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Keine Lust, Soldat zu sein

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Die Streitkräfte der Vereinigten Staaten sind nach europäischen Begriffen die am besten ausgerüsteten, bezahlten und verpflegten der Welt. Im Vergleich zu den übrigen Vaterlandsverteidigern führen sie ein beinahe luxuriöses Leben. Und dennoch — so heißt es im Pentagon zu Washington auf Grund der Wahrnehmungen und Berichte der Truppenkommandeure — ist der Geist der Truppen nicht der beste, die Abwanderung in das Zivilleben im Offizierskorps nimmt ständig zu, und der Zuwachs an Berufsunteroffizieren ist gering. Es herrscht nicht nur unter den im Wege der allgemeinen Wehrpflicht ausgehobenen und zwei Jahre dienenden Soldaten eine Unlust zum Militärdienst, sondern auch bei den freiwillig langer dienenden Unteroffizieren, die als gut ausgebildete Spezialisten gleich den Offizieren der unteren Dienstgrade bei der ersten passenden Gelegenheit in das Zivilleben abspringen.

Im Rahmen der in Ausarbeitung begriffenen Reorganisation des Oberkommandos, durch die die bisher herrschende und manchmal fatale Rivalität der Waffengattungen untereinander,besonders auf dem Gebiet der ferngelenkten Geschosse und Raketen, beseitigt werden soll, will man auch die nicht ungefährliche Doppelerscheinung der Dienstunlust und der Flucht ins Zivil bekämpfen. Präsident Eisenhower beabsichtigt, zunächst eine Erhöhung des Wehrsoldes für Offiziere und Mannschaften von sechs Prozent- sowie ein Prämien-system für Spezialisten in den einzelnen Waffengattungen durchzusetzen. Ob der Kongreß zustimmen wird? Die Wehrmacht zählt gegenwärtig rund drei Millionen Offiziere und Mannschaften im Aktivdienst, die zusätzlichen Ausgaben wären also sehr beträchtlich. Sparen wird aber im gegenwärtig tagenden Kongreß groß geschrieben, da das Forschungsprogramm Unsummen verschlingt, die keineswegs durch sonderliche Erfolge wettgemacht werden.

Woher,kommt nun die Unlust zum Militärdienst? Die Antwort darauf ist nicht einfach. Sie liegt zunächst in der Wesensart des Amerikaners begründet. Er ist ein ausgesprochener Individualist trotz der äußerlichen Gleichförmigkeit des Lebens, und die Disziplin im militärischen Leben behagt ihm wenig, denn sie widerspricht zunächst einmal der ihm in der Jugend in Familie und Schule eingeimpften Anschauung, daß laut Unabhängigkeitserklärung alle Menschen mit gleichen Rechten geboren sind. In der Praxis allerdings gibt es da verschiedene Ausnahmen. Doch das nur nebenbei. Ferner war der Soldatenstand mit Ausnahme von Kriegszeiten in den USA nie besonders angesehen, ja er litt viele Jahrzehnte lang unter einer ausgesprochenen Geringschätzung, deren schnödester Ausdruck noch um die Jahrhundertwende auf Tafeln vor den Kneipen des Westens und Südwestens zu lesen stand: „Nigger, Hunde und Soldaten unerwünscht!“

Die zweite Wurzel dieser Unlust ist in der „Langweiligkeit“ des dauernden Bereitschaftsdienstes zu suchen. Des. Dienstes ewig gleichgestellte Uhr hat lange'Stunden, zumall*jntejt(£4 tischen Garnisonen, wie in Korea oder auf den Aleuten, in Nordafrika oder Alaska, dann in Deutschland oder in Frankreich. Jeder amerikanische Offizier weiß, wie schwer es ist, die Truppe jeweils so zu beschäftigen, daß den Mannschaften diese Beschäftigung auch wirklich sinnvoll . und unbedingt notwendig erscheint. Mit den befehlsgemäß durchgeführten „Indoktrinationsstunden“ allein ist es bei diesen schlack-sigen Individualisten von 18 bis 20 Jahren kaum getan, um so mehr, als sie in ihrem recht ausgeprägten patriotischen Stolz durch die heimatlichen Versager auf dem Gebiet der hohen Politik wie auf dem der Raketenentwicklung tief enttäuscht worden sind. Sie sind sich in der Mehrheit bewußt, daß ihr Vaterland wohl in zwei Weltkriegen gesiegt, aber den Frieden, der ihnen und ihren Vätern so rosig ausgemalt worden war, zweimal verloren hat. Natürlich sind auch dem Offizierskorps diese Gedanken nicht fremd, obwohl sie höchstens im vertrautesten Kreise in Worte gekleidet werden. Die politischen Versager drücken also auf die sogenannte militärische Moral und begünstigen die zweite Erscheinung dieser Krise in der Wehrmacht, die Abwanderung ins Zivil.

