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Klärung im Nebel

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Wenn wir die weltweiten Auseinandersetzungen betrachten, die sich im politischen Raum abspielenj so wird uns zur Beurteilung oft das Schlagwort vom „kalten Krieg“ nahegelegt. Mit diesem Schlagwort ist im Gegensatz zum „heißen Krieg“ ein machtpolitischer Kampf gemeint, der jedwede Mittel außer den direkt militärischen umfaßt.

Es besteht wohl kein Zweifel, daß die Ausweitung von Machtbereichen auf verschiedene Weise zu erfolgen vermag. Neben der Möglichkeit militärischer Besetzung eines Landes gibt es die wirtschaftliche Beherrschung und schließlich auch noch die ideologische.

Gerade aber die ideologischen Kämpfe sind heute die gefährlichsten. Hier gibt es wie bei militärischen Kämpfen Taktik und Strategie, Schlachten und Siege, Verteidigung und Angriff, Front und Etappe. Es gibt reichlichen Nachschub und sein Versiegen. Es gibt schließlich auch noch verschiedene Waffen.

Nun hat gewiß auch der heiße Krieg viele psychologische Aspekte. Aber das Wesentliche ist doch, daß beim heißen Krieg der Gegner physisch vernichtet werden soll, während im psychischen Kampf angestrebt wird, daß der Feind seine von ihm eingenommene Haltung preisgibt, um der eigenen Haltung zu verfallen.

Eine der ersten Taten Eisenhowers, nachdem er Präsident der USA geworden war, war die Einsetzung einer Stelle für psychologische Planung im kalten Krieg. — Betrachtet man die

Außenpolitik der Vereinigten Staaten von diesem Zeitpunkt an, dann muß man sagen, daß diese Tat keineswegs große Erfolge zeitigte. — Allerdings kann man wohl in Zweifel ziehen, ob die amerikanische Stelle durch die geeigneten Leute besetzt ist, und weiter, ob sich die Politiker von einer solchen Stelle wirklich beraten lassen. Abgesehen aber von alledem, ist eine solche Einrichtung ungenügend.

Man bedenke, daß die erste Entwicklung der Atombombe immerhin mehrere Milliarden Dollar verschlang und eine außerordentlich große Zahl von Menschen an ihrer Entwicklung arbeitete. Die weitere Entwicklung kostet Unsummen, ohne daß man etwa daran denken würde, auch nur im Entferntesten etwas Aehn- liches auf psychologischem Gebiet zu versuchen. Und doch würde der sogenannte Nervenkrieg einen ähnlichen Einsatz lohnen. — Wenn der Durchschnittsmensch von heute von „Nerven“ spricht, meint er fast immer Seelisches.

In der weltweiten Auseinandersetzung geht es um einen sehr hohen Einsatz. Es wäre zu überlegen, welche Möglichkeiten die Psychologie eröffnen könnte, tväre man bereit, sich ihrer zu bedienen.

Bedenken wir folgendes: Jeder kennt Diskussionen, die schließlich an einen Punkt gelangen, von dem an kein fruchtbares Gespräch mehr möglich, weil eine Partei, allen vernünftigen Argumentationen zum Trotz, nicht mehr bereit ist, entweder Tatsachen anzuerkennenoder logische Konsequenzen zu ziehen. Man kann sich nun mit Recht fragen, warum denn nun der andere, den Weg der Vernunft verlassend, nunmehr nur noch seine Position mit Scheinargumenten verteidigt?

Es wird jedem, der politische und weltpolitische Gespräche verfolgt, einleuchten, daß ein sehr großer Teil dieser Gespräche eben so verläuft, wie wir es eben andeuteten. Sie gelangen nach einem mehr oder weniger lebhaften Hin und Her schließlich an einen Punkt, über den man nicht hinwegkommt.

Es , ist nun eines der wesentlichen arbeitshypothetischen Postulate der Tiefenpsychologie, daß auch das scheinbar Unverständliche sinnvoll ist. Wenn auch der Sinn eben verborgen ist, so sind sie dennoch entschlüsselbar, wozu die Tiefenpsychologie ihre Methoden entwickelte.

Es gilt also, hinter den vorgegebenen, offenkundigen Gründen die wirklichen Gründe zu erschließen,' um sö die echten Motive hinter den unechten bloßzulegen und damit einem Verständnis zugänglich zu machen.

Stößt man bei einem Gespräch auf unüberwindliche, affektbedingte Mauern, dann hat es keinen Sinn, auf jener Ebene weiterzudebattieren, auf der ohnehin nur Scheingründe und Scheinurteile vorgebracht werden und mit Sophismen ein Standpunkt verteidigt wird, den zu halten jener Gesprächspartner unter allen Umständen auch unter Preisgabe der Logik entschlossen ist.

Das Gespräch hat sich dann zu wandeln. Man hätte sich vom Vordergrund den Hintergründen zuzuwenden. Das Gespräch muß dann eine Tiefenschicht erreichen, die den wirklichen Motiven zugeordnet ist. Diese wahren Motive anderer sind nun aber den Politikern meist völlig unbekannt und auch schwer verständlich. Es gibt ganze Menschengruppen, die von einem tiefgehenden Affekt erfaßt sind und die daher von einer Ideologie, die -es ihnen ermöglicht, diese Affekte zu , rechtfertigen, tief fasziniert sein können. Dementsprechend wäre also alles zu tun, um die seelischen Hintergründe, die etwa di verschiedenen Ideologien tiefenpsychologisch motivieren, verständlich zu machen.

