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Kirche und sozialistischer Staat

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Das Protokoll, das zwischen der Sozialistischen Föderativen Jugoslawischen Republik und dem Heiligen Stuhl unterzeichnet worden ist, und der damit eröffnete Dialog sind meines Erachtenis von geradezu historischer Bedeutung. Dieses Protokoll könnte eine neue Epoche unserer Kirche einleiten — ja vielleicht sogar eine neue Epoche in den Beziehungen der Weltkirohe zum Marxismus, auf dem das soziale und staatliche Leben bei uns und in bestimmten anderen Staaten gründet.

Wer sich auf wissenschaftlicher Ebene mit den Problemen der zeitgenössischen Welt ausführlich und eingehend befaßt, wird zur Ansicht kommen, daß die ganze Welt sich immer mehr zum sozialistischen Staat ausrichtet. Wir meinen, daß zu diesem künftigen Staat nicht nur die Kirche mit ihrer Soziallehre beitragen wind, sondern auch der Marxismus mit seiner sozialökonomischen Doktrin sowie mit seiner Praxis, die frei sein wird von einigen extremistischen Positionen vor allem auf kulturellem Gebiet. Wir sind darüber hinaus der Meinung, daß der dialektisch-historische Marxismus sogar in dier Evolution des Christentums eine positive Rolle spielen wird, denn das Christentum muß sich vom sogenannten Materialismus reinigen, muß Sich vergeistigen und so in sich selbst schlummernde Kräfte wiedererwek-kert.

Von einem Kompromiß zwischen dem Christentum als Religion und dem atheistischen Marxismus als Atheismus kann natürlich niemals die Rede sein. Wir Christen müssen immer und um jeden Preis Christus und Seiner Kirche treu bleiben.

Möglichkeit einer Revision

Mir scheint, daß Sich in den großen Enzykliken Papist Johannes5 XXIII., „Mater et magistra“ und „Pacem in terris*', die Spuren dieser Idee von der Möglichkeit einer Revision der marxistischen Praxis und infolgedessen auah der Theorie finden — und das würde dann zu einer Annäherung zwischen Marxismus und Christentum führen.

Ich glaube, ein Zusammenwirken der sozialökonomischen Doktrin des Marxismus und des Christentums könnte unsere heutigen Probleme lösen. Der Weg dazu wird natürlich weit und schwierig siein, denn die Differenzen sind gewaltig. Doch es ist unsere Aufgabe, auf dieses Ziel hinzuarbeiten.

Auch die Lehre des Aristoteles war zu ihrer Zeit eine große Feindin der christlichen Lehre. Mit der Zeit jedoch wurde sie eine Starke Verbündete im Kampf gegen den Atheismus. In ähnlicher Weise könnte sich die Kirche in ihrem allgemeinen Feldzug gegen die großen sozialen Ungerechtigkeiten der heutigen Welt eines Tages mit den heutigen Soziallehren verbünden.

Die Synthese zwischen griechisch-römischer und Christlicher Kultur brachten nicht nur die Denker zustande. Auch die Märtyrer haben mitgeholfen. Wir wissen, daß nach der marxistischen Doktrin das Christentum für die normale soziale und insbesondere wirtschaftliche Entwicklung etwas Überflüssiges ist, ja sich negativ auf diese Entwicklung auswirkt. Jedoch: Theorie und Praxis sind zwei Paar Stiefel.

Gerade bei uns hier in Jugoslawien erweist sich nach 22 Jahnen Praxis, daß unser Regime das Christentum ernstlich in Erwägung ziehen muß. Eben die Praxis, die evidenten Realitäten haben unseren Staat dazu geführt, sich mit den verschiedenen auf seinem Territorium vertretenen religiösen Gemeinschaften zu einigen, auch mit der katholischen Kirche. Der Staat ist sich dessen bewußt geworden, daß ordentliche Beziehungen zur katholischen Kirche unerläßliche Bedingung für einen kommenden Fortschritt unseres Landes ist.

Anderseits hat auch die Kirche gelernt, in Theorie und Praxis des Marxismus die notwendigen Elemente von dien überflüssigen zu unterscheiden. Allerdings sind wir dabei noch weit entfernt von klaren und sicheren Schlußfolgerungen. Wir bewegen uns noch auf unsicherem Grund, der sich überdies noch täglich ändert, so daß es nicht leicht ist, ihn ganz zu erforschen und die so notwendigen Unterscheidungen zu realisieren.

