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Kirche, Kreml und Kontakte

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Mit dem Eintritt der Sowjetunion in den Krieg 1941, der ja vom Sowjetregime als vaterländischer Krieg und nicht als einer für die Weltrevolution hingestellt wurde, war es für die Sowjetregierung wichtig, durch intensive russisch-nationalistische Propaganda die Widerstandskraft und den Kampfesgeist der Bevölkerung zu stärken. Dazu konnte die russischorthodoxe Kirche einen wesentlichen Beitrag leisten. Sie übernahm nicht ungern die ihr übertragene Rolle. Die Popen predigten nicht nur den Patriotismus und die Pflicht der Vaterlandsverteidigung, sondern sie führten auch Aktionen wie Geldsammlungen in der Kirche durch, dank welchen der Armee Panzerwagen und Flugzeuge geschenkt werden konnten. Stalin mußte darum in seiner Kirchenpolitik einen Schritt weiter gehen.

Seit dem Tode des Patriarchen Tychon war das Patriarchat verwaist geblieben. Im Widerspruch zum Religionsgesetz hatte die Sowjetregierung den Zusammentritt einer allrussischen Kirchensynode verhindert, so daß nur ein Patriarchatsverweser ernannt werden konnte. Jetzt erklärte sich der Kreml bereit, dieses Provisorium beenden zu lassen. 1943 wurde wieder ordnungsgemäß von einer Generalsynode ein Patriarch gewählt. Knapp darauf empfing dann Stalin in seiner Eigenschaft als Regierungschef der Sowjetunion den Neugewählten. Das war mehr als nur eine formale Geste. Es bedeutete eine Konsolidierung der Stellung der russisch-orthodoxen Kirche innerhalb der sowjetischen Oeffentlichkeit. Es war das erstemal, daß ein sowjetischer Regierungschef einen kirchlichen Würdenträger in offizieller Audienz empfing und ein amtliches Kommunique darüber veröffentlicht wurde. Durch diese Tatsache allein sah sich jeder höchste oder kleinste Polizeibeamte bis in die tiefste Provinz veranlaßt, höflich, zumindest vorsichtiger als bisher, sich der Geistlichkeit gegenüber zu benehmen. Bald folgten weitere Ehrungen, die propagandistisch wirken sollten. Dem Patriarchen und einigen Metropoliten und Erzbischöfen wurden Kriegsverdienstmedaillen verliehen. Das wurde* ebejifallr#lJiSjt, ob- jj wohl; sonst die Verleihung von Medaillen dieses Grades nicht veröffentlicht zu werden pflegten. Doch bald wurde die Moskauer Bevölkerung Zeuge einer noch weiteren Ueberraschung. Bei den festlichen Paraden am 7. November und am 1. Mai waren auf einer besonderen Ehrentribüne, neben derjenigen des diplomatischen Korps, der Patriarch und die in Moskau anwesenden Metropoliten und Erzbischöfe als Ehrengäste der Sowjetregierung zu sehen. Seither ist die Anwesenheit der hohen Geistlichkeit an den beiden höchsten Staatsfeiertagen auf dem Roten Platz ein Teil des sowjetischen Protokolls.

Es entbehrt nicht einer gewissen Pikanterie, wenn man das Neue mit der Vergangenheit vergleicht. 1934 war ich in Leningrad. Ich besuchte die Kathedrale des heiligen Isaak, damals als antireligiöses Museum eingerichtet. Von der Kuppel hing ein Pendel, das sich in dauernder Bewegung befand. Aus einer langen Erklärung konnte ich ersehen, daß mit diesem Pendel bewiesen werden sollte, daß Gott nicht existiere. Ich habe damals diese lange Erklärung mindestens dreimal gelesen, konnte jedoch nicht verstehen, warum gerade dieses Pendel das Nichtsein Gottes beweisen sollte. Dagegen waren die andern Schaustücke eindeutig klar. Sie richteten sich ausschließlich gegen die Geistlichkeit und die Kirche. Besonders reichhaltig war die Sammlung unter dem Motto „Du sollst nicht töten!“ Da waren Bilder, auf welchen Feldgeistliche in vollem Ornat mit erhobenem Kreuz die stürmenden Regimenter anführten. Da war eine ganze Sammlung von Zeitungen aus dem ersten Weltkrieg, in denen berichtet wurde, wie die Geistlichkeit in den Kirchen Geld für die Armee sammelte und für dieses Geld Geschützbatterien der Armee schenkte. Es waren natürlich auch Bilder da, wie die Geistlichkeit diese Geschütze segnete und weihte. Eine ganze Sammlung von Kriegsverdienstmedaillen, die vom Zaren an Geistliche verliehen worden waren, befand sich ebenfalls dabei.

