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Einen Chauvinismus von Gottes Gnaden gibt es nicht. Auserwählung kann aber nationalistisch mißbraucht werden.

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Einen Chauvinismus von Gottes Gnaden gibt es nicht. Auserwählung kann aber nationalistisch mißbraucht werden.

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Obwohl sich heutige nationalistische Bewegungen kaum einmal religiös definieren, so sind doch immer wieder strategische Koalitionen mit rechten Gruppen in den Kirchen zu beobachten. In diesen Koalitionen spielen neben „Familie und Heimat“ oft nationalreligiöse Vorstellungen eine Rolle (zum Beispiel: Nation xy hat eine spezifische „Sendung“ Gottes in der Geschichte). Bibel und christliche Traditionen dienen dabei nicht selten als po- sitionelle Legitimation. Eine Vergewisserung darüber, wie die Bibel mit den Themen von Nation und nationaler Identität umgeht, ist also angebracht:

In der Religion Israels, wie sie sich im Alten Testament dokumentiert, ist der Glaube an die Erwählung des Volkes der Söhne Jakobs durch Gott tatsächlich zentral (Bundesformel: „Ihr sollt mein Volk sein, und ich will euer Gott sein!“). Zweifellos konnte und kann dies Auswirkungen bis hin zur nationalistischen Selbstverherrlichung haben. Doch muß man sehen, daß die Mitte und Zielrichtung dieser Bundestheologie, wie sie die Propheten Israels immer konkreter einforderten, nicht „Chauvinismus von Gottes Gnaden“ ist: Erwählung und Bund gelten nur und insofern, als Gerechtigkeit und Barmherzigkeit realisiert sind. Dies zeigt sich insbesonders am Testfall der Armen, Benachteiligten und der schutzbedürftigen Ausländer. „Gott mit uns“ ist deshalb nicht Vorrecht vor den andern, sondern Verpflichtung für die anderen.

Jesus von Nazaret steht in dieser Linie und radikalisiert sie weiter: Seine Verkündigung ist geprägt von seiner Erfahrung einer überwältigenden Nähe des heilenden und aufrichtenden Gottes: Er lädt alle ein, mit ihm das Reich Gottes zu erwarten und als bereits gültig zu praktizieren.

Aufgrund der höchst unterschiedlichen Reaktionen auf seine Botschaft konstatiert er: Ins Reich Gottes wird man nicht per Herkunft hineingeboren; nicht Familie und Volk (und sei es das erwählte Volk Gottes) vermitteln mit ihren Traditionen das Heil! Jeder Mensch für sich muß sich der Herausforderung und dem Angebot des Evangeliums stellen. Nicht die religiösen und gesellschaftlichen Eliten nehmen sein Angebot wahr, sondern die Deklassierten und Außenseiter.

UNIVERSALISTISCHE SÄTZE

Obwohl Jesus selbst ganz im einheimischen Horizont eines galiläischen Juden dachte, brachte diese Erfahrung, daß das Reich Gottes nicht nach der religiösen „Papierform“ angenommen wird, ganz erstaunlich universalistische Sätze mit sich: Viele werden von Osten und Westen kommen und mit Abraham, Isaak und Jakob im Himmelreich zu Tisch sitzen; jene aber, denen man die Teilnahme am ehesten zutraute, werden womöglich gar nicht dabei sein. Die Ersten — also jene, die sich aufgrund Geburt, Rasse, Zugehörig keit zu irgendwelchen vermeintlichen Eliten an der Tür des Reiches Gottes in vorderster Reihe anstellen - werden die Letzten sein: Weil Gott ein Freund von Überraschungen und von Benachteiligten ist. (In der Theologie nennt man diesen göttlichen Wesenszug Gnade.) Zugegebenermaßen ein recht befremdlicher Gott.

Die Urkirche versuchte, diesen Weg Jesu durchzuhalten. In ihr - so setzte sich zunehmend durch - gelte nicht soziale, nationale oder religiöse Herkunft als Kriterium, sondern der neue Anfang des Evangeliums sei ganz und gar identitäts- und gemeinschaftsstiftend. Paulus drückte dies so aus: „Es gibt nicht mehr Juden und Griechen, nicht Sklaven und Freie, nicht Mann und Frau; denn ihr alle seid eins in Christus Jesus“ (Gal 3,28). Im Namen Jesu Christi wollte die Urkirche eine Gemeinde Gottes bilden: aus allen Völkern und Klassen, für alle Menschen ohne Ansehen ihrer Herkunft.

Die real existierende Kirche .hat auf ihrem Gang durch die Geschichte - das ist zu unterstellen! - immer wieder aufrichtig versucht, diesem Anspruch gerecht zu werden. Und sie hat auch immer wieder - das ist mit Händen zu greifen! - entsetzlich versagt. Es geht somit nicht um einfache Pauschalurteile aus der sicheren Zuschauerloge heutiger Geschichtsbetrachtung. Es geht vielmehr um die Erkenntnis, wofür christliche Kirchen heute und immer in der Welt mit ihren Verteilungskonflikten einzustehen haben: Es gibt nur Menschen gleicher Würde, allesamt Sünder, allesamt Ansprechpartner einer befreienden Botschaft.

Wer hingegen für sein Weltbild und sein Zukunftsprojekt davon ausgeht, daß Menschen wesensmäßig - etwa nach nationalen oder rassischen Zugehörigkeiten - je andere Rechte und Ansprüche zukämen, der sollte heute unter Christen keine Partner finden. Denn er verkündet „ein anderes Evangelium“. Über solche Leute konnte sich Paulus übrigens dermaßen erregen, daß er sie ziemlich unfein verfluchte (vergleiche Gal 1,7-9).

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