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Kirche in der Industriewelt

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Die Situation in der Diözese St. Pölten zeigt Als neues Phänomen muß in unserer Diözese letzten Jahren in vielen Notlagen helfen kön- in sozialer Hinsicht die gleichen Erscheinungs- in zunehmendem Maße der Fremdenverkehr be- nen und wird derzeit noch weiter ausgebaut, formen wie die Gesellschaftsstruktur im übrigen zeichnet werden. Er ist gegenüber dem Vorjahr Sind auch in den letzten zehn Jahren mehr Österreich: eine Entwicklung zur industriellen allein im Monat Mai um 26 Prozent gestiegen, als 10.000 Menschen, vor allem Jugendliche,

Welt hin. Orte des Waldviertcls wie auch des Voralpen- aber auch nicht wenig Männer und Frauen,

Wohl sind von den rund 630.000 Einwohnern landės, vor fünf bis sechs Jahren noch verträumt durch das diözesane Exerzitien- und Bildungs- unserer Diözese noch immer 220.000 in der und abgeschieden, weisen im heurigen Sommer heim in Wallsee gegangen, so hat sich doch Landwirtschaft beschäftigt, doch sind das heute kein freies Bett auf und haben gegenüber dem herausgestellt, daß dieses Bildungsheim nicht nur noch 35 Prozent gegenüber 60 Prozent vor Vorjahr eine hundertprozentige Steigerung der mehr den Anforderungen der modernen Zeit ge- dreißig Jahren. Besonders in den ärmeren Ge- Besucherzahl zu verzeichnen. War in den west- wachsen ist. Diesem drängenden Anliegen wird bieten des Waldviertels ist eine starke Abwan- liehen Diözesen der Fremdenverkehr zu einem nun in einem neuen Bildungs- und Exerzitien- derung der bäuerlichen Bevölkerung (bis zu seelsorglichen Problem geworden, so beginnen haus in der Bischofstadt, das den Namen neun Prozent), vor allem der Jugend, nach den sich die Auswirkungen in den letzten Jahren Hippolyt-Haus führt, Rechnung getragen. Die industriellen Gebieten festzustellen. Ähnliche auch in unserem Diözesangebiet mit ihren posi- Eröffnung dieses modernen Bildungszentrums, Erscheinungen, wenn auch in geringerem Maße, tiven und negativen Erscheinungen bemerkbar das 108 Personen (48 Exerzitanten und 60 Schu- zeigen die Bezirke des Voralpenlandes. zu machen, positiv durch das nicht selten vor- lungsteilnehmer) beherbergen kann, soll am

Bedenkt man, daß in unserem Diözesangebiet bildliche religiöse, Beispiel vieler Touristen, ne- 1. Oktober dieses Jahres erfolgen,

insgesamt 507 Gemeinden, das sind 49 Prozent, gativ durch das Aufleben der Vergnügungs- Die Arbeit des Katholischen Bildungswerkes als „Bergbauerngemeinden“ anzusprechen sind, Industrie und das Beispiel und Übergreifen einer konnte von Jahr zu Jahr besser ausgebaut wer- dann ist diese Abwanderung im Zuge der heu- gelockerten Moral auf die Heimatbevölkerung, den. Im Jahre 1960 besuchten 87.000 Teil- tigen Mechanisierung der Landwirtschaft ver- In seelsorglicher Hinsicht ist in unserer Diö- nehmer die Veranstaltungen des Katholischen ständlich. zese in erfreulicher Weise eine Neubesinnung Bildungswerkes unserer Diözese.

Die Zunahme in Gewerbe, Handel und In- des katholischen Denkens und der sozialen Eine Lebensfrage stellt für die Diözese das dustrie hingegen ist deutlich feststellbar. Von Verantwortung des mündigen Christen zu ver- Problem des Priester- und Ordensnachwuchses insgesamt 22.477 Betrieben sind 321 als echte zeichnen. Ein äußerer Beweis dafür waren die dar. Hier konnte die Lücke, die durch die Industriebetriebe anzusprechen. 38 Prozent der großen Kundgebungen der letzten Jahre wie Kriegszeit verursacht wurde, noch nicht wieder Diözesanbevölkerung arbeiten in diesen Berufs- auch der intensive Aufbau der Gliederungen der geschlossen werden. Die Zahl der Alumnen, die gruppen, sie sind also auch in unserer Diözese Katholischen Aktion. So hat der sozial örien- sich im Priesterseminar in St. Pölten auf das bereits stärker vertreten als die landwirtschaft- tierte Katholikentag im Jahre 1958 30.000 Priestertum vorbereiten, und der Studenten in liehe Bevölkerung. Menschen in der Bischofstadt vereinigt. Unge- den beiden Knabenseminaren Melk und Seiten-