Immerhin scheinen die Dinge schon so weit vorangesohritten zu sein, daß auch die katholische Kirche die Notwendigkeit einsieht, mit den Ländern unter sozialistischer Herrschaft, wie Jugoslawien, Vereinbarungen zu treffen.

Sehen wir nun, was mit dem Protokoll zwischen der jugoslawischen Regierung und dem Heiligen Stuhl vereinbart worden ist.

Zugeständnisse des Staates

Der erste Artikel des Protokolls enthält nichts Neues. Der Status der katholischen Kirche in der Sozia-Iistischen Föderativen Jugoslawischen Republik wird bestätigt, so wie er heute ist, auf der Grundlage der bestehenden Gesetzgebung und insbesondere der Gesetze über die religiösen Gemeinschaften.

Eine Erläuterung dieser Gesetze würde hier zu weit führen. Wir möchten nur darauf hinweisen, daß dieselben Worte anders interpretiert und realisiert werden können, daß es mithin zu großen Mißverständnissen kommen kann. Man muß erst die Bedeutung der einzelnen Worte verstehen lernen, wenn man eine gemeinsame Sprache sprechen will. Man könnte fast sagen, daß Worte manchmal zur Beschreibung von Situationen dienen, die der wahren Bedeutung der Worte genau entgegengesetzt sind.

Doch das ist eine Frage der täglichen Praxis und der Vitalität einer Ideologie oder einer religiösen Gemeinschaft. Wir müssen uns bewußt sein, daß alles von unserer Vitalität abhängt, auch die Bedeutung und die Verwirklichung dieser Worte, dieser gesetzlichen Normen. Die wesentlichen Probleme werden immer zuerst im Leben gelöst und dann erst auf dem Papier.

Damit Will ich nicht die Biedeu-tung unserer großen Philosophen und Theologen herabmindern; wenn säe sich jedoch in ihrem Denken vom Leben der Kirche entfernen, das von der Hierarchie, mit dem Papst an der Spitze, organisch geführt wird, dann werden auch ihre Überlegungen und ihre Argumente leblos, unnütz, ja geradezu schädlich sein.

Die bewußte Aktivität der Katholiken Jugoslawiens wird und muß andauern. Die legislativen Normen können uns kein „ruhiges“ Leben sichern, denn das Leben ist eine ständige Entwicklung und bringt immer neue Situationen voller Risiken mit Sich, die die alten Dekrete und die „alten Vereinbarungen“ nicht voraussehen konnten.

Unsere Verfassung, unsere Gesetze und infolgedessen auch dieses Protokoll enthalten Worte wie: Geistes- und Religionsfreiheit, Trennung von Kirche und Staat, Gleichstellung aller religiöser Gemeinschaften, gleiche Rechte und Pflichten aller Bürger unabhängig von ihrer Religion und ihrem Glauben, Freiheit in der Gründung von religiösen Gemeinschaften und in der Anerkennung ihrer Amitsträger — alle diese Worte und diese juristischen Normen stehen unter dem Druck der täglichen Praxis, und entsprechend dieser Praxis erleben sie eine schwierige oder weniger schwierige, eine lange edier weniger lange Evolution.

Die Zukunft kann viel mehr Schwierigkeiten bringen als erwartet. Die Evolution kann viel längler dauern als wir hoffen. JledoCh: die katholische Kirche hat mit diesem Protokoll bewiesen, daß Sie an die Möglichkeit dieser Evolution glaubt.

Das ist das erste und das wichtigste historische Faktum dieses Protokolls.

Von der Praxis zur Theorie

Der wichtigste Punkt im Protokoll selbst scheint mir der zweite Artikel zu sein. Ich glaube, daß man darin den Beginn einer Neuausrioh-tung der marxistischen Philosophie sehen kann, zunächst auf die Praxis bezogen, später folgerichtig auch auf die Theorie.

