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Koalition mit einem unpassenden Partner

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So wird der Eindruck vertieft, die Krise sei nicht etwa das Ergebnis der verfehlten CDU-Politik, sondern das Ergebnis einer Koalition mit einem unzuverlässigen Partner. So ihrer eigenen Probleme ledig, gelang es der CDU auch, die SPD zu zähmen. Mit neun von zwanzig Ministerien kam die SPD scheinbar sehr gut weg. Bei näherem Zusehen verfliegt auch dieser Eindruck. Wohl wissend, daß die Benennung des Außenministers die Einheit der Partei gefährden mußte und daß auf diesem Gebiet in nächster Zeit keine Lorbeeren zu pflücken sind, überließ Kiesinger der SPD gerne das Außenministerium (Brandt) und das Ministerium für gesamtdeutsche Fragen (Herbert Wehner). Auf diesem Sektor können nun die beiden SPD-Politiker ihre Deutschland- und Wiedervereinigungspläne zu verwirklichen suchen, denen der sowjetische Ministerpräsident Kos- sygin bei seinem Pariser Besuch ein lautstarkes Njet entgegensetzte. Auch wird die Anwesenheit Gerhard Schröders im Kabinett, auch wenn er ins Verteidigungsministerium überwechselte, allzu neue Ansätze an der Außenpolitik zu verhindern wissen. Wichtig allein von SPD-Mini- sterien ist das Bundeswirtschaftsministerium, das Professor Karl Schiller (SPD) übernahm. Aber auch hier ist der wichtigste Mann der SPD zu engster Zusammenarbeit ausgerechnet mit dem zum Finanzminister avancierten CSU-Vor- sitzenden Franz Joseph Strauß verpflichtet, so daß jeder Erfolg gleichzeitig das Ansehen des ärgsten Widersachers der SPD hebt. Daran ändert es auch wenig, daß Schiller in dem Minister für wirtschaftliche Zusammenarbeit Hans Jürgen Wishnewski einen Parteifreund in einem benachbarten Ressort hat. Die Ressorts Justiz, Verkehr, Wohnungsbau, Gesundheit und Bundesrat sind aber zu unbedeutend, um der SPD einen Einfluß auf die wichtige- Innenpolitik zu verschaffen, die fest in den Händen des Notstandsverfechters Paul Lücke (CDU) ist. Daß Kurt Georg Kiesinger in diesem Kabinett mit Gerhard Schröder, dem ehemaligen Wdrtschäftsminister und jetzigen Bundesschatzminister Schmücker und dem auf den Posten des Bun- desvertriebenenministers abgeschobenen ehemaligen Bundesverteidigungsministers Kai Uwe von Hassel drei ihrer profiliertesten Gegner einer größeren Koalition behalten hat, zeigt seinen Willen, die Zusammenarbeit auf das Nötigste zu beschränken. Die SPD mag darin, sicher nicht ganz zu Unrecht, einen Versuch Kiesingers sehen, die Opposition in den eigenen Reihen, die seinem Vorgänger so gefährlich wurde, durch Mitarbeit auszuschalten. Aber wie eine Zusammenarbeit Wehner- von Hassel und dem aus der CDU zur SPD übergetretenen Heinemann mit Strauß und Schröder aussehen wird, das ist noch nicht recht vorstellbar.

Noch ehe diese Kabinettsliste bekannt war, rief die Tatsache der großen Koalition heftige Proteste innerhalb der SPD hervor. In Düsseldorf wurde der Landesvorsitzende Heinz Kühn gegen seinen Willen zur Koalition mit der FDP gezwungen. Herbert Wehner und die Spitzen sei ner Parteien bemühen sich, die Empörung über die in Bonn gefundene Lösung zu dämpfen. Das wird ihnen bei der in der SPD herrschenden Disziplin sicher auch gelingen. Etwas anders sieht es mit den künftigen Wahlchancen der SPD aus, die ihren Aufstieg bürgerlichen Wählern verdankt. Hier dürfte die angekündigte Wahlrechtsreform einiges Gewicht erlangen.

Eine zweifelhafte Manipulation

Daß sich Herbert Wehner dazu in einem Augenblick herbeiließ, da sein Parteichef Willy Brandt mit dem FDP-Vorsitzenden Mende .in geradezu freundschaftlichen Verhandlungen stand, ist eine bisher im ohnehin nicht gerade feinen Bonner Stil noch nicht dagewesene politische Manipulation. Sie ist mit keinem der angeführten Argumente, wie etwa der Schaffung klarer Mehrheitsverhältnisse, wirklich zu rechtfertigen. Gegen diese Argumente stehen nämlich gewichtige Bedenken. Die Partei von Theodor Heuß, die aus der Entwicklung des demokratischen Lebens der Bundesrepublik nicht wegzudenken ist und die über einen festen, mehr als vier Millionen Wähler ausmächenden Wählerstamm verfügt, ausschalten zu wollen, ist eine Manipulierung des Wählerwillens, die das Ende der deutschen Demokratie sein kann. Ein solches Wahlrecht würde in Deutschland die ohnehin große Unlust am Staat verstärken, mit der sich zwar bequem regieren läßt, die aber unübersehbare Gefahren heraufbeschwören müßte. In demokratisch so gefestigten Ländern wie England und Amerika sind die dort üblichen Wahlbeteiligungen von 50 bis 65 Prozent kein Grund zur Aufregung. In Deutschland wären sie ein Bekenntnis gegen die Demokratie. Es gibt keinen vernünftigen Grund, das in England und Amerika aus der Tradition erwachsene Mehrheitswahlrecht für Deutschland zu übernehmen. Ein Wahlkampf, in dem der siegt, der die meisten Hände schüttelt, die meisten Kinder küßt und am gewinnendsten lächeln kann, würde in Deutschland rasch Gegenkräfte wecken. Auch Herbert Wehner weiß das. Diese Maßnahme müßte sich um so mehr gegen die SPD wenden, als sie in Verdacht steht, die W ahlrechtsmanipulation ins Gespräch gebracht zu haben. Der höchst wahrscheinliche Übergang der FDP-Wähler zur CDU würde die SPD zu ewiger Opposition verdammen und gerade jenen Wechsel der politischen Kräfte in Deutschland verhindern, dessentwegen man angeblich die ganze Manipulation in Szene setzen will.

So ist der Durchbruch zur Regierungsverantwortung für die SPD mit vielen Fragezeichen versehen.

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