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Kernfragen der Bodenreform

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Es ist kein Zufall, daß heute nach dem zweiten Weltkriege allenthalben wieder die Bodenreform auf der Tagesordnung etlicher Staaten stand, denn ganz abgesehen von der rein politischen Seite dieses uralten Problems, bildet der empfindliche Mangel an Bodenprodukten nach langen Kriegszeiten stets einen mächtigen Impuls für die Aufrollung dieser Frage. Auch nach dem ersten Weltkrieg konnte man dieselbe Erscheinung beobachten und auch, wie das Beispiel der Bodenreform in der Tschechoslowakei dartut, verwirklicht sehen.

Uber die bisherigen Ergebnisse der Bodenreform in Ungarn wird berichtet, daß man dort nicht recht damit zufrieden sei — über die Resultate in anderen Ländern, wie beispielsweise in Preußen, liegen bisher noch keine ausführlicheren Berichte vor.

Die nach dem ersten Weltkriege durchgeführte Bodenreform in der Tschechoslowakei zeigte anfänglich bei der Bevölkerung lebhaftes Interesse für den sich bietenden Bodenerwerb. In dem Maße jedoch, als allmählich die drückende Lebens-

mittelknappheit der Kriegszeit wiederum normalen Verhältnissen zu weichen begann, versiegte auch der Landhunger und es dauerte infolgedessen lange Jahre, ehe der freigewordene Grundbesitz verteilt werden konnte, überdies war ein sehr fühlbares Zurückgehen der Ernteerträge zu verzeichnen. Nachdem das Beispiel der Tschechoslowakei sozusagen für die Praxis einer Neuverteilung von Grund und Boden und für das Studium dieses Problems als recht aufschlußreich angesehen werden darf, so liegt es nahe, sich damit näher zu beschäftigen. Dieses Beispiel erscheint um so lehrreicher, als es sich gerade in Böhmen und Mähren um Gebiete einer durchwegs fortschrittlichen Bodenkultur handelt, also keineswegs etwa um die Verteilung zusätzlich im Wege der Urbarmachung, Entsumpfung und dergleichen geschaffenen Neulandes. Man darf daher annehmen, daß in Ländern ähnlich intensiver Bewirtschaftungsform auch dieselben Erfahrungen and Feststellungen Geltung besitzen werden.

Zunächst wird also bei einer jeden Bodenreform in solchen Ländern wohl der Groß-

grundbesitz herangezogen, denn dieser allein stellt in Gebieten von hoher Kultur die Quelle dar, von wo der zu verteilende Boden abgeschöpft werden kann. Hiebei tritt in Erscheinung, daß nach Abparzellierung der größten Teile des Großgutes ein Rest mit den Gebäuden verbleibt, welch letztere bisher für ein x-fach größeres Areale berechnet gewesen waren, jetzt aber mit den hohen Erhaltungskosten den verbliebenen Bruchteil der Nutzflächen belasten. Doch dies trifft vor allem den bisherigen Großgrundbesitzer. Für die gesamte Volkswirtschaft jedoch ergibt sich der Umstand, daß bei der Neuerrichtung von Bauern-siedlun^en auf den neu verteilten Flächen in Summa und einzeln sehr hohe Einrichtungs-koseen aufgewendet werden müssen. Diese Anfangskosten lassen sich schon -aus dem Grunde weder umgehen noch aufschieben, weil der neue Bauernsiedler doch gleich anfangs eine Wohnung, Stallungen, Vorratsgebäude und weiter Ackergeräte, Spann-und Melkvieh sowie Saatgut dringend benötigt. Außerdem muß man fürs erste Jahr, zumindesten bis zur ersten Ernte, seinen Lebensunterhalt sicherstellen. Hier liegt aber eine der Kernfragen des ganzen Problems, denn diese gewaltigen Aufwendungen sind mit dem Angeführten nicht erschöpft, sondern es verbleiben noch jene meist kostspieligen Neueinrichtungen und Herstellungen, die die neue Siedlungsgemeinschaft nicht entbehren kann, also Straßen und Wege, Trink- und Nutzwasservorsorgen, Kanalisationen und andere lebenswichtige Gemeindeerfordernisse. Alle diese Dinge verlangen ein Sofortprogramm, wenn nicht ernste und verlustbringende Störungen eintreten sollen.