Hierbei darf nicht übersehen werden, daß die fahr die gleiche Zahl wallfahrtete im vergange- stetten hat, obwohl sie erfreulicherweise im vom bäuerlichen Beruf in die Industrie abge- nen Jahr in Großveranstaltungen der einzelnen Steigen begriffen ist, auch heute noch nicht die wanderten Personen in politischer Hinsicht meist Naturstände anläßlich des Jubiläumsjahres nach Höhe der Vorkriegszeit erreicht, nicht ihre angestammte Weltanschauung wählen, Maria-Taferl. Der vom Katholikentag initiierte Schwer geschädigt wurden durch die Ungunst sondern ihren sozialen Standort, geprägt durch Familienfonds konnte 109 Darlehen im Werte der Kriegszeit die männlichen und weiblichen die Interessenvertretungen der Betriebe. Dies von fast einer Million Schilling an Brautleute Orden und Kongregationen. Welche Bedeutung hat zur Folge, daß christliche Traditionen häu- und junge Ehepaare zur Beschaffung von Wohn- für die Diözese der Arbeit dieser Gemeinschaf- fig aufgegeben werden. Bleibt ererbtes Glaubens- raum und Gründung eines Hausstandes zinsen- ten zugebilligt werden muß, mag ein beispielgut aber erhalten, dann wird es bewußter und los gewähren. Der soziale Beratungsdienst der hafter Hinweis auf die Institute der Englischen persönlicher gelebt und vertreten. Katholischen Aktion hat gerade in den beiden Fräulein in St. Pölten und Krems demonstrieren,

die heute von etwa 1600 Mädchen — vom Kindergarten bis zum Mädchenrealgymnasium — besucht werden. 600 Studenten besuchen die beiden Stiftsgymnasien in Seitenstetten und Melk. Der Förderung des Nachwuchses für die männlichen und weiblichen Orden und Kongregationen wird daher in Zukunft besondere Aufmerksamkeit zu widmen sein.

Da wir es gerade heute so sichtbar erleben, wie die Familie das Bollwerk gegen alle schädlichen Zeiteinflüsse sein kann und muß, wurde vor Jahren der Katholische Familienverband gegründet, der sich vor allem der Vertretung der materiellen Anliegen der Familie widmet, während die religiös-sittlichen Anliegen der Familie vom Familienwerk der Katholischen Aktion wahrgenommen werden. In Planung begriffen ist ein Familienerholungsheim, für dessen Errichtung durch den Kauf eines geeigneten Objektes in Maria-Langegg im Dunkelsteinerwald eben eine wichtige Voraussetzung geschaffen wurde. Schließlich soll noch angeführt werden, daß die Caritas der Diözese die Errichtung eines Heimes für Rentner und Pensionisten plant, um der immer mehr in den Vordergrund tretenden Sorge um die alternden Mitmenschen Rechnung zu tragen.

Alle diese Anliegen und Probleme bedürfen zu ihrer Bewältigung beziehungsweise zu ihrer Lösung in den nächsten Jahren und Jahrzehnten noch gewaltiger Anstrengungen. Die soziologische Umschichtung der Diözesanbevölkerung und die in Gang befindliche Umwandlung eines Christentums, das durch Herkommen und Gemeinschaft getragen war, in ein Christentum, bei dem es mehr und mehr auf persönliche Entscheidung und missionarischen Einsatz ankommt, haben die Überprüfung der Formen des kirchlichen Lebens und der Methoden der Seelsorge notwendig gemacht. Diese Aufgabe soll durch die Diözesansynode 1961 wahrgenommen werden, die unter der Devise „Zeitgemäße Seelsorge mit besonderer Berücksichtigung des Laien- apostolates“ in den ersten Oktobertagen stattfinden wird.

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