Dieser Artikel konzediert dem Heiligen Stuhl Zuständigkeit „in den geistlichen Fragen und den Problemen ekklesiologisöher und religiöser Natur“ der katholischen Kirche in Jugoslawien. Dais bedeutet, daß dem Heiligen Stuhl eine geistige und religiöse Jurisdiktion über die Katholiken in Jugoslawien zukommt und daß er diese Jurisdiktion ausüben kann. Um sich einen Begriff von dieser päpstlichen Jurisdiktion in der Kirche zu machen, genügt es, an die Organe zu denken, mittels derer der Papst sein höchstes Amt ausübt: an die römischen Kongregationen und die sonstigen Ämter dies Heiligen Stuhls. Könnte der Papst innerhalb der ka/fiholischen Kirche Jugoslawiens all das ausführen, was in der Zuständigkeit dieser römischen Difca-sterien liegt, dann würde das zu einer unvorstellbaren Evolution unseres religiösen und sozialen

Lebens führen. Wenn dem so wäre, dann würden wir Zeugen eines gemäßigten Marxiismuis, und einen solchen Marxismus könnte man auch akzeptieren.

Doch wie sagt ein russisches Sprichwort: Wenn im Mund wirklich der Mais wüchse, dann wäre er nicht mehr der Mund, sondern ein Feld.

Zu beachten sind die Worte des Protokolls, daß der Heilige Stuhl seine Kompetenzen „in den geistlichen Fragen und den Problemen ekklesiologilsoher und religiöser Natur“ ausüben kann. Über die Bedeutung all dieser Worte kann man diskutieren.

Dazu kommt der ausdrückliche Hinweis des Protokolls, daß dem Heiligen Stuhl seine Kompetenzen nur insoweit zuerkannt werden, „als sie nicht im Widerspruch stehen zur Verfassung der Sozialistischen Föderativen Jugoslawischen Republik“. Man kann diese Einschränkung natürlich auch positiv interpretieren, zumal ja auch das Konzilsdekret über die Religionsfreiheit sagt, daß „die öffentliche Ordnung“ eine rechtmäßige Beschränkung der Religionsfreiheit darstellen kann.

Wie diese Worte bei uns in der Praxis interpretiert werden, hängt von verschiedenen Dingen ab. Mir scheint, daß hier vor allem dem Apostolischen Delegaten eine große Rolle zukommt. Der im Protokoll vorgesehene Dialog ist vielversprechend.

Man sieht: das Prinzip ist gut gesetzt und noch dazu vom Staat bestätigt, doch über die praktische Durchführung läßt sich diskutieren. Sie wird kurvenreich sein. Großen Einfluß darauf werden logischerweise nicht nur das diplomatische Spiel und die wissenschaftlich-philosophischen Entwicklungen des Marxismus und des Christentums haben, sondern auch das täglich Leben von uns Katholiken, Priestern wie Laien.

Der Staat hat also in diesem Protokoll das erste Prinzip der Organisation der katholischen Kirche anerkannt: die Jurisdiktion des Papstes über die katholischen Gläubigen.

Das halte ich für ein weiteres Faktum von historischer Bedeutung.

Zugeständnisse der Kirche

Im zweiten Teil des Protokolls hat die Kirche ihrerseits dem Staat dessen Oraaniisationsprinzip zuerkannt, das nach der marxistischen Doktrin darin besteht: Die Politik ist exklusives Feld des Staates, in das weder die Kirche noch sonst jemand eingreifen darf.

In unserem traditionellen Sprachgebrauch, den im übrigen auch das Zweite Vatikanische Konzil angewandt hat, bedeutet dieses im Protokoll verankerte Prinzip: In der Ausübung ihres Dienstes müssen sich die katholischen Priester im Rahmen des religiösen und kirchlichen Bereichs halten; sie können demnach ihr religiöses und kirchliches Amt nicht für einen Zweck ausnützen, der „wirklich“ politischen Charakter hat.

Das bedeutet also, daß sich die Kirche aus der Politik zurückzieht?

Hier gilt es genau zu unterscheiden. Die Kirche entledigt sich nicht ihrer religiösen und kirchlichen Rolle auch auf politischem Gebiet, denn sie hat das Recht und die Pflicht, die moralischen Grundsätze zu verkünden, die die Politik und selbst die Wirtschaft bestimmen müßten. Diese Verkündigung ist in erster Linie Aufgabe von uns Bischöfen, und wir wollen diese Aufgabe nicht nur mit großem apostolischem Eifer, sondern auch mit besonderer Klugheit erfüllen.