• Eine solche außergewöhnliche Mobilisierung von Geld und Sachgütern ist auch in normalen Zeiten schwierig und erfordert wohldurchdachte Maßnahmen, wie die Erfahrung lehrte. Nach langen Kriegen, also wenn der Landhunger am größten zu sein pflegt und die Kapitalskraft erschöpft ist, bedeutet dies jedoch ein kaum lösbares Problem. Die Bodenreform steht dann vor dem Dilemma, die frei werdenden Grundstücke anstatt land- und mittellosen Landleuten zu geben, dieselben entweder an reiche Bauern zur Vergrößerung ihres Besitzes oder an landfremde, unsachkundige Leute zu verteilen, die sich vom Landbesitz eine Verbesserung ihrer knappen Lebensmittellage erwarten und vor allem in der Lage sind, die Bau- und Einrichtungskosten aufzubringen. Die eigentliche Schaffung von Neusiedlungen und die Kräftigung und Förderung eines gesunden Bauernstandes tritt jedoch demgegenüber in den Hintergrund, obwohl sie das vornehmst Ziel der Bodenreform sein sollte.

Hier liegt auch der Grund, warum bisher die neuzeitlichen Bodenreformaktionen auf Schwierigkeiten gestoßen sind.

Es müssen also alle materiellen Voraussetzungen geschaffen werden, bevor darangegangen wird, die Reform durchzuführen, damit keine volkswirtschaftlich untragbaren Betriebslücken in der landwirtschaftlichen Produktion entstehen. Es muß jedoch auch darauf Bedacht genommen werden, daß die Legislative jene Vorarbeit rechtzeitig leistet, die den Neubauern ihren Besitz sichert. Die Sadie ist genug kompliziert, denn beispielsweise waren im Rahmen der alten Donaumonarchie in einzelnen Kronländern die Bauernhöfe wohl unteilbar nach dem Majoratserbrecht vererblich, in andern jedoch erbten die Kinder zu gleichen Teilen, wie es in Galizien der Fall war. Letzteres bedeutet aber bei kinderreichen Familien schon in der ersten Generation eine weitgehende Zersplitterung des Bodenbesitzes, die nicht erwünscht sein kann.

In stärker industrialisierten Ländern wiederum zeigt sich gerade nach langen Kriegen die eingangs erwähnte „Flucht aufs Land“ und kann die für die Industrie nötigen Arbeitskräfte in dem Maße abziehen, daß auch hier Betriebsschwierigkeiten entstehen. Umgekehrt fließt der aufs Land tendierende Menschenstrom zu einem erheblichen Teile wieder vom Lande zur Stadt, beziehungsweise zu den Industrien, sobald normale Verhältnisse eingetreten und wieder die noch immer beobachtete „Landflucht“ zum Ausdruck kommt. Dies sind wohl Anfangsschwierigkeiten, aber erfahrungsgemäß dauert es doch mehrere Jahre, ehe sich da ein gewisses Normalgleichgewicht zeigt, auf dem man dann weitere Maßnahmen basieren kann.

Eine weitere Kernfrage der Bodenparzellierung gipfelt in der Erwägung, ob die Aufteilung des größeren Grundbesitzes die landwirtschaft-

liehe Produktionskraft herabdrückt oder stärkt?

Ober diese Frage wurde viel gestritten, aiber die Stichproben, die dieser Frage gewidmet wurden, sind relativ allzu kleinen Umfanges, um eine allgemeingültige Regel aufstellen zu können. So zum Beispiel verglich J. Kühn die disponiblen Getreideüberschüsse von 43 mittleren Bauern im Großherzogtum Baden mit 23 Rittergütern Ostpreußens und kam zu dem Resultat, daß die Bauerngüter mehr Getreide auf den Markt brachten als die Rittergüter. Nun sind jedoch die Ertragsverhältnisse Badens ganz andere als jene Ostpreußens, außerdem ist, wie erwähnt, die Anzahl der Vergleichs-objekte allzu gering. Demgegenüber wurde im Generalgouvernement Lublin der ehemaligen k. u. k. Militärverwaltung Polens vom Großgrundbesitz, soweit er intakt war, etwa doppelt so viel Getreideüberschuß abgeliefert als von den bäuerlichen Gütern. Auch in der Tschechoslowakei waren während der beiden letzten Jahre des ersten Weltkrieges die Getreideüberschüsse beim Großbesitz erheblich höhere als bei kleinen Landwirtschaftsbetrieben.

