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Kennedys zweites Jahr

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Mit Erstaunen liest man die der Papstwahl gewidmeten Kapitel des Buches. Sein Verfasser räumt zwar ein, daß die Reihe der Vikare Christi seit einem guten Jahrhundert gigantische Gestalten gehabt hat, „jedoch unterliegt es keinem Zweifel, daß der Papst nicht unbedingt die geeignetste Person unter den im Konklave versammelten Kardinälen sein muß“, er möchte, daß die Wählenden ihre Blicke hinausrichten, um die richtige Wahl zu treffen. Das mindeste, was P. Lombardi damit sagen möchte, ist, daß die Päpste der letzten hundert Jahre gut waren, aber auch

Man muß keineswegs der journalistischen Konvention Rechnung tragen, in der fast automatisch jeden Januar „ein Jahr der Entscheidungen“ vorausgesagt wird, in für 1962 eine nicht kleine Aii2ah| vpn,. ungelösten Probfemen Izifi sehert- dft Aem amerikanischen Präsidenten das Leben nicht gerade leicht machen dürften.

Kennedy hat ein Jahr lang die Gelegenheit gehabt, die USA mit Strategie und Taktik der „New Frontiers“ vertraut zu machen. Nicht alle Blütenträume reiften: innenpolitisch hat sich der Kongreß in mehr als einem Fall geweigert, im Wahlkampf als entscheidend definierten Plänen des Präsidenten zuzustimmen. Im besten Fall kam es oft zu Kompromissen, die weder Freund noch Gegner befriedigten.

Außenpolitik: Geduld

In der Außenpolitik scheint man mehr denn je auf Geduld angewiesen: die offensichtlich vom Weißen Haus beabsichtigte Flexibilität kann sich nur da auswirken, wo der Gegner, aber auch der Bundesgenosse und Neutrale willens ist, sich, auf die gleiche Ebene zu begeben.

Im ganzen werden es die gleichen Probleme sein, die im Vorjahr im Mittelpunkt standen: die Berlinfrage, Abrüstung, Atomtests auf dem weltpolitischen Parkett — dazu die. sorgsame Beobachtung des nicht mehr übersehbaren Strukturwandels der Vereinten Nationen mit den damit zusammenhängenden Folgen für aktive Führungschancen der USA.

Ob es ihr angenehm ist oder nicht, wird die USA darüber hinaus mit der Verantwortung für die Kongokrise, der festgefahrenen Laos-Situation, der sich anbahnenden Konflikte um die indonesische Forderung nach Eingliederung Holländisch-Neuguineas, Guatemalas Anspruch auf Britisch-Hondu-ras mit belastet werden, um nur einige die internationale Balance bedrohende Unruheherde zu erwähnen.

Die Exekutive wird in den meisten Fällen, durch ihre Experten beraten, an diese Probleme ohne direkte Rückfrage beim Kongreß herangehen können. Die Aufrechterhaltung militärischer Stärke, das Bekenntnis zur NATO und wohl auch die Aktion „Allianz for Progress“, um Castro immer mehr zu isolieren und gleichzeitig Hilfestellung für soziale Besserungen in den südamerikanischen

Staaten zu geben, dürften im Kongreß kaum auf Widerspruch stoßen.

Schuldhaftung für die UN?

Keineswegs sicher ist dagegen, ob JtJefnedyi. dje 2tistimiiir des .Kongresses zu der Übernahme einer 100 Millionen Dollar betragenden Schuldverschreibung für die Vereinten Nationen erhalten wird. Auch den Vorschlägen, die amerikanische Handelspolitik zu liberalisieren, um, in Zusammenarbeit mit dem europäischen „Gemeinsamen Markt“ der Wirtschaft der Ostblockstaaten ein in vielen Dingen gemeinsames • westliches Wirt-schaftsgebilde entgegensetzen zu können, ist die Ratifizierung durch das Parlament in keiner Weise gesichert, nachdem jetzt nach 15monatigen Verhandlungen die Europäische Wirtschaftsvereinigung und die Vereinigten Staaten übereingekommen sind, einer gegenseitigen Zollherabsetzung um zirka 20 Prozent zuzustimmen.

Der Präsident hat allem Anschein nach, um'nicht zur gleichen Zeit ztl viel „heiße EiseJi“ zur Diskussion tu stclferiggfy #e Absicht, di von ihm im Vorjahr so nachdrücklich verlangte Bundeshilfe für öffentliche Schulen (durch die — katholische — Argumentation zugunsten der Privatschulen kompliziert) im Moment zu forcieren. Auch das Schicksal der Vorlage, die die Einbeziehung der Krankenversicherung für ältere Personen in die Sozialversicherung vorsieht, ist unbestimmt.

In all diesen Fragen hat das Weiße Haus nicht nur mit der Opposition der Republikaner, sondern auch mit der der südstaatliche;i Demokraten zu rechnen.

Der kämpferische Wahlredner Kennedy hat im ersten Jahr seiner Amts- ' tätigkeit gelernt, das Mögliche zu wollen. Er hat Republikaner in sein Kabinett berufen, mit dem (mehr oder minder vielen Liberalen als „südstaatlich“ infiziert geltenden) Texaner Johnson als Vizepräsidenten ein ausgezeichnetes Arbeitsverhältnis gefunden, unterrichtet nicht nur die drei ehe maligen Präsidenten Hoover, Truman, Eisenhower, sogar Nixon von politischen Fragestellungen; er vermeidet es bewußt, als intransigenter Reformer aufzutreten.

Auffällig ist. daß, allen Rundfragen zufolge, seine Popularität weder darunter noch unter ausgesprochenen Fehlentscheidungen (Kuba) gelitten hat: im Gegenteil, er würde wahrscheinlich heute mehr Stimmen bekommen als bei der Wahl selbst.

Vertrauen der Nation gewonnen

Ein Problem (neben der Krankenversicherung und der Schulbeihilfe) bleibt allerdings ein Dorn im Fleisch: die Zivilrechtsgesetzgebung. Da er den guten Willen des Kongresses für die' vorher erwähnten Projekte für den .Augenblick dringender benötigt, vermeidet er es, die Opposition (vor allem in der eigenen Partei) hier durch zu starken Druck für ein umfassendes Zivilrechtsgesetzeswerk zu provozieren und überläßt es weitgehend seinem Bruder Robert Kennedy, durch Eingreifen des Justizministeriums in vielen Einzelfällen die Einhaltung bestehender Gleichberechtigungsvorschriften zu erzwingen.

Das Jahr 1962 hat aus dem ersten Kennedy-Jahr eine Fülle von Fragen übernommen. Aber es hat einen Präsidenten, der ihnen weder ausweicht noch sie leichtfertig zu Krisen führen lassen will — und der in einem fast erstaunlichen Maß das Vertrauen der Nation im „Lehrjahr“ gewonnen hat.

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