Jetzt schenkte die russisch-orthodoxe Kirche der Armee nicht Geschütze, wohl aber Panzerwagen und Flugzeuge. Die dafür verliehenen Medaillen zeigten statt des Zarenbildes das Sowjetwappen mit Sichel und Hammer. Sonst jedoch hatte sich nichts geändert. Man erkennt daraus, daß die Sowjetpolitik gerade in der Frage von Religion und Kirche im Grunde mehr oder weniger prinzipienlos ist und nur vom unmittelbar politischen Nutzen sich leiten läßt.

Nach dem Kriege verlieh die Sowjetregierung dem Patriarchen den Orden vom Roten Arbeitsbanner. Es ist dies einer der beiden ältesten Sowjetorden, die noch von Lenin gleich nach der Revolution gegründet wurden, und der einzige Orden, den Lenin selbst besaß.

Selbstverständlich zogen allmählich aus dieser Entwicklung auch die nicht orthodoxen Religionsgemeinschaften Vorteile. Notgedrungen mußte ihre Stellung derjenigen der russisch-orthodoxen Kirche angeglichen werden. Doch trotz formaler Gleichberechtigung blieb die russisch-orthodoxe Kirche die privilegierte. Sie war bisher auch die einzige, der von Seiten der Sowjetregierung Ehrenbezeigungen zuteil wurden.

Es stellt sich nun die Frage: Wie ist nach der geschilderten Entwicklung die Stellung von Religion und Kirche in der Sowjetunion? Wie stark ist insbesondere die russisch-orthodoxe Kirche und welchen Einfluß übt sie auf die Sowjetpolitik aus?

Wenn man die Frage aufwirft, ob es in der Sowjetunion eine uneingeschränkte Glaubensund Gewissensfreiheit gibt, so muß diese Frage eindeutig verneint werden. Es ist wahr, daß sich einfache Arbeiter und Bauern, kleine Angestellte und vielleicht noch Wissenschaftler und parteilose Spezialisten offen zu einem religiösen Glauben bekennen können, ohne dadurch Nachteile zu erleiden. Doch die über sechs Millionen Parteimitglieder sind verpflichtet, erklärte Atheisten zu sein. Auch die Mitglieder des kommunistischen Jugendbundes können nicht gleichzeitig einer Religionsgemeinschaft angehören. Für etwa 20 Millionen Menschen ist also auf diese Weise die Religion verboten! Nun könnte man einwenden, daß niemand verpflichtet ist, der Partei oder dem kommunistischen Jugendbund anzugehören. Das stimmt allerdings. Trotzdem ist der Einwand unrichtig. Denn Partei und Staat sind in der Sowjetunion ein und dasselbe. Die Partei ist verfassungsmäßig der leitende Kern sämtlicher staatlicher und öffentlicher Institutionen. Die Folge ist, daß sämtliche Beamte der Staatsverwaltung, alle höheren Funktionäre der Wirtschaft, auch wenn sie nicht Mitglieder der Partei sind, es sich unmöglich leisten können, offen zu einer Religion zu stehen. Eine Verletzung der Glaubens- und Gewissensfreiheit bedeutet auch das Verbot, für eine Glaubensgemeinschaft öffentlich zu werben, das Verbot jeder kirchlichen Vereinstätigkeit und Caritas.

