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Kein Schlußstrich unter unsere Vergangenheit!

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Spricht das offizielle Österreich gegenüber Israel mit zwei Zungen? Bundespräsident Klestil, Außenminister Mock und Botschafter Kröll stehen unter schwerem Beschuß.

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Spricht das offizielle Österreich gegenüber Israel mit zwei Zungen? Bundespräsident Klestil, Außenminister Mock und Botschafter Kröll stehen unter schwerem Beschuß.

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Für die einen ist Karl Pfeifer, Redakteur der „Gemeinde”, des offiziellen Organs der Wiener israelitischen Kultusgemeinde, ein Nestbeschmutzer, der die Normalisierung des österreichisch-israelischen Verhältnisses in der Post-Waldheim-Ära nicht ertragen kann.

Für die anderen ist der unbequeme jüdische Denker -„Ich bin österreichischer Staatsbürger, das muß ich neuerdings immer wieder betonen”, so Pfeifer — ein Mahner, der einer „Schlußstrich-Ideologie” nichts abgewinnen kann. „Daß so viele Österreicher unter den Holo-kaust, diesen einmaligen Völkermord, einen Schlußstrich ziehen wollen, ist für mich unfaßbar. Das kommt einem Schlußstrich unter die Verwirklichung christlich-jüdischer Werte gleich, die man in Güte und Freundschaft gemeinsam umsetzen sollte”, faßt Pfeifer der FURCHE gegenüber seine Grundeinstellung zusammen.

Im Jänner-Heft des sozialdemokratischen Diskussionsorgans „Die Zukunft” hat Pfeifer darauf hingewiesen, daß sich Bundespräsident Klestil in Israel zwar „in tiefer Betroffenheit vor den Opfern” verbeugt, kaum nach Wien zurückgekehrt aber bereits wieder vom „Schlußstrich ziehen” gesprochen habe. Pfeifer wörtlich in „Die Zukunft”: „Die Ausrede, man könne Opfer ,östereichischer Schergen (Klestil) nicht entschädigen, weil die Verbrechen so furchtbar waren, ist an Heuchelei nicht zu überbieten.” /

Besonders erregte sich Pfeifer über eine Veranstaltung des österreichischen Botschafters in Israel, Herbert Kröll, in der Cinemathek in Tel Aviv: Bei der Vorführung eines Filmes über den österreichischen Widerstand habe Kröll im Vorfeld des Klestil-Besuches „wieder einmal die Lebenslüge” präsentiert, „Österreich habe Hitler energischen Widerstand' geleistet und wäre wie die Juden Opfer des Nationalsozialismus gewesen”.

Ein sogenannter Reservatsbericht von Botschafter Kröll an das Wiener Außenamt über Hilfen, die Österreich an Juden geleistet hat, ist Pfeifer ein besonderer Dorn im Auge. Der vertrauliche Bericht vom 10. August 1994 gelangte durch eine Indiskretion eines Außenamts-Beamten in die Öffentlichkeit. Die „Kronenzeitung” zitierte am 20. November daraus. Kröll lag daran darzustellen, daß „die zahlreichen Maßnahmen Österreichs zugunsten abstammungsmäßig Verfolgter seit 1945 wesentlich eindrucksvoller waren, als es die Medien stets darstellen”. Daß sich der „gefährliche Legendenbildung”, so Pfeifer): „Ich glaube nicht, daß Herr Pfeifer meine Rede in der Tel Aviver Cinemathek oder meinen Reservatsbericht wirklich ganz gelesen hat. Daß Österreich erstes Opfer der Nazis gewesen sei und energischen Widerstand geleistet habe, habe ich so nicht gesagt. Ich habe damit die Zeit des Dollfuß-Kampfes gegen den Nationalsozialismus gemeint. Ich wollte eine sachliche Diskussion, eine Meinungsbildung über Österreichs Hilfsleistungen an Vertriebenen einleiten.'

Kröll bedauert, daß im Außenamt solche Berichte offenbar nicht mit der nötigen Diskretion behandelt werden. Daß man sich bei den Zahlen schwertut, erklärt ein Angehöriger der österreichischen Botschaft in Tel Aviv so: „Es

Botschafter bei den entsprechenden Zahlen schwertat -er nennt Leistungen in der Höhe von 200 bis 300 Milliarden Schilling seit Jahrzehnten und noch laufenden in Milliardenhöhe pro Jahr -, ist für Pfeifer Anlaß zur Kritik: „100 Milliarden auf und ab - darauf kommt es Botschafter Kröll nicht an.”

Kröll selbst, von der FURCHE auf die massive Kritik angesprochen, die auch Außenminister Alois Mock gilt (das Außenministerium, das zu dem Reservatsbericht keine Stellung nehme, sei mitverantwortlich für eine war vielleicht ein Fehler, daß wir keine genauen Zahlen präsentiert haben. Aber das konnten wir aufgrund fehlender Kommunikation mit der Sozialversicherungsanstalt auch gar nicht.' Jedenfalls wurde mit der 44. ASVG-No-velle vom 1. Jänner 1988 auf Betreiben Bundeskanzler Vranitzkys die Diskriminierung der Opfer gegenüber den Tätern aufgehoben und den 1938 vertriebenen Juden Schul-, Militär-, Studien- und Dienstzeiten rückwirkend bis 1929 für die Pension angerechnet. Der Botschaftsangehörige weiter: „Uns hat die

Sozialversicherungsanstalt gesagt, daß der Pensionsdurchschnitt 6.800 Schilling beträgt, 14mal jährlich. In Israel gibt es noch 5.000 Pensionsbezieher, weltweit arigeblich das Vierfache.”

Die Pfeifer-Kritik an der Schlußstrich-Ideologie kommentiert Botschafter Kröll mit dem Hinweis darauf, daß die österreichisch-israelischen Beziehungen nie „normal”, sondern immer „außergewöhnlich” waren, schließlich habe es den Holokaust gegeben. Aber: „Der Sprecher der Knesseth hat nach Klestils Rede konstatiert, daß der österreichische Bundespräsident Österreichs Vergangenheit umfassend und abschließend behandelt habe. Das heißt, daß der nächste Bundespräsident bezüglich Israel nicht mehr bei Adam und Eva anfangen muß. Es ist eine Klärung erfolgt. Und Klestil hat ehrlich und nicht mit doppelter Zunge gesprochen.” Dies werde in Israel auch anerkannt. „Es geht nicht darum, nur schön daherzureden”, so Kröll.

Für offene Diskussion

Für den österreichischen Juden Karl Pfeifer handelt es sich bei seinen kritischen Anmerkungen „um eine patriotische Tat”. „Wenn Außenminister Mock beispielsweise in Israel sagt, Rechtsextremismus und Linksextremismus in Österreich seien gleichwertige Gefahren, dann ist das eine furchtbar kontraproduktive Aussage für unser Land; als ob es gewalttätige Linksextreme gäbe.” Pfeifer geht es um die richtigen Signale, nicht um Geld oder Entschädigungen für Juden. Und darüber müßte sachlich diskutiert werden. Übrigens ein Ansatzpunkt, bei dem er sich mit Botschafter Kröll trifft. Auch dieser fordert in dieser Angelegenheit eine sachliche und offene Diskussion, etwas, wofür er die Israelis („ihre Diskussionskultur ist sehr weit fortgeschritten, und anders als bei uns ist ein rhetorischer Konflikt in Israel nicht negativ besetzt”) besonders schätzt.

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