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Kleine politische Prosa

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SO HABEN SIE ES DAMALS GEMACHT. Die Propagandavorbereitungen zum Österreichanschluß durch das Hitler-Regime 1933 bis 1938. Von Ralf Richard Körner. Verlag Gesellschaft für wissenschaftliche Forschung. 327 Seiten.

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SO HABEN SIE ES DAMALS GEMACHT. Die Propagandavorbereitungen zum Österreichanschluß durch das Hitler-Regime 1933 bis 1938. Von Ralf Richard Körner. Verlag Gesellschaft für wissenschaftliche Forschung. 327 Seiten.

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Der „Gesellschaft zur Förderung wissenschaftlicher Forschung“ war kein langes Leben beschieden. Ihre Auflösung stand im Zusammenhang mit den bekannten personellen Veränderungen in der Wiener Landesparteileitung der ersten Regierungspartei. So ist auch das vorliegende Werk einer breiteren Öffentlichkeit unbekannt geblieben. Und das ist schade. Die wissenschaftliche Arbeit des jungen Deutschen Ralf Richard Körner verdient nämlich Beachtung — vor allem in Österreich. Der 1929 in Chemnitz geborene Verfasser arbeitete von 1953 bis 195 5 an den Universitäten von Köln und Mainz an einer Dissertationsschrift, die die propagandistischen Vorbereitungen des Anschlusses Österreichs 1938 an Hitler- Deutschland untersucht. Das vorliegende Buch ist daher weder eine Tendenzschrift noch ein Sensationsbericht. Es ist „die historische Bestandaufnahme eines abenteuerlichen Stoffes“. Mit diesen klaren Worten steckt der Verfasser sein Arbeits-

gebiet ab und tritt Fehlauslegungen von vornherein entgegen. Grundlage für Körners Forschungen bildeten neben den einschlägigen Werken und Aktenpublikationen vor allem die nach den Namen der Referenten „Brammer-“ und „Sänger- Material" genannten, bisher nicht editierten Anweisungen aus der Pressekonferenz der Reichsregierung. In ihrer Veröffentlichung und im systematischen Hineinarbeiten in den Ablauf der Ereignisse liegt das Hauptverdienst des Verfassers dieser gründlichen Studie. Gleichzeitig ruft er die Hauptstoßrichtungen der Anschlußpropaganda in Erinnerung. Einige Kerben, in die damals immer wieder gehauen wurde, muten uns recht bekannt und gar nicht vergangen an.

Ralf Körners Arbeit verdient die Aufmerksamkeit aller historisch und politisch interessierten Österreicher. Unsere Hohen Schulen sollte das kleine Werk ermuntern, in der Auswahl ihrer Dissertationen die jüngste Vergangenheit nicht zu kurz kommen zu lassen.

DAS GESICHT UNSERES JAHRHUNDERTS. 60 Jahre Zeitgeschehen in mehr als 600 Bildern. Von Milo Dor und Reinhard Federmann. Forum-Verlag,Wien- Hannover-Basel. 328 Seiten. Preis 220 S.

Wo das geschriebene Wort heute nicht mehr ankommt, dorthin dringt ungehindert das Bild: Diese Feststellung ist im Zeitalter der Massenauflagen von Illustrierten eine Binsenweisheit. Das nicht unbekannte Autorenduo Dor-Federmann zieht daraus die Nutzanwendung. Geschichtsbücher, die breite Kreise erreichen sollen, müssen in unseren Tagen Bilderbücher sein. 60 Jahre Zeitgeschehen werden von ihnen in mehr als 600 Bildern lebendig gemacht. Wir blicken in viele Gesichter — alle zusammen spiegeln sie das Antlitz des 20. Jahrhunderts. Vom Mord in Sarajewo bis zur Wahlkampagne Kennedys, vom ersten Exemplar der „Traumdeutung“ Sigmund Freuds bis zum Nylonstrumpf können wir die ersten sechs Jahrzehnte unseres Jahrhunderts in allen seinen Lebensäußerungen uns vergegenwärtigen. Wir werden mit unbekannten oder vergessenen Bildern der beiden Weltkriege genau so konfrontiert, wie mit

Charlie Chaplin und Anita Ekberg. Ein abgewogener Kurztext verbindet und kommentiert diesen politischen und kulturhistorischen Bilderbogen, der leicht die Rolle einer modernen „Hauspostille“ antreten könnte. Nicht geglückt sind allein die letzten Bogen, auf denen gleichsam als Annex die politische Entwicklung und der wirtschaftliche Aufstieg Österreichs der Weltgeschichte und dem Weltgeschehen angehängt wurden. Das schaut fatal nach einer Pflichtauflage, nach einer Huldigung an „Hauspenaten" aus. Die Grazer Messe und die Wiener Stadthalle in Ehren — in der Rückschau auf 60 Jahre Weltgeschehen aber doch reichlich provinziell.