Sie ist übrigens nicht neuesten Datums. Bereits im Jahre 1956 stellte das Luftwaffenkommando mit Entsetzen fest, daß innerhalb von zehn Monaten viertausend Piloten nach Absolvierung ihrer Dienstpflicht in einträgliche Stellungen im Zivilleben gegangen waren. Die Ausbildung eines Piloten nimmt jedoch Jahre in Anspruch und kostet Zehntausende von Dollars. Nicht viel anders sieht es bei den Spezialisten in Heer und Marine aus. Die jungen Offiziere finden, daß sie eigentlich im Zivilleben ein besseres und angenehmeres Fortkommen finden. Die Bezahlung der Offiziere in der amerikanischen Wehrmacht ist nach USA-Begriffen unterdurchschnittlich. Als Kadett der Militärakademie in West Point erhält der zukünftige Offizier eine Monatsentschädigung von 111.15 Dollar plus einer Verpflegsration pro Tag in der Höhe von 1.3 5 Dollar. Davon hat er jedoch seine ganze Verpflegung, seine Uniformen, Lehrbücher und alle persönlichen Bedürfnisse zu bestreiten; umsonst erhält er nur Quartier und ärztliche Betreuung. Nach Absolvierung eines vierjährigen und sehr harten Lehrganges wird er schließlich als Leutnant ausgemustert und erhält ein Monatsgehalt von 222.30 Dollar nebst 68.50 Dollar Quaitiergeld (sofern ihm kein Quartier beigestellt wird) und einen sogenannten Subsistenz-beitrag von 47.8 8 Dollar. Der junge Offizier kommt demnach sehr knapp auf den Wochenlohn eines durchschnittlichen Facharbeiters im gleichen Alter. Abgerechnet werden ihm die Einkommensteuer und der Beitrag zum Pensionsfonds. Nur als Flieger bekommt er als Gefahrenprämie weitere 100 Dollar pro Monat. Die Aus-

Ifc iniJfIPfniienstJn vielleicht fünfzehn öder' meßr JaTifert- ium HauptmariVmlt 436.80 Dollar pro Monat zu avancieren, begeistert ihn um so weniger, als er meist verheiratet ist und Familie hat, die nicht gern in öden Garnisonen, Forts oder Lagern dauernd leben will.

Die Frage, warum sich junge Leute unter solchen Aussichten trotzdem der militärischen Laufbahn zuwenden, ist nicht schwer zu beantworten. Sie suchen eine erstklassige und kostenlose Ausbildung, die ihnen das Bakkalaureat der Wissenschaften bringt und gleichzeitig ein Sprungbrett in einträgliche Stellungen im Zivilleben ist. Bei den Mannschaftsdienstgraden ist es nicht anders. Die freiwillig weiterdienenden Leute vervollständigen im Laufe der fünf Jahre, für die sie sich verpflichten, ihre spezialistische Ausbildung und springen dann in Zivilberufe ab. Nicht unschuldig an diesem letzteren Zustand ist die Werbereklame, die die Wehrmacht selbst betreibt. Auf Riesenplakaten lockt die Möglichkeit: „Lerne auf Kosten Onkel Sams.“ Es folgt dann eine lange Liste der handwerklichen und technischen Ausbildungsmöglichkeiten, die sich der Freiwillige aussuchen kann. Und daß die Ausbildung nicht mustergültig ist, kann niemand behaupten. Für die Industrie sind die jungen Leute, die nach etwa sieben Jahren als hochqualifizierte Techniker oder Handwerker in Zivilberufe übertreten, natürlich das bekannte „gefundene Fressen“, die Wehrmacht wird aber wenigstens zum Teil eine Art Durchgangsstation.

Wohl ließe sich da gründlich Wandel schaffen, wenn... Der löbliche Kongreß aber ist in Nichtkriegszeiten traditionsgemäß wenig geneigt, durch eine entsprechende Besserstellung des Offiziers- und Unteroffizierskorps zunächst zu unterstreichen, daß der Dienst mit der Waffe für das Vaterland sehr wertvoll und achtenswert ist. Anderseits ließe sich auch dafür sorgen, daß die Abwanderung abgebremst wird. Der nach vier Jahren Akademie ausgemusterte Leutnant übernimmt nur eine Aktivdienstverpflichtung auf drei Jahre, kann also auf der Höhe der Jungmannesjahre abspringen. Vom Standpunkt der politischen Taktik ist es für die Mitglieder des Kongresses allerdings klüger, alles beim alten zu lassen, Sparsamkeit bei der Wehrmacht zu üben und so auf den Steuerzahler und Wähler einen guten Eindruck zu machen. Im Ernstfall wird dann erfahrungsgemäß das so entstandene Manko durch ein Dutzend oder mehr Milliarden wettzumachen versucht. In der allgemeinen Aufregung merkt das ja niemand.

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