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Keine Einbahn zur „sozialen Sicherheit“

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Der in Aussicht stehende Regierungsentwurf einer gesetzlichen Alterssicherung selbständig Erwerbstätiger macht die jahrelangen praktischen Erfahrungen mit ständischen Alterssicherungen Selbständiger interessant. Die Redaktion.

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Der in Aussicht stehende Regierungsentwurf einer gesetzlichen Alterssicherung selbständig Erwerbstätiger macht die jahrelangen praktischen Erfahrungen mit ständischen Alterssicherungen Selbständiger interessant. Die Redaktion.

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Seit Jahren bestehen bei den Aerztekammern (auch Rechtsanwälten und Notaren) Vorsorgeeinrichtungen gegen Alter und Invalidität, die auch die Witwen und Waisen mit umfassen und finanziell gut, zur Zufriedenheit ihrer Mitglieder funktionieren. Dabei ist ihr Aufbau verschieden: „Erstens auf einem vorhandenen Kapitalstock plus Beiträgen entsprechend dem Einkommen, zweitens auf reinem Umlageverfahren und drittens auf einem Umlagebeitrag plus einem Aufstockungsfonds.“

Der Personenkreis ist überall gleich: eine bestimmte, nicht allzu große Personengruppe, alters- und erwerbsmäßig ziemlich einheitlicher Struktur, annähernd gleichbleibender Nachwuchs und gesetzliche Möglichkeit einer Pflichtteilnahme des ganzen Personenkreises. Die Risken sind statistisch und versicherungsmathematisch gut erfaßbar

Zu Beginn gab es überall eine große Zahl alter, kaum noch arbeitsfähiger, durch die Kriegszeit überbeanspruchter, um alle Ersparnisse, oft sogar um ihre Wohnung, Einrichtung und Betriebsmittel gebrachter Kollegen und mittellos gewordene Witwen und Waisen und verlorene Kapitalien und Versicherungen. Auf der anderen Seite zahlreicue, im Krieg ausgebildete Jungärzte, ohne Aussicht, in absehbarer Zeit zur Kassenpraxis und damit einer lebensfähigen Existenz zu kommen und schließlich zu einer wegen Kriegsfolgen und Besatzung gedrosselten Wirtschaft mit verminderten Kasseneinnahmen und unzureichenden Honoraren.

Die erschreckende Not der Alten, der Witwen und Waisen mußten die Kammern lindern, obwohl alle ihre alten Fürsorge- und Unter- stützungsfonds zerronnen waren. Der Ruf nach einer Alterssicherung wurde immer lauter, die im Augenblick verfügbaren Geldquellen flössen spärlichst. Eine Lösung aber mußte gefunden werden.

Unverzagt griffen die Ständevertreter in den Kammern das unlösbar scheinende Problem auf. Dort, wo durch einige günstige Umstände, wie in Oberösterreich, der Kapitalstock erhalten geblieben war, konnte durch Umlagen auf das Kasseneinkommen die Leistung aufrechterhalten werden. Wie war es aber dort, wo die Bomben gewissermaßen den Boden eingeebnet hatten?

Zwei Gedanken standen dabei im Vordergrund: Alle Ersparnisse und Versicherungen sind in nichts zerschmolzen — bei den Aelteren sogar zum zweitenmal — und die Einzahlung soll mit der späteren Auszahlung in einer Korrelation zum Kaufwert bleiben: ein Gedanke, den man später in den Begriff der „dynamischen Rente“ faßte.

Es ist klar, daß beide Forderungen in einem „primitiven“ Umlageverfahren mit einem variablen Schlüssel erfüllbar sind. Wenn beispielsweise das niederösterreichische Versicherungssystem festsetzte: alles, was im Monat Jänner an Leistungen auszuzahlen ist,

wird im Feber von den Teilnehmern eingehoben, und was an die Bezugsberechtigten ausbezahlt wird, muß in einem gleitenden Verhältnis zum Einkommen, das ist auch Kaufwert, stehen: zum Beispiel, die Höhe der Rente, ausgedrückt als so und so viele Hausbesuchsentlohnungen, die im Wert von der Kammer jederzeit dem Kaufwert angepaßt werden können. Wird die dem Kaufwert angepaßte Rente in möglichst kurzer Frist ausbezahlt und die dazu notwendige Gesamtsumme von den Mitgliedern eingefordert, so ändern Währungs- und Kaufkraftwandel nichts an dem Wert der Rente, das Kapital der Mitglieder ist bei der Vorsorgeanstalt nicht gefährdet und jegliche komplizierte Thesaurierungsund Verwaltungsarbeit fällt weg, verringert sich auf eine simple administrative Einhebe- und Ausgabearbeit mit zwischengeschalteter Multiplikation und Division. Im Wesen ist nun auch die moderne Sozialversicherung auf dem „Umlageprinzip“ auf gebaut und es ist auch ausdrücklich für jede Versicherung nach dem Gesetz anwendbar. Aber die dagegen erhobenen Einwände sind doch nicht nebensächlich.

Beginnt nämlich eine Alterssicherung an einem bestimmten Tag mit einem bestimmten Personenkreis und verspricht den Teilnehmern zum Beispiel mit 65 Jahren eine Rente, so werden anfangs wenig Anspruchsberechtigte da sein, deren Zahl allmählich steigt. Nach einer bestimmten Zahl von Jahren stellt sich zwischen Rentnerzuwachs und Nachwuchs der neuen Mitglieder ein Gleichgewicht ein, der „Beharrungszustand“, wie ihn die Versicherungsmathematik benennt. Mit anderen Worten: die Teilnehmer werden in den ersten Jahren ganz minimale Umlagebeiträge für die auszuzahlenden Renten entrichten müssen, allmählich aber immer mehr, bis diese vom „Beharrungszustand" an gleich bleiben. Die „Erstrentenbezieher" sind bevorzugt, die „Ersteinzahler“ benachteiligt. Diese Tatsache soll vorerst angenommen werden, obwohl sich rechnerisch aufzeigen läßt, daß auch für den benachteiligten „Ersteinzahler“ durch den Zinseszinsgewinn der im Anfang ersparten Beiträge die Mehrzahlung in den späteren Jahren ausgeglichen wird.

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