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Kein Glück mit Gefreiten

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In der vergangenen Woche hat der Botschafter der Bundesrepublik Deutschland dem österreichischen Bundespräsidenten einen Brief übergeben, in dem Bundespräsident Lübke noch einmal für die herzliche Aufnahme und die erwiesene Gastfreundschaft anläßlich seines jüngsten Aufenthaltes in Österreich dankte. Der Besuch des deutschen Staatsoberhauptes in Österreich hat damit auch protokollarisch seinen Schlußpunkt gesetzt bekommen. Schon rüstet man in Wien für den Empfang des nächsten hohen Gastes. Die schwarz-rot-goldenen Fahnen werden wohl verwahrt. Das Orange des Hauses Oranien ist die politische Modefarbe des Wiener Mai 1962.

Um noch einmal auf den Besuch des deutschen Bundespräsidenten zu sprechen zu kommen: Auch die publizistische Nachlese zeigte, wie weithin ausgeglichen und harmonisch heute die Verhältnisse zwischen der Bundesrepublik und Österreich sich gestaltet haben. Der bewußte „falsche Zungenschlag“ in der Kommentierung machte sich weder hüben noch drüben bemerkbar. Keine Regel jedoch ohne Ausnahme. Diese Ausnahme bildete die Zuschrift eines jungen Bundeswehrgefreiten an die wohlrenommierte Hamburger „Welt“ (3. April 1962). Angeregt durch einzelne Passagen des Leitartiklers Georg Schröder (mit dem deutschen Außenminister gleichen Namens weder verwandt noch identisch) legte Gefreiter ROA Tillmann Leidig aus Delmenhorst-Adelheide frisch fröhlich los:

„Zu dem Leitartikel .Zu Gast bei Verwandten' darf nicht geschwiegen werden, da er Grundfragen unserer historisch-politischen Situation aufwirft. Nur zu begründet kommt die Mahnung, daß dem Land der Deutschen der Inn nicht Grenze ist. Aber daneben steht mit größter Selbstverständlichkeit offener, endgültiger Verzicht auf die politische Einheit der Gesamtnation. Ich weiß, daß dieser Verzicht heute populär ist; bei uns zumindest — in Österreich übrigens weniger als man so allganehtudenkti,

Herr Schröder sagt: ,Wir sind ein Vefk, rutit, einer, ^emeinsainen Geschichte, Kultur und Sprache in zwei selbständigen Staaten.' Begreift man denn nicht, daß, wer bereit ist, die Teilung in zwei Staaten (Rumpf-Deutschland und Österreich) innerlich hinzunehmen, kein Recht mehr hat, die Entstehung eines weiteren deutschen Staates (sowjetische Besatzungszone) nicht hinnehmen zu wollen?

Die Abtrennung Österreichs ist nicht älter und erst recht nicht historisch sinnvoller als die gewaltsame Separation der SBZ: Beides ist begründet in der Katastrophe von 1945. und in sonst nichts. Es ist einfach falsch, zu sagen, der Beginn der Spaltung sei der Krieg von 1866. Dieser Krieg war nämlich nicht der Beginn, sondern nur ein episodenhafter Höhepunkt der politischen Aufspaltung des deutschen Volkes. Die folgenden Jahrzehnte führten durch das Bündnis Wien-Berlin zu einer von Jahr zu Jahr wachsenden Schicksalsgemeinschaft des deutschen Volkes, die in ihrem Höhepunkt — der gemeinsamen Katastrophe von 1914 bis 1918 — den Willen zur politischen Einheit der Gesamtnation stärker denn je hervorbrechen ließ.

Aus alledem ergibt sich, wie unsinnig es ist, nur die kleindeutsche Wiedervereinigung ohne gesamtnationale Zielsetzung zu wollen. Wer dennoch nicht auf sie verzichtet, muß bereit sein zur Konsequenz — oder er macht sich jener gedankenlosen Trägheit schuldig, die weltpolitisch entscheidende Entschlüsse aus rein sentimentalem Gefühl heraus treffen zu dürfen glaubt. Ist die gesamtdeutsche Wiedervereinigung in der Gemeinschaft Europas der Vaterländer nicht unsere welthistorische Pflicht, dann haben wir in der gegenwärtigen Situation auf die kleindeutsche Wiedervereinigung noch nicht einmal ein Recht.

Natürlich weiß ich, daß es heute und wohl noch auf Jahre hinaus nicht möglich sein wird, offiziell die Wiedervereinigung mit Österreich zu erstreben — vor allem so lange die psychologischen Voraussetzungen dazu fehlen. Aber man sollte uns in Zukunft solche Kundgebungen vielleicht nicht subjektiver, aber doch objektiver innerer Unwahrhaftigkeit ersparen, wie den Klang des Deutschlandliedes am Hof der Wiener Republik.“

Mit Gefreiten hat Österreich schon sein Pech. Kann man nichts machen. Es hat schon andere überdauert, es wird auch die Thesen des jungen Reserveoffiziersanwärters überstehen. Etwas anderes ist es, wenn einzelne österreichische Politiker — und nicht nur solohe der FPÖ — etwa in den beschwörenden Ausruf „nicht Passau, sondern Graz sei die südöstlichste deutsche Stadt“ den Tillmann Leidigs ein Stichwort geben, das nur die heute klaren, sauberen und freundschaftlichen Beziehungen zwischen Österreich und seinem deutschen Nachbarstaat neu umnebeln könnte.

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