WIR SIND DER STAAT. Von Joseph Simon und Ernst Winkler. Verlag des Österreichischen Gewerkschaftsbundes. 188 Seiten. Preis 58 S.

Immer geht es nicht mit Bildern. Staatsbürgerkunde will noch immer gelernt

werden. Und das nicht nur in der Pflichtschule. Über die Grundlagen der Verfassung orientiert zu sein und den Mechanismus der Machtdelegierung und Machtausübung wenigstens in groben Umrissen zu kennen, ist Pflicht eines jeden Staatsbürgers, der als durchschnittlich gebildet bezeichnet werden möchte. Hier haben noch — wie verschiedene Befragungen in Rundfunk und Fernsehen lehren — sehr viele unserer Mitbürger Nachhilfestunden notwendig. Der Österreichische Gewerkschaftsbund stellt mit dem vorliegenden Buch allen Lehrern und Bildungsfunktionären, aber auch „für den Hausgebrauch“ eine um Sachlichkeit bemühte Unterlage zur Verfügung. Wie Präsident Olah in seinem Geleitwort ankündigt, soll das vorliegende Buch „vielleicht nur den ersten Schritt zu der so notwendigen populären staatsbürgerlichen Literatur und der grundsätzlichen Auseinandersetzung über das Wesen unserer Demokratie“ darstellen.

Das vorliegende Buch ist ohne Zweifel mit ein Beitrag zum Wachsen und Werden jenes „neuen Patriotismus", um den ohne Zweifel heute in Österreich führende Kreise der Gewerkschaften bemüht sind.

ALS WIEN IN FLAMMEN STAND. Der große Erlebnisbericht über die Apriltage 1945. Reihe: „Aktuelle Probleme unserer Zeit.“ Von West (Richard Kurfürst). Verlag des Österreichischen Gewerkschaftsbundes, Wien. 82 Seiten. Preis 15 S.

Noch eine Variation zu demselben Thema. Im April vorigen Jahres veröffentlichte das sozialistische Zentralorgan einen Erlebnis- und Erinnerungsbericht an die Ereignisse des Jahres 1945 in Wien. Nun liegt er als Broschüre vor. Dem Verfasser ist das Kunststück gelungen, den Sprung in die Situation vor mehr als 15 Jahren zurückzumachen. Gleichsam mit Hilfe der berühmten „Zeitmaschine“ erleben wir mit ihm noch einmal die Wochen, in denen es einer Handvoll beherzter Männer, die auch in der Uniform der deutschen Wehrmacht österreichische Patrioten geblieben waren, gelang, das Schicksal Breslaus und Budapests von Wien abzuwenden. Neuerlich machen wir den unter dem Kennwort

„Radetzky“ laufenden Aufstandsversuch, sein Gelingen im Kleinen, sein Scheitern im Großen mit. Ja, so und nicht anders war es damals in Wien. Wer es heute anders behauptet, webt mit an einer neuen Dolchstoßlegende.

Eigentlich schade, daß dieser Erlebnisbericht, der „allen österreichischen Widerstandskämpfern ohne Unterschied der Partei und der Religion in Ehrfurcht und

Dankbarkeit“ gewidmet ist, nicht von einem Mann der ersten Regierungspartei geschrieben und in einem ihrer Blätter zuerst veröffentlicht wurde. Warum eigentlich? Will sich die Volkspartei wirklich auch in Sachen Patriotismus noch „den Donner stehlen lassen“ oder — was noch ärger wäre — aus Rücksicht auf gewisse Wählerschichten den Sozialisten bei der Pflege einer österreichischen Staatsgesinnung den Vortritt einräumen? Bei der Lektüre dieser kleinen „politischen Prosa" könnte man beinahe zu so einer melancholischen Betrachtung verleitet werden.

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