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Kirche oder Kommunismus?

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Die römisch-katholische Kirche Südamerikas (vgl. „Die Furche“ vom 13. April 1963) ist im 16. Jahrhundert mit den Eroberern ins Land gekommen. Dieser Halbkontinent ist zu ihrem größten Einflußgebiet — nach Europa — geworden, in dem 170 von 380 Millionen Katholiken leben. Im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts hat sich die Kirche bei dem Ende der Kolonialherrschaft zum Partner der Feudalschicht und der Militärkaste entwik-kelt. Jetzt sind die Zeiten vorbei, da der Klerus mit den Reichen um die Macht und mit den Armen um die Seelen zu ringen hatte. Es ist kein Zufall, daß Papst Johannes XXIII. mit seiner Enzyklika „Mater et magistra“ und Präsident Kennedy mit dem 10-Jahres-programm „Allianz für den Fortschritt“ fast gleichzeitig zu einer Änderung der veralteten Sozialstrukturen mit „friedlichen Revolutionen“ aufgerufen haben.

Die Mehrheit der lateinamerikanischen Bevölkerung besteht aus „Farbigen“ (38 Prozent Indios und Mestizen, 28 Prozent Neger und Mulatten), die meist nicht lesen und schreiben können, aber tief gläubig sind. Die Masse wird während der nächsten Generation —; in allen Entwicklungsländern! — au* einem Zustand fast tierischen Vegetierens zu aktiven Kräften des wirtschaftlichen, politischen und geistigen Lebens aufsteigen. Der Kirche kommt dabei eine ausschlaggebende Rolle zu. Während die USA trotz aller propagandistischen Bemühungen in den lateinamerikanischen Massen kein Echo finden, leben die Priester in engem Kontakt zu den vielfach isolierten Gruppen der Eingeborenen.

Freilich bildet der Priestermangel ein ernstes Problem. 140.000 Priester fehlen in Lateinamerika, davon allein in Brasilien 50.000. In diesem größten katholischen Lande der Welt gibt es für fast 70 Millionen Gläubige nur 11.000 Geistliche. Lateinamerikaner

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haltungsmveau des einheimischen Klerus ist niedrig und grenzt oft an richtiges Elend. Das gesellschaftliche Ansehen ist weit geringer als in Europa. Da eingeborene Priester fehlen, sind europäische eingesetzt. 11.000 deutsche Priester und Ordensleute arbeiten in Lateinamerika, in Peru gibt es 800 ausländische und 700 einheimische Priester. Zwischen ihnen bestehen gewiße Spannungen, die sich vor allem aus dem unausrottbaren lateinamerikanischen Nationalismus erklären. Die Kirche möchte so viele im Lande geborene Priester ausbilden, daß sie aktionsfähig bleibt, auch wenn die Ausländer — wie jetzt in Haiti oder

Kuba — verjagt werden, ist aber von der Erreichung dieses Zieles weit entfernt.

Staat und Kirche

Die Spannungen zwischen Staat und Kirche sind weltanschaulicher oder politischer Natur.

Die gesinnungsmäßigen Gegensätze

zeigen sich jetzt vor allem auf dem Gebiet des Familienrechts und des Erziehungswesens: Bei ihnen ist — merkwürdigerweise! — nicht ausschlaggebend, ob Staat und Kirche im Laufe der histoj ischcn Entwicklung getrennt wurden oder nicht. In Brasilien ist diese Trennung 1890 erfolgt. Aber der Einfluß der Kirche ist weiter so stark, daß es keine echte Scheidung gibt. In Bolivien und Argentinien ist der Katholizismus dagegen „Staatsreligion“. Aber der Erzbischof von La Paz (Dr. Abel J. Antezana) exkommunizierte 50 Parlamentarier des MNR, der nationalrevolutionären Regierungspartei, weil sie für die totale Ehescheidung gestimmt hatten. In Buenos Aires gab es 1958 erbitterte Kämpfe in der Staatsuniversität, weil das Parlament den katholischen Universitäten das Recht gab, Titel mit der Zulassung zu akademischen Berufen zu verleihen.

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