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Keine Komponisten in Wien?

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Der Generalsekretär des Wiener Konzerthauses, Peter Weiser, gab der „Presse” ein Interview zur Veröffentlichung, in welchem er darlegte, daß er nicht an die Bedeutung der in Wien lebenden Komponisten glaube und dię neue Musik ir Wien keinen Anklang fände; hingegen glaube er an die Wirksamkeit von Boulez, Lutos- lawski, Penderecki und Krenek, sie seiner Meinung nach die musikalische Situation in Wien entscheidend verändern könnten.

In einer an die APA übergebenen Antwort auf dieses Interview erklärten die Komponisten Dr. Friedrich Cerha, György Ligeti und Kurt Schwert- sik, infolge der Äußerungen von Herrn Weiser die Aufführungen ihrer Werke im Wiener Konzerthaus während der Dauer seines Generalsekretariats zu untersagen.

Im Anschluß daran erlaubt sich die Internationale Gesellschaft für Neue Musik (Vorstand der Sektion Österreich) folgende Stellungnahme:

• Die Behauptung des Herrn Generalsekretärs, nicht an die Bedeutung der in Wien lebenden Komponisten zu glauben, ist gleichbedeutend mit einer generellen Desavouierung dieser Künstler. Die IGNM muß daher im Namen der Komponisten, die zu vertreten sie die Ehre hat, nachdrücklich gegen diese Ausführungen Herrn Weisers protestieren. zumal er als Generalsekretär die für das österreichische Kulturleben wichtige Institution der Wiener Konzerthausgesellschaft repräsentiert.

Herr Weiser unterstellt, daß zum Beispiel die in Wien lebenden Komponisten Ligeti und Cerha — man könnte ebensogut Gottfried von Einem, Theodor Berger oder einige andere nennen — keine Bedeutung haben. Dagegen sprechen die Uraufführungen, die Aufführungsziffern und Erfolge dieser Komponisten im Ausland. Ligeti zählt, international ffesėhen, zu der kliiüen Gruppe der besten und bedeutendsten Komponisten der Gegenwart. Seine Werke werden in Europa und Übersee häufig gespielt, in Wien hingegen höchst selten. Leonard Bernstein hat Ligetis „Atmospheres” in New York dirigiert, und Herbert von Karajan bereitet dasselbe Werk mit den Berliner Philharmonikern vor. Das „Requiem” Ligetis, eines der meistgespielten modernen Werke, hat den Beethoven-Preis erhalten und wurde unter anderem unter der Leitung von Michael Gielen vor 2500 Zuhörern in der Berliner Philharmonie aufgeführt. Ähnlich ist es mit Cerha. Seine Hauptwerke wurden in Berlin, Hamburg, München, Stockholm und Donaueschingen urauf geführt, in Wien jedoch leider noch nicht einmal nachgespielt. Emst Krenek hat die Uraufführung von Cerhas „Espressioni” dirigiert. Auf - Einladung von Boulez haben Cerha und das Ensemble „die reihe” zweimal in Paris gastiert, wobei, ebenfalls auf Wunsch von Boulez, auch Stücke von Cerha gespielt wurden. Cerha und Ligeti haben beim Prix d’Italia beziehungsweise bei der internationalen Komponistentribüne der

UNESCO für Österreich Preise errungen.

Es zeigt sich also, daß zumindest zwei der von Herrn Weiser für Wien quasi „zur Kur” empfohlenen Persönlichkeiten eine zu seinen Anschauungen stark divergierende Meinung haben. Sie scheinen, gemeinsam mit Bernstein und Karajan, die internationale Bedeutung dieser beiden Komponisten längst erkannt zu haben.

• Herr Weiser führt in seinem Interview an, daß die Konzerte der „reihe” nur 96 Abonnenten gehabt hätten. Dies mag zutreffen, soweit es sich auf das Konzerthausabonnement bezieht. Es wurde aber verschwiegen, daß von den im Konzerthaus veranstalteten Konzerten mit neuer Musik der Musikalischen Jugend Österreichs ein Kontingent von je 300 Karten verkauft wurde. Es sei zugestanden, daß das übernommene Kartenkontingent finanziell nur von untergeordneter Bedeutung ist, aber es ist ein großer Unterschied, ob in der Öffentlichkeit erklärt wird, eine Veranstaltungsserie habe 96 oder 400 Abonnenten.

• Herr Weiser spricht davon, daß das Publikum selbst an den Konzerten der „reihe” keinen Anteil nimmt. Hierzu sei nur auf das „reihe”-Konzert verwiesen, das am 25. Oktober 1968 im Großen Sendesaal des österreichischen Rundfunks Radio Wien stattfand. Wie aus den Kritiken in den Tageszeitungen zu entnehmen ist, mußten an diesem Abend sogar Notsessel in den Saal eingeschoben werden.

• Herr Weiser beklagt sich außerdem über mangelnde Reso- nenz und das Fehlen von Auseinandersetzungen. Dazu sei festgestellt, daß man diese Auseinandersetzungen nur erreichen kann, wenn man neue Musik auch tatsächlich spielt. Im Konzerthaus werden jedoch projektierte Konzerte mit bedeutender neuer Musik (wie solcher von Penderecki ‘Und Ligeti) ‘häufig 1 entweder auf unbestimmte Zeit vefschobeft oder überhaupt xfb-’ gesagt. Im übrigen wird nicht jedes Stück neuer Musik dafür komponiert, Auseinandersetzungen heraufzubeschwören.

• Schließlich sind Subventionen nicht nur dazu da, um das Bedürfnis nach der Lust am Wiedererkennen von klassischer Musik zu befriedigen, sondern auch, um das Bedürfnis nach neuer Musik zu schaffen.

Der Vorstand der IGNM muß ernstlich zu bedenken geben, daß die Verhaltensweise von Herrn Weiser dem von ihm gewünschten „Schaffen eines Bedürfnisses” entgegenwirkt. Aus allen diesen Gründen glaubt sich der Vorstand der IGNM berechtigt und verpflichtet, der im Interview mit Herrn Weiser deutlich gewordenen Tendenz entschieden entgegenzutreten.

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