Wenn etwa ein Diplomat mit einem orientalischen Fürsten zu verhandeln hätte, dann ist es doch wirklich naheliegend, daß er sich vorerst eben mit dem allgemeinen orientalischen Charakter vertraut macht. Nun gehört aber der betreffende Fürst auch noch einem bestimmten Volk an, einem bestimmten Stamm, einer ganz bestimmten Familie und schließlich ist er eine eigenartige Persönlichkeit mit einer eigenartigen Entwicklung. Würde ljun eiry Diplomat all das, was seinen Gesprächspartner psychologisch charakterisiert, gut kennen, und würde er auf der anderen Seite sich selber in derselben Tiefe kennen, dann wäre sein Umgang mit seinem Gesprächspartnei unwahrscheinlich erleichtert. Aehnliches gilt natürlich auch von den Militärs, die etwa mit einem anderen Offiziersstab zu verhandeln haben

Man kann nun sagen, daß diese Arbeit durch die Botschaftsattaches, Botschafter usw. geleistet) würde oder doch geleistet werden sollte. Man erlaube mir hier, Zweifel anzumelden. Die Ausbildung der ins Ausland gehenden Diplomaten ist nicht hinreichend, so daß diese wirklich in der Lage wären, die psychologische Atmosphäre eines Landes, einer Partei und die psychologische Struktur der entscheidenden Persönlichkeiten methodisch zu erkennen und methodisch zu beschreiben.

Ein planmäßiges Verstehen gegebener psychologischer Konstellationen hat zwei höchst wichtige Vorteile. Erstens vermag es die Ansatzpunkte bei den Gesprächspartnern für die eigenen Intentionen aufzuweisen. Man kann hier jene Gegebenheiten erkunden, die eine Möglich keit zum Einhaken für das eigene Wollen bieten. Man kann erforschen, wo man jemanden fassen kann.

Zweitens aber ermöglicht ein tieferes Verständnis auch eine Relativierung des eigenen Standpunktes, der vielleicht gar nicht so sehr richtig ist, wie man ihn, unbekannt mit anderweitigen Positionen, für richtig hielt. Vielleicht vermag durch das Verständnis des anderen und die Relativierung des eigenen Standpunktes eine sachliche Atmosphäre geschaffen werden, die Lösungen ermöglicht, die gleichsam ein höheres Drittes darstellen. Kein Kompromiß also, das zwischen beiden liegt, sondern ein organisches Gebilde, das sowohl den einen als auch den anderen Standpunkt umgreift. Nur wer den anderen für einen absoluten Teufel und sich für einen absoluten Engel, hält, kann glauben, daß er vom jeweiligen Gesprächspartner nichts zu lernen vermag, daß ihn nichts bereichern und seinen Horizont erweitern könnte.

Es ist häufig auch so, daß der Gegenspieler berechtigte Intentionen auf fehlerhafte Weise zu realisieren sucht. Kann man nun die berechtigten Wünsche des Gegners auf andere Weise besser befriedigen, dann ergibt sich vielleicht die Möglichkeit einer Revision der gegnerischen Mittel und ein Einschwenken auf eine neue Linie. Hierzu muß man allerdings die tieferen Intentionen des anderen kennen, die ihm selber nicht bewußt sind. Diese aufzudecken wäre — bei Einsatz entsprechender Mittel — die Tiefenpsychologie, gemeinsam mit der Geschichte, der Soziologie und anderen Wissenschaften imstande.

Dieses Unternehmen ist an sich auch gefährlich, da nian die psychologischen Möglichkeiten nicht nur dazu benützen kann, um die gegnerischen Persönlichkeiten nach ihren positiven Seiten auszuloten, um ihre berechtigten, aber von ihnen selbst nicht verstandenen Tendenzen angemessen und mit den eigenen Wünschen zu koordinieren. Das bessere Verständnis der anderen kann, wenn es nicht durch gleichzeitige Durchleuchtung dei eigenen Position kompensiert wird, zur geschickteren ,,Handhabung" der anderen Persönlichkeit zum Vorteil der eigenen Maßlosigkeit verwendet werden.

Doch gerade deshalb, weil der Mißbrauch der Psychologie im politischen Raum — innenpolitisch und außenpolitisch — jederzeit möglich ist, und auch bereits erfolgt, sollte man mit dem positiven Einsatz der Psychologie nicht warten. Etwas, was sich nicht auf halten läßt, soll man versuchen, in die richtigen Bahnen zu lenken. Die’ Förcierüng der produktiven, friedlichen Verwendung der Atomkraft vermag wohl eher den Einsatz von Atombomben zu verhindern als der zweifellos aussichtslose Versuch, die weitere Entwicklung der Atomwissenschaften überhaupt zu verhindern. Daher wäre eine Förderung der Entwicklung der Psychologie zu einer politischen Wissenschaft, die der Verständigung und Integration dient, wohl das beste Mittel, um ihrem Mißbrauch zu einer Wissenschaft, die die seelische Vernichtung, die Vergewaltigung des personalen Kernes der anderen Persönlichkeit zum Ziele hat, rechtzeitig zuvorzukommen.

Hier wäre die Gründung eines Institutes bzw. einer internationalen Gesellschaft für politische Psychologie wohl der erste Schritt, um eine erfolgreiche Arbeitsteilung zu erreichen und eine erste Forschungsplanung zu gestatten. Daß sich die Mitglieder einer solchen Vereinigung nicht nur aus Psychologen, sondern auch aus Soziologen, Historikern und verwandten Disziplinen zusammensetzen müßte, versteht sich von selbst.

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