"... kein Rassenproblem importieren"

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Heuer jährt sich - von den österreichischen Medien unbeachtet - zum sechzigsten Mal die Konferenz von Evian. Sie sollte den deutschen und österreichischen Juden zur Auswanderung verhelfen. Ihr Ergebnis war blamabel, die Nazis konnten unverhohlen jubeln.

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Heuer jährt sich - von den österreichischen Medien unbeachtet - zum sechzigsten Mal die Konferenz von Evian. Sie sollte den deutschen und österreichischen Juden zur Auswanderung verhelfen. Ihr Ergebnis war blamabel, die Nazis konnten unverhohlen jubeln.

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Am 6. Juli 1938 wurde im französischen Kurort Evian am Genfer See eine auf Initiative von US-Präsident Franklin D. Roosevelt zustandegekommene internationale Konferenz eröffnet. Sie sollte die Aufnahme der aus dem nationalsozialistischen Deutschland vertriebenen Juden durch möglichst viele Länder erleichtern. Das Immigrationsproblem hatte durch den "Anschluß" und die unmittelbar darauf folgenden rassistischen Ausschreitungen in Österreich einen besonderen Stellenwert erhalten. Es ist somit kein Zufall, daß Roosevelt seinen Vorschlag zwölf Tage nach dem Einmarsch deutscher Truppen in Wien unterbreitete.

Dieser Einladung folgten 32 der vorgesehenen 36 Staaten aus Westeuropa und den USA; von den bedeutenderen Ländern sagten nur Italien und Südafrika ab. Dazu kamen 39 überwiegend jüdische Hilfsorganisationen, die ihren Standpunkt in Erklärungen von jeweils nur wenigen Minuten vortragen durften. Auf Evian als Konferenzort kam man, nachdem Genf - immerhin Sitz des Völkerbundes - nach einem Einspruch des auf Berlin Rücksicht nehmenden Schweizer Bundesrates ausgefallen war.

Widerstände gegen Roosevelts Idee gab es von allem Anfang an bereits in seinem eigenen Land. Sie wurden durch die Zusicherung gemildert, daß neue gesetzliche Regelungen zur Erleichterung der Immigration von vornherein nicht zur Sprache kommen würden. Die jährliche Zahl der Einwanderer aus Deutschland und Österreich in die USA sollte keinesfalls verändert werden; die Flüchtlinge dürften dem Staat nicht zur Last fallen, war die Devise.

Auch im Verlaufe der im Luxushotel Royal stattfindenden Konferenz zeigte sich bald, daß keines der teilnehmenden Länder daran dachte, politischen Flüchtlingen in nennenswerter Zahl tatsächlich Asyl zu gewähren. In einem entwürdigenden Schwarzer-Peter-Spiel versuchte jede Delegation zu erklären, warum das jeweils eigene Land keine politischen Flüchtlinge aufnehmen könne, ließ aber zugleich durchblicken, daß in anderen Ländern doch noch genügend Platz sein müßte. Als Begründung wurde meist die schwierige Wirtschaftslage oder mangelnder Lebensraum für die eigene Bevölkerung angegeben. Der Vertreter der britischen Regierung erklärte, das Vereinigte Königreich sei kein Einwanderungsland. Das Foreign Office wollte überdies seine Appeasementpolitik gegenüber Deutschland nicht gefährden. Heinrich Rothmund, Chef der Schweizer Fremdenpolizei, verwies auf den hohen Ausländeranteil in der Eidgenossenschaft (damals neun Prozent); auch sei die Schweiz selbst ein Auswanderungsland. Frankreich erinnerte an die bereits erfolgte Aufnahme von 200.000 Flüchtlingen. Damit sei die finanzielle Kapazität des Landes erschöpft. Der Vertreter Australiens dagegen erklärte unumwunden: "Sie werden zweifellos verstehen, daß wir, die wir kein wirkliches Rassenproblem haben, auch nicht wünschen, ein solches einzuführen." Der peruanische Delegierte wollte sich nach dem "klugen und weisen" Beispiel der USA orientieren, die wie sein Land "nach einer sicheren und ruhigen Eingliederung der Immigranten und auch nach der Verteidigung ihres nordischen Erbguts, ihrer sächsischen Rasse, gegen die Invasion anderer Völker" trachten. Das Organ der nationalsozialistischen Bewegung, der "Völkische Beobachter", konnte triumphieren: Da niemand die Juden haben wolle, treffe man eben "Vorsorge, sich vor einem Zustrom jüdischer Einwohner zu schützen, weil man die Nachteile einer Verjudung erkannt hat".

