nicht danach, was im zweiten Satz geschehen könnte, sondern was für ein Satz der zweite Satz nach dem ersten sein müßte: jetzt muß ein Folgesatz kommen, und nach diesem ein Relativsatz, nach diesem notwendig ein Finalsatz. Danach ergibt sich die Geschichte, ohne daß man dieses Prinzip freilich immer beim Lesen eingebläut kriegt, man merkt es wohl, merkt, wie's gemacht wird, folgt aber doch immer der Erzählung; wenn man nur die Machart immer sähe, wär's ja alberne experimentelle Literatur.“ (Peter Handke: „Kommentar zu ,Die Angst des Tormanns beim Elfmeter'.“) Hier haben wir es schwarz auf weiß. Handke kennt keine größere Furcht als die, für einen experimentellen Autor gehalten zu werden. Was er schriebe, wäre dann seinem Selbstverständnis gemäß „alberne Literatur“. Schon in seinem 1967 erschienenen Essay „Ich bin ein Bewohner des Elfenbeinturms“ hat er sich nicht auf die Stammväter der Moderne, sondern auf Kleist, Flaubert, Dostojewski, Faulkner und Robbe-Grillet berufen. „Immer mehr Vehikel fallen weg“, heißt es da, „die Geschichte wird unnötig, das Erfinden wird unnötig, es geht mehr um die Mitteilung von Erfahrungen, sprachlichen und nichtsprachlichen, und dazu ist es nicht mehr nötig, eine Geschichte zu erfinden.“ Vielleicht hat sich die „Methode der Fiktion, die aller sogenannten realistischen Literatur zugrunde liegt“ (Helmut Heißenbüttel), wirklich verbraucht. Vielleicht ist es „nicht mehr nötig, eine Geschichte zu erfinden“, wenn die Sprache aus sich selbst die „aus dem Leben gegriffene Geschichte“ gleichsam als Nebenprodukt ihres wuchernden Wachstums erzeugt.

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