6700794-1963_28_07.jpg
Digital In Arbeit

Kennedys Heimkehr

Werbung
Werbung
Werbung

Die Europareise Kennedys ist im Lande teilweise auf Kritik gestoßen. Man wies darauf hin, daß im Augenblick, wo einerseits im Kongreß die Civil Rights-Vorlage der zweifellos

militanten Diskussion harrt, anderseits die außerparlamentarischen Aktionen in der „Negerfrage“ sich offensichtlich zuspitzen, sein Platz in Washington wäre.

Der Präsident blieb unbeeindruckt. Er weiß, daß seine Gegenwart im Weißen Haus zur Zeit - wollte er nicht durch eine großzügige persönliche Versammlungskampagne sich direkt an die Nation wenden — nur die des abwartenden Beobachters sein kann.

Die Fronten formieren sich ohnedies: Die Negerführer kündigen im Falle südstaatlicher Obstruktion dem Zivilrechtsgesetz gegenüber einen Marsch der Hunderttausend auf Washington an. Die Anhänger der weißen Vorherrschaft sammeln sich ihrerseits zur systematischen Gegenaktion gegen seine Vorschläge.

Der nächste Zug liegt bei ihnen. Er

hat sie vor die Entscheidung gestellt. Außerdem war JFK, obwohl er den Ernst der Krise sehr wohl erkannt hat, die der Tempoverlust in der Lösung der farbigen Gleichberechtigung für

die USA heraufbeschworen hat, nicht nur der Auffassung, daß eine Absage der seit langem vorbereiteten Europagespräche den Eindruck erwecken könnte, die Regierung fühle sich nicht ganz Herr der Lage, sondern vor allem davon überzeugt, daß die übernationale Situation in Bezug auf eine Klärung der in der NATO aufgetauchten Meinungsverschiedenheiten sein Eingreifen notwendig macht.

Gute Ratschläge

Er weiß, daß Entscheidendes über die „New Frontiers“, die seine Administration zu erkämpfen versprachen, nicht nur in Mississippi und Alabama und im Kongreß der Vereinigten Staaten ausgetragen werden muß. Er weiß, daß in London und Paris, in Bonn und Rom, Pfeiler gestützt werden müssen, die ihren Bestand mitzusichern haben.

Man hat warnend darauf hingewiesen, daß die politischen Entwicklungen in Deutschland, England, Italien Fragezeichen in sich bergen: neue Männer, neue Konzeptionen mögen neue Stellungnahmen nötig machen. Es sei unklug, bevor man klarer sehen kann, verbindlich eine Europapolitik der USA zu formulieren.

Kennedy dürfte alle diese Einwände und Warnungen ernsthaft geprüft haben: Sie sind nicht ohne Logik.

Wenn er sich dennoch entschloß, zur gleichen Zeit, in der sein eigenes Land am Rande nicht ganz vorauszusehender innenpolitischer Auseinandersetzungen steht, sich im Interesse der „einen Welt“ des Nichtkommunismus persönlich an die Alliierten zu wenden, so bedeutet das eindeutig, daß der Repräsentant des mächtigsten Staates der westlichen Welt sich nicht nur als erster Diener seiner Nation fühlt, sondern sich der Verantwortung sehr bewußt ist, die diese Stellung ihm für eben diese Gemeinschaft freier Völker auferlegt.

Beruhigung in Deutschland

Abzuwarten bleibt, wie die „Adressaten“ seiner „Botschaft“ reagieren werden. Wenn man für den Moment die Reaktion de Gaulles beiseite läßt, den der amerikanische Präsident, ohne ihn beim Namen zu nennen, unmißverständlich vor unrealistischen Plänen gewarnt und dessen Zweifel an der Zuverlässigkeit amerikanischer Kampfbereitschaft für Europa er zurückgewiesen hat: Bei den Deutschen scheint JFK „angekommen“ zu sein. Die Begeisterung von Hunderttausenden scheint es zu beweisen. Ohne aus der kaum bestreitbaren Tatsache, daß vermutlich ein nicht gar zu kleiner Teil derer, die im Sprechchor diesmal „Kennedy, Kennedy“ riefen, einst mit donnerndem „Sieg Heil“ dem „Führer“ huldigten, voreilige Schlüsse auf die Beständigkeit der Begeisterung zu ziehen, hat der aufmerksame Beobachter den Eindruck, daß die offizielle bundesdeutsche Reaktion — etwas selektiv ist. Während begreiflicherweise die Versicherung des amerikanischen Präsidenten, man werde die eigenen Städte notfalls riskieren, um die westeuropäische Freiheit zu verteidigen, auf große Genugtuung stieß, die feste Haltung Kennedys gegenüber etwaigen östlichen Aktionen den Bundeskanzler zu der Feststellung veranlaßte, daß sich damit seine eigene Politik des letzten Jahrzehnts als richtig erweise, ist der bewegende Appell, den er an die amerikanische Nation am 10. Juni gerichtet hatte und dessen Grundgedanken er auch, wenngleich abgeschwächt, in Deutschland wiederholte, im Verhältnis zum Osten „umzuden-

ken“ und sich an den Gedanken friedlicher Koexistenz als Ziel zu gewöhnen, recht kühl aufgenommen worden. Was hier sorgfältig registriert wurde, ebenso wie die Tatsache, daß die offiziellen Mitteilungen über die stundenlangen Gespräche Kennedys mit Ehrhard und Brandt auffällig sparsam

waren. Soll der Eindruck vermieden werden, daß bei ihnen der Präsident der USA auf größeres Verständnis traf als bei dem greisen Kanzler?

Rückwirkungen in der Heimat

Nur die Zukunft kann zeigen, ob es Kennedy gelingen wird, die nächste deutsche Regierungsgarnitur auf seine pragmatische, unstarre, Aktionen nie aus vorgefaßten Meinungen, sondern aus dem Gewicht der jeweiligen konkreten Situation sich ableitende Politik einzuschwören. Im Moment kann es kaum zweifelhaft sein, daß er psychologisch zumindest die deutsche, vermutlich, neben der irischen, auch die britische und italienische Öffentlichkeit durch seinen unleugbaren Charme, die zweifellose Integrität seines Wollens, verstärkt durch eine natürliche,

angeborene Fähigkeit, die Akzente dem jeweiligen Auditorium eingehen, seiner Reden so zu verteilen, daß sie weitgehend in seinen Bann geschlagen hat. Bei seiner Heimkehr kann sich das auch innenpolitisch nur günstig auswirken: Das Deutschamerikaner-tum, die irischen und italienischen Katholiken (solche Feststellung ist natürlich nur in Konturen „wahr“!), die im allgemeinen mehr der konservativrepublikanischen Haltung zuneigen, dürften nicht unbeeindruckt von dem Begeisterungssturm bleiben, der den Präsidenten in ihrer jeweiligen alten Heimat umrauscht hat.

Wenn Kennedy so nach seiner Heimkehr sich der Auseinandersetzung um die Zivilrechtsfrage zu stellen haben wird, dürfte möglicherweise als Ergebnis der Europareise nicht nur eine Stabilisierung der NATO-Allianz zu verbuchen sein, sondern auch die psychologischen Voraussetzungen für das Einschwenken „gemäßigter“ Oppositioneller aus diesen Kreisen für sein Programm sich verbessert haben.

Der Präsident scheint recht daran getan zu haben, sich von der Reise nicht haben abraten zu lassen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung