7105294-1995_28_03.jpg
Digital In Arbeit

Kein Pulver-, aber ein Schuldenfaß

19451960198020002020

Nicaragua lebt vom Kaffee, der Kaffeepreis fiel in den Keller, Alternative zum Kaffee gibt's keine, TransFair-Kaffee-trinker zahlen den gerechten Preis.

19451960198020002020

Nicaragua lebt vom Kaffee, der Kaffeepreis fiel in den Keller, Alternative zum Kaffee gibt's keine, TransFair-Kaffee-trinker zahlen den gerechten Preis.

Werbung
Werbung
Werbung

Managua 1995.- Eine der ärmsten Städte Lateinamerikas. . Aber noch immer eine Stadt mit selbstbewußten Menschen. Und mit vielen Kindern - kein Wunder bei 3,4 Prozent Bevölkerungswachstum. Statt eines Zentrums - leere Flächen. Nach dem verheerenden Erdbeben vom 23. Dezember 1972 mit 10.000 Toten wurde es, da besonders gefährdet, nicht mehr aufgebaut.

Das viele Meter lange, international bewunderte Wandgemälde im nicht vorhandenen Zentrum, das in der Zeit der Sandinisten unter Mitwirkung bekannter und anonymer Künstler entstand und in dem die blutige Geschichte Lateinamerikas im Aufbau einer besseren Welt mündet, wurde in einer Nacht-und-Nebel-Aktion „irrtümlich” zerstört. Dann wurde die Wand schwarzweiß übermalt, auf daß kein neues, in den Augen des superkonservativen Bürgermeisters Arnoldo Alemän gefährliches linkes Kunstwerk entstehen könne. Alemän wird als nächster Präsident gehandelt.

In Straßen, deren Namen an san-dinistische Volkshelden erinnern, verschwinden die Schilder mit den Namen. Umbauten werden als Grund genannt, die Schilder würden bald wieder angebracht, aber das werden sie nie. Das Denkmal der So-moza-Opfer, gleich neben der Stelle, an der die Leichen der Oppositionellen nachts von Lastwagen auf einen Abhang gekippt wurden, verfällt.

Die Vertreibung des Diktators So-moza im Juli 1979 bedeutete einen gewaltigen Befreiungsakt, auch wenn es mit der Wirtschaft bergab ging. Das Bruttosozialprodukt sank von 2,9 Milliarden US-Dollar auf 1,8 Milliarden 1993. Durch den Geburtenüberschuß fiel es aber pro Kopf von 1.153 Dollar 1977 auf 421 im vergangenen Jahr.

Das wichtigste Produkt, mit dem Nicaragua noch Devisen verdient, ist der Kaffee. Seit dem Zusammenbruch des internationalen Kaffeepreisabkommens sank der Weltmarktpreis tiefer und tiefer. Durch eine Frostkatastrophe in Brasilien erholten sich die Preise, aber für wielange? Kein Produkt des täglichen Bedarfs wurde in den letzten Jahrzehnten in den Industriestaaten so dramatisch verbilligt wie der Kaffee. Aber es gibt keine Alternative zum Kaffee. Einst war die Baumwolle der Benner. Riesige Primärwälder wurden ihr geopfert. Auslaugung der Böden, Erosion und Preisverfall machten ihr den Garaus. Mit Kaffee, Fleisch, Bananen, Fisch und Zucker, wovon das rneiste auch dem Preisverfall unterliegt, läßt sich der Bedarf an Maschinen, Fahrzeugen, Erdöl, chemischen Produkten, Stahl, Papier nicht bezahlen.

Besonders wichtige Abnehmer des Kaffees sind Menschen, die sich nicht nur der Bedrohungen der Umwelt bewußt sind, sondern auch der Ungerechtigkeit in der Welt. Europäer, die dieses Bewußtsein so weit an sich herankommen lassen, daß sie ein paar Groschen pro Tasse mehr zahlen. Der etwas teurere TransFair-Kaffee ist dabei, sich eine kleme, feste Marktposition zu erarbeiten.

La Fundadora, die Finca, die einst Somoza gehörte, liegt hoch in den Bergen, wo der beste Kaffee wächst, an einem der kühlsten Punkte des Landes. Der Diktator kam immer nur in der Osterwoche her.

Wenige Minuten entfernt sieht man noch den Stall für die Arbeiter - ein Holzbau mit Mittelgang, rechts und links in Etagen übereinander winzige Holzverschläge, kaum hoch genug zum Stehen. Hier wurden Männer, Frauen und Kinder über Nacht eingesperrt und von Posten bewacht - Toiletten gab es nicht. Ein Teil der Beschäftigten hat es noch erlebt.

Die Fundadora gehört ihren Arbeitern, aber 42 Kaffeeproduktionszentren, die als „Betriebe im Konflikt” von der Gewerkschaft vor der Rückführung in den Großgrundbesitz bewahrt werden, hängen rechtlich in der Luft. Könnten sie nicht 15 Prozent ihrer Produktion in den alternativen Handel bringen, wären sie nicht in der Lage, ihren Beschäftigten Sozialleistungen zu bieten: ein Stück Land, Kindergarten, Schule, medizinische Versorgung.