Das Protokoll hat unseren Klerus nicht seiner nationalen Rechte beraubt, beispielsweise des Rechtes, sich als Mitglied des kroatischen Volkes zu fühlen. Der Klerus halt in Übereinstimmung mit seinem höchsten Gesetzgeber nur erklärt, daß er sich bei der Ausübung seines pastorallen Amtes nicht in politische Dinge einmischt und den Glauben nicht für politische Zwecke ausnützt.

Natürlich wird es in der Praxis, wie bisher auch, zu Unstimmigkeiten darüber kommen, was „politische Aktiivi/tät“ genau bedeutet Deshalb vermerkt das Protokoll, daß nicht nur der Staat, sondern auch der Heilige Stuhl das Recht hat, konkrete Fälle an beurteilen. Wir können also vom Heiligen Stuhl Direktiven für unsere Aktivität bekommen, um dien Rahmen des Abkommens nicht zu sprengen.

Im zweiten Artikel dieses zweiten Teils des Protokolls verurteilt der Heilige Stuhl „jeden Akt des politischen Terrorismus oder ähnliche kriminelle Dinge, von wem auch immer sie vorgenommen werden“, und zwar „im Einklang mit den Prinzipien der katholiiisohen Moral“.

Das Urteil darüber, ob irgendeine Handlung „terroristisch“ oder „kri-minell“ waw, rät auch hier nicht allein Sache des Staates, sondern auch des Heiligen Stuhls. Der Heilige Stuhl hat also dem Staat nur ein begrenztes Recht eingeräumt, indem er sich vorbehalten hat, die Ausübung dieses Rechtes zu kontrollieren: nach den Prinzipien des Naturrechts, des göttlichen und des kirchlichen Rechts.

Auf die Zukunft bezogen

Nach der Unterzeichnung des Protokolls schrieb eine westlich Presseagentur, dieser Artikel sei offensichtlich deswegen aufgenommen worden, weil es in der Vergangenheit verschiedene Fälle von terroristischer und politischer Aktivität des jugoslawischen Klerus gegeben habe.

Wie oberflächlich dieser Kommentar ist, zeigt die Erklärung Mor*-signore A. Casarolis bei der Unterzeichnung des Protokolls: dieser Punkt des Abkommens bezieht sich nicht auf die Vergangenheit, sondern auf die Zukunft.

Das ist ein drittes Faktum *on historischer Bedeutung.

Die Kirche erkennt, wie gesagt, dem Staat ganz allgemein das Recht der Politik zu, das Recht der politischen Aktivität und, damit verbunden, auch das Recht der Strafgesetzgebung.

Sicherlich wird auch die Verwirk* lichung dieses Prinzips von der Entwicklung der Lage auf religiösem, kulturellem, wirtschaftlichem u. a. Gebiet abhängen. Müßte dieses Prinzip im Licht der gegenwärtigen marxistischen Doktrin realisiert werden, dann müßte die Kirche langsam verschwinden, denn der Begriff „Politik“ umfaßt im heutigen Sprachgebrauch alle sozialen Erscheinungen, mithin auch die religiösen, soweit sie sich in der Öffentlichkeit darstellen. Nach der heutigen marxistischen Doktrin müßte der Glaube eine „private“ und keine soziale Angelegenheit sein — und das wäre sein Ende, denn der Glaube beziehungsweise die Kirche sind soziale Phänomene.

Immerhin ist Tatsache, daß das Protokoll selbst schon die Kirche als eine soziale Erscheinung betrachtet, denn nur als solche konnte die Kirche mit der Regierung verbandeln und ein Abkommen unterzeichnen.

Das Fazit?

Aus alldem geht hervor, daß das Protokoll neue Aussichten für die künftige Entwicklung der Kirche und des Staates eröffnet — bei uns hier in Jugoslawien und vielleicht in der ganzen Welt. In dieser Evolution werden gewisse marxistische Ideen ebenso gereinigt werden und sich weiterentwickeln wie gewisse katholische Ansichten. Der Dialog, der sich mit diesem Protokoll eröffnet, wird beiden Seiten in dem Maße eine bessere Zukunft bringen, in dem er die gegenseitige Freiheit achtet. Denn ohne Freiheit gibt e* keinen Dialog!

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