Wie immer dem sein mag, sicher ist, daß ein rationell und fortschrittlich betriebener Großbesitz leistungsfähiger ist als Kleinwirtschaften. Schon darum, weil derselbe die volle Auswertung von Dampfpflügen und Motorgeräten gestattet und sonst auch alle Vorteile für sich hat, die nur ein Großbetrieb haben kann, also neben der intensiveren Bodenbearbeitung rechtzeitige und raschere Dispositionsmöglichkeiten und die Anlage und Betrieb von landwirtschaftlichen Industrien, wie Brennereien, Zucker- und Stärkefabriken und dergleichen mehr gestattet und die Verwertung der Fabrikationsmassenabfall-stoffe im eigenen Betriebe ermöglicht. Insbesondere in klimatisch unsicheren Gebieten wirkt sich die Raschheit der Motorackerung und -bearbeitung günstig aus, wo es darauf ankommt, die relativ geringere Anzahl der Tage, wo eine Arbeit möglich erscheint, rasch auszunützen. Bei Kleinbetrieben besteht durch genossenschaftlichen Zusammenschluß wohl die Möglichkeit, zum Beispiel einen Dampfpflug anzukaufen und gemeinsam zu betreiben, doch fehlt die freie Dispositionsfähigkeit, weil eben ein jeder Genossenschafter der Reihe nach zur Dampfpflugarbeit gelangt, also nicht immer die gerade dem Witterungsstande nach günstigste Zeit auszunützen vermag.

Es soll hier nicht auf all diese Detailfragen erschöpfend eingegangen, sondern vielmehr die weitere Frage berührt werden, bis zu welchem Ausmäße eine Bodenreform durchzuführen sei, um allen Anforderungen gerecht werden zu können und um die Volkswirtschaft eines Landes anstatt zu schwächen, zu kräftigen. Fragen wir uns dabei, ob dies überhaupt möglich ist, so ergibt sich die Beantwortung von selbst, denn wenn auch die Verhältnisse in den verschiedenen Ländern oft grundverschiedene sind, so ist für alle Fälle ein gewisser Mittelweg das Optimum dessen, was da erreicht werden kann.

Vor allem sollte in erster Linie auf jenen Großgrundbesitz gegriffen werden, der seine Aufgabe als vorbildlicher und gewissermaßen als Musterbetrieb nicht erfüllt und dauernd rückständig bleibt, denn gerade die Großgüter sind dazu berufen, fortschrittliche Betriebserrungenschaften einführen zu helfen, um die Produktionskraft des Landes zu fördern. Weiter sollten die örtlichen Verhältnisse volle Beachtung finden und auf die lokale Industrie Rücksicht genommen werden, wo allerdings die Verteilung kleinerer Splitterparzellen wirtschaftlich wichtig sein kann, da sie der industriellen Bevölkerung kleine, nebenberuflich zu nutzende Flächen zur Verfügung stellt, die das Einkommen beachtlich zu erhöhen vermögen. Schließlich weist fast ein jeder Großbesitz ganze Schläge und Flächen auf, die, der externen Lage nach, nur schwer und unrationell zu bewirtschaften sind, dagegen ausgezeichneten Siedlungsgrund darstellen könnten. Auf diese Weise gelangen vielleicht mehr Grundstücke zur Verteilung, als man anzunehmen geneigt ist. Damit würde eine erste Etappe der Bodenverteilung jedenfalls zum Nutzen der Volkswirtschaft bewirkt werden können. Eine zweite Etappe würde dann schon normalen Verhältnissen angepaßt sein, die den wirklichen stabilen Bodenbedarf klarer erkennen lassen wird als die abnormale Zeit nach dem Kriege. Diese zweite Etappe würde aber auch die Frage klären, bis zu welchem Maße der Großgrundbesitz als Lehrgut und rationelles Betriebswesen erforderlich erscheint. Endlich würde man mit dieser Vorgangsweise vielleicht auch verhindern, daß ohne entsprechende Vorausmaßnahmen und Vorbereitungen großen Stils etwa übereilt parzelliert wird und Mißerfolge eintreten.

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