TransFair und andere Organisationen wie EZA-Dritte Welt oder Misereor stehen für eine Entwicklungszusammenarbeit besonderer Art. Der Konsument zahlt freiwillig etwas mehr für Produkte, die zu billig sind, und verringert damit die Unbarmherzigkeit des Weltmarktes. Als der Sack Kaffee zu 46 Kilogramm nur noch 70 Dollar kostete, garantierte der alternative Handel den Unterschied von 56 Dollar auf den Interventionspreis, der den vom Kaffee abhängigen Familien ein einfaches, aber menschenwürdiges Leben ermöglicht. Der alternative Handel finanziert die Ernte vor, was wegen der gewaltigen Kreditzinsen besonders wichtig ist. Dabei arbeitet TransFair mit der offiziellen österreichischen Entwicklungshilfe zusammen. (Nicaragua ist eines der Schwerpunktländer unserer EZA.)

Die erste Qualität geht nach Europa. Die zweite trinken die Amerikaner, aus der dritten sortieren lange Beihe von Frauen an Laufbändern noch eine Menge Bohnen der ersten und zweiten Qualität heraus. Der Rest bleibt den Nicaraguanern.

TransFair kontrolliert die Einhaltung der für den fairen Handel aufgestellten Regeln und vergibt das Markenzeichen, das besagt, daß man es mit einem fair gehandelten Produkt zu tun hat. Tee ist schon im Sortiment, Honig und andere Produkte sollen folgen. Bedingung der Zusammenarbeit ist, daß der Mehrerlös den arbeitenden Menschen zugute kommt. Hingegen mischt sich TransFair in die Besitz- und Produktionsstrukturen nicht ein. Daher stammt der alternative Kaffee aus Nicaragua aus gewerkschaftseigenen Betrieben, der costaricanische von kleinen und kleinsten, in Genossenschaften organisierten Bauern.

Fünf Firmen kaufen 80 Prozent der Weltkaffeeproduktion auf. Länder wie Costa Rica mit höchsten Qualitäten, aber nur zwei Prozent der Weltproduktion oder Nicaragua mit einem Prozent haben bei der Preisbildung nichts zu melden. Auf dem Tiefpunkt des Weltmarktpreises bedeutete die Abnahme eines kleinen Prozentsatzes der Produktion zu fairen Bedingungen für manche vor dem Aus stehende costaricanische Kaffeebauerngenossenschaft das Überleben. Vielen Bauern drohte der Abstieg zu Hilfsarbeitern.

Nicaragua hat einen langen Bürgerkrieg hinter sich. Bis zum Wahlsieg einer stets weißgekleideten Dame namens Violetta Chamorro hatte es eine magnetische Anziehungskraft auf alle, die auf die Veränderungskraft sozialistischer Konzepte hofften. Doch am 25. Februar 1990 erlebten die Sandinisten eine Wahlniederlage.

Das Volk, auf das sie sich gestützt hatten, auf das- sie sich beriefen, wählte sie ab. Seither verlaufen die politischen Gräben nicht nur zwischen dem Lager der Präsidentin, die sich als bürgerlich bezeichnet, und der Linken, sondern auch zwischen Links und Links.

Sergio Ramirez, einst Ortegas engster Mitarbeiter und zehn Jahre lang Vizepräsident, hat mit der Frente Sandinista gebrochen, gemeinsam mit Ernesto Cardenal und einem größeren Reformflügel. Ziel sei eine Bewegung für Demokratisierung, zur sozialen Umwandlung, für die „Rückkehr zu den Wurzeln des Sandinismus”. Ein neues Gesetz sollte, so Ramirez, nur die einmalige Wiederwahl des Präsidenten zulassen und verhindern, daß ihm ein Verwandter nachfolgt. Das Eigentum an durch die Landreform auf die Landlosen übergegangenen Bodens soll festgeschrieben, Arbeitereigentum an Betrieben durch klare Bestimmungen geregelt werden, damit die Arbeiter nicht den letzten Best von Vertrauen verlieren.

Damit wären wir wieder beim Kaffee. Die Sandinisten hatten großzügig enteignet, nun wurde großzügig reprivatisiert. Kleine Bauern hätten keine Chance gehabt. Die Gewerkschaften übernahmen einen Teil der Kaffeebetriebe. Sie sollen den Arbeitern gehören und in Selbstverwaltung geführt werden. Doch die Regierung anerkennt den Gewerkschaften gegenüber nicht die Privatisierungsbedingungen für ausländische Unternehmen und blockiert die Überschreibung. Ein Teil der Gewerkschaftsführer nutzte die ungeklärte Situation, um sich zu Eigentümern aufzuschwingen.

Man kann nächtelang darüber diskutieren, ob die Marktwirtschaft Nicaragua eine bessere Zukunft bieten kann als die Sandinisten, sofern diese die Chance gehabt hätten, das Land in einem offenen Lernprozeß ohne Bürgerkrieg zu verändern. Sandinisten wie Kapitalisten sind sich einig: Nicaragua kann ohne massive Unterstützung von außen nicht überleben.

Die Inflation wurde gestoppt, der Preis dafür sind 60 Prozent offizielle Arbeitslosigkeit. Es ist nicht daran zu denken, daß Nicaragua je seine Schulden abzahlt, was auch der als Regierungschef amtierende Schwiegersohn Violetta Chamorros, Laka-jos, kürzlich gegenüber österreichischen Journalisten, darunter dem Autor dieses Beitrags, betonte. Entwicklungshilfe finanziert ein Drittel des Bruttosozialprodukts.

Gestandene Männer in Managua bekennen, sie hätten nach der Wahlniederlage der Sandinisten wochenlang geweint. Heute würden sie es nur noch dann und wann tun. Zugleich erklären sie die Niederlage für verdient. Die Frente bekam damals immerhin 44 Prozent der Stimmen. Heute traut ihr Feind wie Freund gerade noch 20 Prozent zu.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung