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Klare Worte im Gesetz

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Das alles würde grundsätzlich noch keine Angriffsfläche für eine Kritik bieten, denn das Staatsbürgerschaftsgesetz soll ja nicht jenen, die unsere Staatsbürgerschaft anstreben, die Einbürgerung grundsätzlich möglichst schwer machen, sondern es soll verhindern, daß mit der österreichischen Staatsbürgerschaft Mißbrauch getrieben wird. Um zu verhindern, daß man ohne die geringste Gewähr für späteres Wohlverhalten österreichischer Staatsbürger werden kann, sind im Gesetz verschiedene Verfahrens Vorschriften enthalten, die für alle Fälle der Verleihung Gültigkeit besitzen. Im Paragraph 4 (2) heißt es: „Vor der Verleihung der Staatsbürgerschaft an einen Ausländer sind dessen Beziehungen zu seinem bisherigen oder früheren Heimatstaat … zu prüfen. Die Verleihung darf nicht erfolgen, wenn diese Beziehungen oder Verhältnisse der art sind, daß durch die Einbürgerung für das Land oder den Bund Nachteile zu befürchten sind." Das sind klare Worte — im Gesetz. Und die Praxis?

Der Fall Verbelen

Im Jahre 1962 erfuhr die österreichische Öffentlichkeit, daß 1958 die Wiener Landesregierung dem belgischen Staatsangehörigen Robert Jan Verbelen die österreichische Staatsbürgerschaft verliehen hatte, obwohl dieser in Brüssel 1945 in Abwesenheit zum Tode verurteilt worden war und seitdem auf den belgischen Fahndungslisten stand. Die Staatsbürgerschaft war ihm unter seinem vollen Namen verliehen worden, seine „Beziehungen zu seinem bisherigen Heimatstaat“ waren (zumindest offiziell) nicht überprüft worden. Der Verwaltungsgerichtshof stellte in einem Erkennt nis vom 21. Dezember 1962 ausdrücklich fest, das Vorgehen der Wiener Landesregierung im Fall Verbelen stelle ein eindeutiges Verschulden der Behörde dar, da die gesetzliche Verpflichtung zur näheren Nachforschung im früheren Heimatland des Genannten — immerhin ein vom Gericht eines befreundeten Staates wegen Mordes zum Tode Verurteilter — verletzt worden war. Ein Einzelfall? Dieser würde schon allein schwere Bedenken über die Sorgfalt der Behörde, die über die Einbürgerung Verbelens entschieden hat, hervorrufen; noch dazu, wenn man von keinerlei Maßnahmen gegen die an diesem Skandal Schuldigen hört, auch nicht von irgendwelchen Vorkehrungen innerhalb der Staatspolizei, gegen die im Zusammenhang mit dem Fall Verbelen die schwersten Vorwürfe erhoben worden waren. Aber Verbelen war kein Einzelfall.

Die Brüder Mauer

Nur zwei Monate nach dem Verbelen-Prozeß wurde im Prozeß gegen die Brüder Mauer in Salzburg ein ähnlich gelagerter Fall publik. 1955 und 1956 war von der Salzburger Landesregierung den beiden vormals polnischen Staatsangehörigen die österreichische Staatsbürgerschaft verliehen worden. Diese Brüder Mauer hatten, sieht man auch in diesem Zusammenhang von denen ihnen zur Last gelegten Massenmorden ab, wenig Empfehlenswertes vorzubringen: als polnische Offiziere hatten sie sich mitten im Krieg freiwillig der SS für Aktionen gegen die polnische Zivilbevölkerung zur Verfügung gestellt. Doch das in Erfahrung zu bringen, hatte sich im Zuge der Einbürgerung trotz der gesetzlichen Vorschriften niemand die Mühe gemacht.

Das Gesetz ist nicht schuld

So also ist die Praxis, so sieht die Gesetzestreue mancher der für die Staatsbürgerschaftsverleihungen zuständigen Behörden aus. Was hilft es dann, wenn der Gesetzgeber im Paragraph 11 des neuen Staatsbürgerschaftsgesetzes den Behörden grundsätzlich vorschreibt, „Die Behörde hat sich bei der Ausübung des … freien Ermessens von Rücksichten auf das allgemeine Wohl, die öffentlichen Interessen und das Gesamtverhalten der Partei leiten zu lassen"? Am gesetzlichen Rahmen liegt es nicht, außer daß er den Behörden vielleicht zuviel Spielraum läßt — aber gerade hier bringt das neue Gesetz, das viel präziser als das alte formuliert ist, einige Verbesserungen.

Man beginnt eben zu zweifeln, ob bei allen der 32.010 zwischen 1945 und 1965 Eingebürgerten, die vor der Einbürgerung ihren Wohnsitz weniger als vier Jahre in Österreich hatten, die Einbürgerung wirklich im ausdrücklichen „Interesse des Bundes“ war. Wenn man dann auch noch hört, daß die Einbürgerungen, bei denen die Mitwirkung der Bundesregierung notwendig war, nach dem Proporzprinzip des „do ut des“, nach dem Grundsatz „Stimmst du meinen Einbürgerungsvorschlägen zu, so stimme ich deinen zu“ erfolgt ist, so kann man kaum mehr glauben, daß hier in jedem Einzelfall das vom Gesetz geforderte „Interesse des Bundes“ gewissenhaft geprüft und festgestellt worden ist.

Der Erwerb der österreichischen Staatsbürgerschaft sollte nicht in einem unangebrachten und anachronistischen Isolationismus möglichst schwer gemacht werden. Aber die von den Behörden geübte Praxis, die sich sowohl aus der Statistik, als auch aus einigen an die Öffentlichkeit gedrungenen Fällen ablesen läßt, geht ins andere Extrem. Die Verleihung unserer Staatsbürgerschaft wird gegen den Willen des

Gesetzgebers viel zu wenig von dem Vorliegen der gesetzlichen Bedingungen abhängig gemacht. Wer es „sich richten“ kann, wem die Anknüpfung der richtigen Beziehungen gelingt, der hat gute Chancen — unabhängig von der Dauer seines Aufenthaltes in Österreich und unabhängig davon, ob wegen seines Vorlebens die Einbürgerung im Interesse Österreichs liegt — die österreichische Staatsbürgerschaft in kürzester Zeit zu erlangen. Mit dieser Praxis wird nicht nur formal dem Willen des Gesetzgebers nicht entsprochen, sondern man schadet, und das ist entscheidender, sowohl Österreich, als auch dem Ansehen der meisten unserer Neubürger, die schon längst gute Österreicher geworden sind.

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