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„Kinder des Kommunismus“

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Über die heutige kroatische und „jugoslawische“ Jugend werden in der Auslandspresse nur sehr spärliche Äußerungen laut. Dabei gibt es einiges Charakteristisches an dieser Jugend, das Beachtung verdient. In Kroatien sind heuer allein über 100 Studenten verhaftet worden — man weiß nichts über ihr weiteres Schicksal. Ein hohes Mitglied der Kroatischen Kommunistischen Partei beklagte sich neulich in einem Emigrantenkreis, daß unter den zahlreichen Prozessen gegen die kroatische studentische Jugend, die auch in der Weltpresse registriert wurden, in den letzten Jahren vier Gerichtsverhandlungen stattfanden, von denen weder die heimische noch die ausländische Öffentlichkeit etwas erfuhr. Der Besucher aus Zagreb weinte vor Erbitterung darüber, daß der Brutalität des Polizeiapparats in Jugoslawien in der Auslandspresse so wenig Aufmerksamkeit geschenkt wird. Die Enttäuschung jener Kroaten, die sich im zweiten Weltkrieg den Partisanen angeschlossen hatten mit dem Ziel, ein neues Jugoslawien zu schaffen, in dem keine nationale Intoleranz mehr herrschen werde, ist heute grenzenlos. Gerade die häufigen Studentenverhaftungen und Prozesse in der kroatischen Hauptstadt bestätigen, daß Titos Bemühungen, die geschichtlichen Spannungen zwischen Kroaten und Serben zu lösen, gescheitert sind. John Küster stellte in der Zeitung „Das andere Deutschland“ (August, Nr. 16/1965) — nach einer Jugoslawienreise — fest, „daß es barer Unsinn sei, von einem typischen Jugoslawen reden zu wollen. Es gibt nicht den Jugoslawen, allenfalls den Kroaten, Serben oder Makedonier“. Dem könnte man hinzufügen, daß es nur einen „typischen Jugoslawen“ gibt: den Angehörigen der gutfunktionierenden Geheimpolizei ...!

Verlorene Generation ...

Vor einigen Jahren wurde in Jugoslawien der Student Ivan Masina ermordet. In ihm beklagt die junge kroatische Generation, die sich mit dem Geist Johannes' XXIII. verbunden fühlt, ein Opfer, das noch sehr lange als Symbol des Widerstandes leuchten wird. In der Londoner Zeitung dieser Nachkriegsgeneration „Nova Hrvatska“ sowie in anderen Publikationen sind in den letzten Jahren erschütternde Zeugenaussagen über die Leiden junger Kroaten in Gefängnissen von Goli Otok, St. Gradiska und Lepog-lava veröffentlicht worden. Alle Verfolgungen aber und organisierten Polizeibespitzelungen konnten nicht verhindern, daß die kroatische intellektuelle Nachkriegsgeneration schon zwanzig Jahre lang kühn gegen den Kommunismus polemisiert und „antisozialistische“ Romane und Gedichte schreibt, in die Emigration flüchtet, ständig neue Zellen organisiert und Flugblätter verteilt.

Das Zagreber Blatt „Glas koncila“ („Die Stimme des Konzils“) weiß in letzter Zeit zu berichten, daß sich Studenten und Arbeiterjugend immer mehr mit religiösen Fragen beschäftigen. Für religiöse Fragen interessieren sich vor allem jene jungen Leute, die auf keiner Seite stehen, die Nichtengagierten, Sie suchen einen neuen Ausgangspunkt, Wege für eine eigene Entscheidung und Lebensorientierung. „Keiner von ihnen will kategorisch den Glauben ablehnen, wie es z. B. jene tun, die sich durch die Erziehung im Elternhaus eindeutig atheistisch festgelegt haben... loh las Sören Kierkegaard ... Die Eltern haben mir keine Wege gezeigt... Erst jetzt, nach so vielen inneren Kämpfen und da ich bereits 22 Jahre alt bin, kehre ich zum Christentum zurück“ — erklärte im „Glas koncila“ einer von jenen jungen Menschen, die in dem 32jäh-rigen Schriftsteller Mihajlo Mihaj-lovs ihren Wortführer sehen.

Die Huligans

Diese erfreuliche Tatsache kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß die Probleme der Jugend heute in Jugoslawien viel größer sind als z. B. in Österreich. Selbst Tito und seine nächsten Mitarbeiter müssen immer wieder zugeben, daß der Großteil der Jugend auf Abwege geraten ist. Vielen fehlt der Glaube an die Zukunft. Mit der langjährigen Propaganda, besonders aber mit der Bekämpfung nationaler Gefühle und politischer Aktivität der jungen Menschen wurde ihr persönliches und patriotisches Bewußtsein vernichtet. Daneben ist heute besonders die Kriminalität unter Jugendlichen verbreitet. Plünderungen, Diebstähle, Vergewaltigungen und Mordanschläge der Huligans (so werden in Jugoslawien die Halbstarken bezeichnet) sind an der Tagesordnung, und die verantwortlichen Pädagogen, Politiker und Jugendführer wissen nicht, wie sie zu bekämpfen sind. In der Presse kann man oft „Interviews“ mit solchen Huligans lesen.

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