Für die russisch-orthodoxe Kirche sind manche dieser Gesetzesbestimmungen nicht mehr so scharf wie früher eingehalten. Dann nimmt gerade die russisch-orthodoxe Kirche das an und für sich einschneidende Verbot jeder Art von Religionsunterricht an Jugendliche nicht besonders schwer. Am besten geben wir hier die Meinung eines orthodoxen Geistlichen wieder:

„Wissen Sie, mit dem Religionsunterricht ist es überhaupt so eine Sache. Da lernen die Leute die Biblische Geschieht!:, fangen an, selbst die Bibel und die heiligen Schriften zu lesen, und plötzlich beginnen sie, wie man einst in Rußland sagte, Gott zu suchen. Was dabei herauskam, wissen Sie wahrscheinlich. Wenn es dabei nur zur Bildung von relativ harmlosen Sekten kam, konnte man sich noch damit abfinden. Sie haben jedoch von den vielen sogenannten kriminellen Sekten gehört, von den Skopzy (Selbstverstümmlern), Chlysty (eine Sekte, die sich direkt in sexuellen Exzessen erging) und anderen. Wichtig ist, daß die Kinder am Gottesdienst teilnehmen, in die Riten und Gebräuche der Kirche eingeführt werden und in den Familien die Gebete erlernen.“

Selbstverständlich sind nicht alle Geistlichen ganz dieser Meinung. Uebrigens ist in den letzten Jahren das Verbot des Religionsunterrichtes an Minderjährige stark gelockert worden. Bibelstunden für Erwachsene, wenn sie nicht direkt unterrichtsmäßigen Charakter haben, also wenn nur vorgetragen und nicht geprüft wird, sind neuerdings gestattet. Minderjährige können hierzu mitgenommen werden. Doch gerade von dieser Erleichterung macht die russisch-orthodoxe Kirche nicht überall Gebrauch. Eine richtiggehende Vereinstätigkeit hat die russisch-orthodoxe Kirche nie ausgeübt, und ihre karitative Tätigkeit ging nie über die Verteilung von Speisen an den Pforten der Klöster hinaus. Zahllose private Verleger brachten in der zaristischen Zeit unzählige Andachtsbilder und billige fromme Broschüren in den Handel. Das fehlt heute ganz. Immerhin kann heute die Patriarchatsverwaltung und auch die Leitung anderer Religionsgemeinschaften eine ziemlich umfangreiche Verlagstätigkeit entfalten. Das' russische Patriarchat zum Beispiel gibt mehrere periodische wissenschaftliche Schriften heraus, darunter das dicke Journal des Patriarchats mit langen, vor allem kirchengeschichtlichen und kirchenpolitischen Artikeln. Es verlegt auch Bücher für die Priesterseminarien und theologischen Hochschulen und hat jetzt sogar eine sehr gut ausgestattete Bibelübersetzung herausgebracht.

Das Verbot, in der Oeffentlichkeit kirchliche Handlungen vorzunehmen, ist ebenfalls bereits durchbrochen. Das Fest der Wasserweihe am 6. Jänner neuen Stils wird außerhalb Moskaus wieder auf den zugefrorenen Flüssen gefeiert. Auch die letzte römisch-katholische Bischofsweihe in Wilna fand teilweise auf dem größten öffentlichen Platz der Stadt statt, so daß nach sowjetischen amtlichen Quellen mehr als 15.000 Personen an der Feier teilnahmen.

