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Kein Friede ohne Gerechtigkeit

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Wonach die Welt sich an der Schwelle eines neuen Jahres stets am meisten sehnt, ist der Friede. Österreich ist ein kleines Land und kann daher nicht in die weltpolitischen Entscheidungen eingreifen. Aber es kann dennoch durch seinen guten Willen und durch sein Beispiel viel für den Frieden tun. Eine Brücke braucht nicht groß zu sein, um zwei einander gegenüberliegende Ufer zu verbinden, sie muß nur fest und folid sein. t

Seit seiner Gründung im Jahre 1945 ist der österreichische Gewerkschaftsbund gewillt, durch seinen ständigen Beitrag zum sozialen Frieden dieses Land und seine Wirtschaft fest und solide zu machen. Opferwilligkeit und Fleiß hundert-tausender arbeitender Menschen haben das schließlich zuwege gebracht. Nun gilt es, unserem wiederaufgebauten Land diese innere Festigkeit zu erhalten. Dazu ist zweierlei vonnöten: Besonnenheit und Gerechtigkeit.

Schlechte Beispiele

So einfach das auch klingen mag, so schwer ist es zu verwirklichen. Angesichts so vieler schlechter Beispiele muß hier der Gewerkschaftsbund eine erzieherische Aufgabe leisten, die manchmal über seine Kräfte zu gehen scheint. Mit welcher gefährlichen Unbesonnenheit wird doch zuweilen versucht, gegen die Arbeiter, Angestellten und Beamten Politik zu machen, die Absichten und Beweggründe ihrer Interessenvertretung zu diskriminieren und berechtigte Forderungen in Frage zu stellen. Da gibt es beispielsweise, wenn auch nur vereinzelt, in Österreich Betriebe, in denen man die Zugehörigkeit zur Gewerkschaft geheimhalten muß, und solche, in denen in gesetzwidriger Weise die Wahl eines Betriebsrates verhindert wird.

Aber auch in großen Dingen trübt die unbesonnene Gehässigkeit die Urteilskraft: die gewerkschaftliche Forderung nach Wirtschaftsplanung und Wirtschaftslenkung wurde immer wieder gleichgesetzt mit dem Wunsch nach dirigistischer Knebelung freier Unternehmerinitiative, sozusagen in Nachahmung der Methoden volksdemokratischer Zwangswirtschaft. Davon aber war von unserer Seite niemals die Rede. Viel eher gelangten Wünsche nach stärkeren Staatseingriffen in die Wirtschaft von Unternehmern die in Schwierigkeiten geraten waren, zum Durchbruch. Schließlich ist der immer unzeitgemäßer werdende Protektionismus mit seinen Zollmauern ein Wunschtraum von Unternehmern, die mit der Zeit nicht ganz mitgekommen sind.

Wie weit ist es übrigens auch her mit der Wahrung des Grundsatzes der Gerechtigkeit? Als ungerecht wird nur empfunden, was einem selber schadet; was einem aber nützt, ist auf jeden Fall gerecht, auch wenn andere dadurch Schaden leiden. Die Frage der Gerechtigkeit ist vor allem eine moralische Frage, niemals aber eine Frage der Zweckmäßigkeit. Ich bin aufrichtig dankbar, daß die „Furche“ als führende katholische Kulturzeitschrift immer wieder ihre mahnende Stimme zugunsten der Gerechtigkeit erhebt und eine offene Ungerechtigkeit, von welcher Seite sie auch kommen mag, nie und nimmer zu dulden gewillt scheint. Darin stimmt sie, wie in so manchen anderen grundlegenden Fragen, mit der Auffassung des Österreichischen Gewerkschaftsbundes und seiner Funktionäre völlig überein. Die soziale Gerechtigkeit ist für uns die Grundlage für den sozialen Frieden, so wie etwa das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit die Grundlage für Demokratie und Freiheit ist.

Gegen jede Ausbeutung

Halten wir daher fest: jegliche Ausbeutung der Arbeitskraft ist eine schwere Ungerechtigkeit. Von kirchlicher Seite ist das wiederholt zum Ausdruck gekommen. Wir wehren uns als Gewerkschafter daher nach wie vor gegen die Ausbeutung, auch wenn sie sich vom Arbeitslohn immer mehr auf die Preisgestaltung verlagert. Vollbeschäftigung und Arbeitskräftemangel haben ja im Verein mit nachdrücklichen gewerkschaftlichen Maßnahmen bewirkt, daß die ausgesprochene Unterentlohnung als Faktor der Ausbeutung zwar nicht verschwunden, aber doch seltener geworden ist. Auf der anderen Seite hat die Vollbeschäftigung mit der damit zusammenhängenden wachsenden Kaufkraft auch zu Preisauftrieben geführt, die nichts anderes als eine Form der Ausbeutung sind.