Eine anschauliche Schilderung der damaligen Atmosphäre findet sich in einem Roman von Hans Habe ("Die Mission"), der als in Genf beim Völkerbund akkreditierter Korrespondent des Prager Tagblatts mit etwa 200 Journalisten über die Flüchtlingskonferenz zu berichten hatte. "Der Geruch des Seewassers vermengte sich mit dem leisen, aber konstanten Geruch von Schwefel und Schokolade, diesem Duftduett der alten Heilbäder. Architektur und Gartenanlagen erinnerten an den Beginn des neuen Jahrhunderts - der Professor aber fragte sich, warum man just dieses Gewächshaus der Vergangenheit gewählt hatte, um darin über die Schrecken der Gegenwart zu verhandeln."

Die Konferenz in Evian dauerte zehn Tage. In der Schlußresolution wurde trotz heftiger Einwände des Jüdischen Weltkongresses auf jeglichen Protest gegen die Rassenpolitik der Reichsregierung verzichtet, um eine (ohnehin fehlende) Gesprächsbasis nicht zu zerstören. Am Ende wurden zu Ehren der Delegierten ein großes Feuerwerk und ein reiches Bankett veranstaltet.

Um aber das Treffen nicht zu einem offensichtlichen Mißerfolg werden zu lassen, wurde die Gründung eines neben der Flüchtlingsorganisation des Völkerbundes bestehenden Gremiums, des "Intergovernmental Committee" (IGC), beschlossen, das in der Folge bis zum Kriegsausbruch wiederholt zusammenkam. Einige Staaten, so die Schweiz, nahmen an diesen Treffen bald nicht mehr teil. Die neutrale Eidgenossenschaft befürchtete eine Belastung ihrer Beziehungen zu Berlin im Falle eines Scheiterns der geplanten Direktverhandlungen zwischen dem Komitee und Deutschland. Berlin lehnte allerdings jede Zusammenarbeit mit dem IGC auf Regierungsebene ab und verwehrte sich - wie es in einem von Staatssekretär Ernst von Weizsäcker unterschriebenen Erlaß des Auswärtigen Amtes an seine diplomatischen Vertretungsbehörden in aller Welt hieß - gegen die "Einmischung in innere Angelegenheiten".

Wohl aber versuchte der damalige Reichsbankpräsident Hjalmar Schacht, aus der Situation Nutzen zu ziehen. Er schlug vor, ein Viertel des von den Flüchtlingen zwangsweise zurückgelassenen Vermögens dazu zu verwenden, jedem Auswanderer einen Betrag von 10.000 Mark in fremder Währung zur Verfügung zu stellen. Die Auszahlung sollte durch eine ausländische Vorfinanzierung mit Hilfe des "Weltjudentums" ermöglicht werden, die über einen längeren Zeitraum durch deutsche Exporte abzugelten wäre.

Es gab viele Gründe, diesen leicht durchschaubaren Taschenspielertrick abzulehnen. Der Deal hätte eine Anerkennung der Enteignung von jüdischem Besitz bedeutet und zugleich der deutschen Wirtschaft zusätzliche Exportmöglichkeiten erschlossen. Auch ahnte man inzwischen, was man von der Vertragstreue des Hitlerregimes zu halten hatte. Dennoch war man von seiten des IGC gesprächsbereit - der amerikanische Unterstaatssekretär Sumner Wells wollte Gegenvorschläge ausarbeiten. Doch dazu kam es nicht mehr. Die Verhandlungen wurden durch die Ablösung des bei Hitler in Ungnade gefallenen Reichsbankpräsidenten Schacht und den bald darauf ausbrechenden Krieg endgültig beendet.

In Deutschland lebten zum Zeitpunkt der Konferenz von Evian etwa 540.000 Juden, davon etwa 150.000 in der angeschlossenen "Ostmark". Es wurden deshalb im IGC auch verschiedene Pläne für eine Massenansiedlung geprüft, allerdings bald wieder verworfen: so etwa in Abessinien (die Ablehnung durch Mussolini kam sofort), British Guyana, Angola und den Philippinen. Palästina blieb wegen des arabischen Widerstandes von vornherein außer Betracht. Auch die Bemühungen, breitere Flüchtlingsströme durch einen privaten Fonds zu unterstützen, führten zu keinem Erfolg.

In einem Ende Juli in der "Neuen Zürcher Zeitung" erschienenen Interview bedauert der israelische Botschafter in Bern, daß es so wenig Veranstaltungen im Zusammenhang mit dem 60. Jahrestag der Konferenz von Evian gegeben habe. Er meint, daß die Wannsee-Konferenz 1942 (bei der die Vernichtung der Juden beschlossen wurde) nicht stattgefunden hätte, wäre man in Evian zu einem Ergebnis gekommen ...

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