Trotzdem ist natürlich die Kirche, darunter auch die orthodoxe, zu einem Dasein im Schatten verurteilt. Dem Negativen steht jedoch gerade für die russisch-orthodoxe Kirche, auch von ihrem Standpunkt aus betrachtet, viel Positives gegenüber. Denn der Sowjetstaat hat, wenn auch zu seinem eigenen Vorteil, mitgeholfen, die Jurisdiktion und die übernationale Autorität des Patriarchen von Moskau gewaltig auszubreiten. Gewöhnlich wird der offizielle Titel des Patriarchen mit „Patriarch von Moskau und ganz Rußland“ übersetzt. Diese Uebersetzung ist nicht ganz exakt. Es wird im offiziellen Titel nicht der Ausdruck „Rußland“, sondern der altrussische Ausdruck „Rjuß“ gebraucht. Die beiden Begriffe decken sich geographisch nicht. „Rjuß“ bedeutet Großrußland (das eigentliche Rußland), Kleinrußland (Ukraine), das Weiße Rußland (Weißrußland), Rotrußland (Ostgalizien) und Karpathorußland. Es ist das erstemal in der Geschichte, daß dieser Titel realen Inhalt erhalten hat und daß sich die Jurisdiktion des Moskauer Patriarchen tatsächlich über sämtliche angeführten fünf ostslawischen Gebiete erstreckt. Darüber hinaus anerkennen viele orthodoxe Staaten, wie Bulgatien und Rumänien, das Moskauer Patriarchat an Stelle Konstantinopels als höchste geistliche Autorität. Vom Moskauer Patriarchat sind auch neuorthodoxe Kirchen außerhalb der Sowjetunion organisiert worden, so die autokephalen orthodoxen Kirchen Polens, der Tschechoslowakei und Albaniens. Das Moskauer Patriarchat liegt darüber hinaus in einem stillen Kampf mit dem ökumenischen Patriarchen in Istanbul um die russischen und ukrainischen orthodoxen Diasporagemeinden in allen fünf Weltteilen und hat dabei dank der Unterstützung durch den Sowjetstaat große Erfolge zu verzeichnen. Man denke nur an die Unterstellung aller orthodoxen Gemeinden in China unter die Moskauer Jurisdiktion. Unter der Leitung des Metropoliten Nikolay von Kolomna und Krutizy hat 2as Patriarchat ein sehr rühriges Außenamt eingerichtet, das mit der ganzen Welt in Verbindung steht. Beinahe alle Einladungen an ausländische kirchliche Führer und Geistliche, ganz gleich, welcher Konfession, erfolgen durch das Patriarchat. Wenn ein protestantischer Kirchenführer seine Glaubensgenossen in der Sowjetunion besuchen will, dann sind dafür nicht die beiden lutherischen Erzbischöfe, nicht der Dekan der reformierten Kirche und nicht der Präsident der Baptisten zuständig. Zuständig für die Vermittlung des Besuches ist das Patriarchat. Nur die Armenier und Mohammedaner besitzen ein ähnliches Privileg. Der Oberste Patriarch Katho-Iikos aller Armenier versucht ebenfalls, seinem Titel mit Unterstützung der Sowjetregierung realen Inhalt zu verschaffen, indem sie seinen Kampf um die Jurisdiktion über die armenischgeorgischen Gemeinden in der ganzen Welt unterstützt und ihn animiert, selbst gegen die Rom unterstellte armenisch-katholische Kirche vorzugehen.

Die größte der vier mohammedanischen religiösen Organisationen, die von Zentralasien und Kasakistan, verkehrt intensiv mit mohammedanischen Ländern, vor allem des Nahen Orients, und hat hier insbesondere in Aegypten und Syrien für die Sowjetdiplomatie wertvolle Vorarbeit geleistet. „Außenminister“ ist der noch jugendliche Sohn des Großmuftis von Zentralasien, selbst Oberhaupt der islamitischen Religionsorganisation von Usbekistan, der auch als Mitglied der offiziellen SowjetdelegaHon an dem Kongreß der afro-asiatischen Völker in Kairo teilnahm.

Es ist klar, warum die Sowjetregierung, obwohl grundsätzlich alle Religionsgemeinschaften nach der Verfassung die gleichen Rechte genießen, die genannten drei Religionsgenossenschaften besonders fördert. Jeder Erfolg des Moskauer Patriarchates und im engeren Rahmen des Katholikos von Etschimandze oder des Großmuftis in Taschkent bedeutet gleichzeitig die Erweiterung sowjetischen Einflusses in der Welt. Jeder intensive Verkehr der Katholiken, Protestanten oder Juden mit dem Ausland birgt dagegen für den Kreml die Gefahr westlicher Beeinflussung der Bevölkerung der Sowjetunion.

(Die Veröffentlichung wird fortgesetzt)

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