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Kein Spiel mit Blut und Tränen

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12. Februar 1934: Mit ideologisierten Geschichtsbildern hat man lange Politik gemacht. Anerkennt man 60 Jahre danach Fehler und Verdienste beider Seiten?

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12. Februar 1934: Mit ideologisierten Geschichtsbildern hat man lange Politik gemacht. Anerkennt man 60 Jahre danach Fehler und Verdienste beider Seiten?

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ine „Schändung unserer Toten“ wäre für den 75jährigen Soziologieprofessor Walter Simon, der aus einer bekannten jüdischen Familie aus Wien stammt, (sein Vater, der Mathematikprofessor Otto Simon, war Sozialdemokrat der ersten Stunde), das zum Gedenken des 60. Jahrestages des Bürgerkrieges in Österreich vom „RepüblikänisChen Club“ und anderen Organisationen geplante ak- tionistische Spektakel, das Wien am 12. Februar 1994 in die austrofaschi- stische Zeit zurückversetzen hätte sollen. Öffentliche Stellen, die um Subvention des nachgespielten Bürgerkriegs ersucht wurden, haben diese Art der Vergangenheitsbewältigung bereits abgelehnt.

Walter Simon: „Der Februar 1934 war kein Theaterstück, kein Ereignis für eine Straßenshow.“ Für die. Familie Simon (siehe auch Seite 11) war er bitterer Ernst; zeitweilig hat man Verwundete für ein Nacht bei sich beherbergt. Vater Simon erhielt von sozialdemokratischen Parteifreunden die Anfrage, ob man Kolo- man Wallisch nicht nach Wien holen und dort verstecken könne. Die Wohnung Simons kam dafür nicht in Frage, weil die Familie für ihre Gesinnung zu bekannt war. Als Otto Simon die Liste von möglichen Verstecken durchging, kam Mutter Anna (geh. Gersuny) außer sich ins Zimmer und berichtete, man habe Wallisch verhaftet und bereits hingerichtet. Das war in der Nacht vom 19. auf den 20. Februar 1934. „Ich erinnere mich noch genau: Mein Vater, mein Bruder Joseph, Adolf Koz- lik und ich befanden uns im Zimmer, als die Mutter die Nachricht brachte. Und da habe ich meinen Vater das erste- und einzigemal weinen gesehen.“

Aus dem Blut und den Tränen der Opfer (beider Seiten) ein Spektakel zu machen, erscheint pervers. Hier wird ein Geschichtsbild transportiert, das den Bürgerkrieg 1934 als große Hetz sieht. „Gemma Bürgerkrieg schaun.“ Diese Mentalität ließ übrigens viele Wiener beispielsweise nach der Erstürmung des Goethe- Hofes in Kaisermühlen im Februar 1934 mit Kind und Kegel ausrücken, um die Kriegsfolgen neugierig zu besichtigen.

Was bedeutet heute überhaupt diėsef’ Kith.ifif’dht Lager, der die Diskussion und auch die Politik in Österreich jahrzehntelang geprägt hat? Walter Simon reiht den Februar 1934 in das stolzeste Kapitel der Geschichte der österreichischen Sozialdemokratie ein, mit ihrem Einsatz für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit gegen die Diktatoren Mussolini, Hitler und Stalin. Er bezeichnet Engelbert Dollfuß und seine Regierung als die hundertprozentig Schuldigen für den Bürgerkrieg („Es gibt auch Schwarze, die das heute akzeptieren“), gibt allerdings zu bedenken, daß Dollfuß nicht ganz negativ zu beurteilen sei, weil er den Anschluß an Hitler-Deutschland um fünf Jahre hinausgeschoben habe.

An die eigene Adresse gerichtet (Simon ist mittlerweile aus der Sozialdemokratischen Partei ausgetreten) bemerkt der Soziologe: „Es gehört zur Tragik des Austromarxismus, daß er in der Spätphase seines Wirkens durch di’e Taktik der ständigen Konzessionen und des Sich- Einlassens auf Verhandlungen, die gar nicht mehr ernst gemeint waren, den Untergang, den er mit dieser Taktik abwenden wollte, erleichterte und beschleunigte.“ Simon sieht es, wie viele andere Zeitzeugen, als einen entscheidenden Fehler Otto Bauers an, das Koalitionsangebot Ignaz Seipels 1931 abgelehnt zu haben.

Otto Bauer habe jedoch im Laufe des Jahres 1932 erkennen müssen, „daß die reale Alternative, vor der man stehe, gar nicht mehr die von Kapitalismus oder Sozialismus, sondern nur mehr die bescheidenere von bürgerlichem Rechtsstaat oder Faschismus sei“. Die mit revolutionären Parolen vollgepumpten Massen seien allerdings hinsichtlich der Ziellosigkeit sozialdemokratischer Wehrpolitik in die Irre geführt worden - mit den bekannten tragischen Folgen. Auch ein früheres Losschlagen - beispielsweise im März 1933 (wie Minister a.D. Franz Olah anläßlich des 50. Gedenkens des Februar 1934 vor zehn Jahren noch meinte) — hätte der Sozialdemokratie nicht den Sieg, sondern die Nazis in Österreich nur noch früher an die Macht gebracht.

Trotzdem folgert Simon: „Die österreichische Sozialdemokratie hat sich ihrer Vergangenheit nicht zu schämen (siehe dazu Beitrag auf Seite 11, der dazu die Gegenseite beleuchtet, Anm. d. Red.) und braucht diese, auch wo sie der Kritik nicht standhält, nicht zu verleugnen. Sie vergibt sich nichts, wenn sie, nachdem sie mit Recht den Balken im Auge des politischen Gegenüber festgestellt und verurteilt hat, auch den Splitter im eigenen Auge wahrnimmt und zugibt.“

Was für heute bleibt, ist die Erkenntnis, daß ein geistiges Klima, in dem Demokratie weithin geringgeschätzt, das Miteinander-Reden unterlassen und die politische Zusammenarbeit mit Andersdenkenden abgelehnt beziehungsweise verweigert wird, in Richtung Abgrund führt. Verteufelung des politischen Gegners und eine radikale Phraseologie stimmten damals Menschen auf einen möglichen bewaffneten Kampf ein. Blinde Autoritätsgläubigkeit und auch von der Kirche mitgeschürter Haß gegen den politischen Gegner trübten den Blick vor den eigentlichen Gefahren.

Der Februar 1934 sollte in Österreich eine immunisierende Wirkung haben: und zwar gegen antidemokratische Ideologien, die heute wieder fröhliche Urständ feiern. Kurt Skalnik, Historiker, seinerzeit FUR- CHE-Chefredakteur, zieht aus den Ereignissen vor 60 Jahren die Lehre, „daß man eine große Partei nicht auf Dauer von der Mitverantwortung im Staat ausschließen soll.“

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