Im vergangenen Tahr hat daher der Österreichische Gewerkschaftsbund mit ganzer Kraft dahin gewirkt, die immer bedrohlicher werdenden Preisauftriebstendenzen einzudämmen. Ich erinnere an das Stillhalteabkommen, das zwischen dem Präsidenten der Bundeshandelskammer, Ing. Julius Raab, und mir abgeschlossen wurde. Diesem Abkommen war im Jahr zuvor ein Sechspunkteprogramm des Gewerkschaftsbundes vorausgegangen. Es enthielt unter anderem die Forderung nach Änderung des Preisregelungs- und Preistreibereigesetzes sowie des Kartellgesetzes und ebenso die erst im heurigen Jahr bewirkte Milderung der Steuerprogression.

Stabilisierung

Als wichtigstes und wirksamstes Instrument zur Eindämmung der Preisauftriebstendenzen erwies sich auch im Jahre 1962 wieder die Paritätische Kommission für Preis- und Lohnfragen. Im vergangenen Sommer wurde von dieser Kommission eine Vereinbarung beschlossen, die auf ein verstärktes Stillhalten abgestimmt war und, wie sich nunmehr zeigt, auf die österreichische

Wirtschaft eine günstige Auswirkung gehabt hat. Ein absoluter Lohn- und Preisstopp war allerdings niemals vereinbart oder auch nur beabsichtigt, weil ein solches Unterfangen wirklichkeitsfremd wäre. Ein Kraftfahrzeug, das schnell und sicher fahren will, braucht gute Bremsen, wenn man es aber mit abmontierten Rädern aufbockt, dann hat es seinen Sinn als Fahrzeug eingebüßt. Die moderne Wirtschaft ist ja auch nichts Starres, sondern etwas dynamisch Bewegliches. Man muß nur aufpassen, wohin es sich bewegt.

Bei all diesen Bemühungen um die Stabiiisierung hat sich der Österreichische Gewerkschaftsbund niemals der Illusion hingegeben, daß sich allein der Preisauftrieb bekämpfen ließe, bei Lohnforderungen aber freie Bahn bestehen bliebe. Vielmehr hat der ÖGB schon seit Jahren immer wieder die nicht gerade populäre Auffassung vertreten, daß zur Preisstabilisierung die Zurückhaltung bei Lohnforderungen, ja zuweilen auch ein Verzicht darauf, eine unerläßliche Voraussetzung bildet.

Nun ist aber, wie wir wissen, eine Gewerkschaft unter anderem dazu da, dem arbeitenden Menschen einen höheren Lohn zu erringen. Einem oberflächlichen Betrachter mag daher vielleicht die verantwortungsvolle Politik des ÖGB in bezug auf die Zurückhaltung bei Lohnforderungen als abwegig und widersinnig erscheinen. In Wahrheit aber steht gerade dieses Bemühen im besten Einklang mit der ursprünglichen gewerkschaftlichen Zielsetzung. Denn es geht ja heute allen arbeitenden Menschen längst nicht mehr um die nominelle Höhe der Löhne und Gehälter, sondern um den sogenannten Reallohn. Diesen zu sichern und in einem mit dem wirtschaftlichen Wachstum zusammenhängenden Ausmaß weiter zu erhöhen, ist und bleibt eine der Hauptaufgaben der österreichischen Gewerkschaftsbewegung. Hinzu kommt noch selbstverständlich die Sicherung der Arbeitsplätze, insbesondere im Hinblick auf den im Zuge der weiteren europäischen Wirtschaftsintegration unvermeidlichen stärkeren Konkurrenzdruck.

Wirtschaftsplanung und Zusammenarbeit

Im Herbst des vor uns liegenden Jahres wird der Österreichische Gewerkschaftsbund seinen fünften Bundeskongreß abhalten. Die lebenswichtigen Probleme der arbeitenden Bevölkerung und der Gesamtwirtschaft werden schon jetzt von Tag zu Tag drängender und bedürfen einer Lösung, der es jeweils an Besonnenheit und Weitblick, aber auch an Vernunft und Gerechtigkeit nicht gebricht. Zwei wirtschaftspolitische Fragen stehen dabei im Vordergrund: Erstens die Integration der europäischen Wirtschaft und die Frage der Beteiligung Österreichs und zweitens die Gewährleistung eines weiteren Wirtschaftswachstums. Dazu erscheint uns nun ein konstruktiver Wirtschaftsplan vordringlich. Der Gewerkschaftsbund wird es nicht verabsäumen, immer wieder darauf hinzuweisen. Und ich hoffe aufrichtig — die guten Anzeichen mehren sich jedenfalls —, daß dieser im Interesse der Gesamtwirtschaft liegende Vorschlag von allen verantwortungsbewußten Kräften unseres Landes aufgegriffen und alsbald verwirklicht wird. Ehrliches Zusammenarbeiten hat unserem Lande immer noch gutgetan.

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