6634405-1957_06_01.jpg
Digital In Arbeit

Königrufen auf dem Semmering

Werbung
Werbung
Werbung

Die Türen des zweiten „Konklaves" der Oesterreichischen Volkspartei auf dem Semmering haben sich wieder geöffnet. Die führenden Männer der ersten Regierungspartei sind, gefolgt von dem langen Troß der Abgeordneten und Funktionäre, aus der klaren Bergluft und stillen Abgeschiedenheit in die Niederungen politischer Alltagsarbeit heimgekehrt. Alle — bis auf einen. Der Mann, den die erste Regierungspartei an der Spitze des Staates sehen möchte, wurde nicht mitgebracht. Mit anderen Worten: die repräsentative Versammlung der Oesterreichischen Volkspartei diskutierte zwar mit reger Anteilnahme diffizile Wirtschaftsfragen, sie räumte auch aus leicht ergründbaren Ursachen den kulturpolitischen Anliegen der Katholiken einen breiteren Raum in der Diskussion — und vor allem im Kommunique — ein, als dies in den letzten Jahren der Fall zu sein pflegte, die Frage der Oeffentlichkeit nach dem Kandidaten der Volkspartei für die Bundespräsidentenwahl blieb jedoch ohne Antwort. Der Fünferausschuß, der von der Bundesparteileitung zur Vorbereitung der Bundespräsidentenwahl eingesetzt worden war, erhielt praktisch alle Vollmachten. Alle, das heißt von der Aufstellung eines eigenen bis zur Nominierung eines Kompromißkandidaten. Ja selbst der Weg zurück zur Verfassungsänderung und Wahl des Staatsoberhauptes durch die Bundesversammlung wurde trotz des in diesem Fall zu erwartenden massiven Widerspruchs der öffentlichen Meinung nicht endgültig verbaut. Dennoch darf man nicht annehmen, daß die Frage „Wer wird Oesterreichs nächster Bundespräsident?“ die politische Versammlung auf dem Semmering nicht beschäftigt hat.

Manchmal erfaßt eine Anekdote besser eine Situation als selbst die gewissenhafteste politische Analyse. So wußte ein Mittagblatt zu berichten, daß man nach des Tages Müh und Plagen den Bundeskanzler und Parteiobmann, schweigsam wie immer, im Hotel Panhans bei einer abendlichen Tarockpartie beobachten konnte. Tarock zu viert gespielt heißt aber bekanntlich „K ö n i g r u f e n“. Dieses Spiel hat seinen eigenen Reiz. Es verlangt Aufmerksamkeit und Kombinationsgabe. Geraume Zeit bleibt selbst der Partner verborgen. Häufig kommt es vor, daß der gerufene schwarze oder rote König erst durch den letzten Stich sichtbar wird ...

Ohne Zweifel wurde auf dem Semmering „Königrufen“ gespielt. Und das nicht nur zur abendlichen Erholung. Die politische Partie wurde jedoch vorzeitig abgebrochen. Der „König“ ist noch im zur Seite gelegten Blatt verborgen.

Gründe dafür gibt es mehrere. Da sind einmal die Erfahrungen der letzten Präsidentenwahl. Damals entschloß man sich im Lager der Volkspartei verhältnismäßig rasch zur „Schilderhebung“ eines Kandidaten. Es war nicht dessen Schuld, daß er am Abend des zweiten Wahlganges nicht als Sieger genannt werden konnte. Die Lehren des Jahres 1951 aber sagen klar und eindeutig, daß jeder Parteimann, den die Volkspartei aufstellt, von Anfang an einen schweren Stand hat. Auch eine Mehrheit im ersten Wahlgang dürfte hier nicht täuschen. Wir haben auch bereits die eine Ausnahme genannt: sie wäre gegeben, wenn der Bundeskanzler sich entschließen könnte, selbst seine Kandidatur für das höchste Amt im Staat anzumelden. Dem Vernehmen nach hat es auf dem Semmering an Appellen und Aufforderungen in dieser Richtung nicht gefehlt. Ing. Raab hat sich diesen Einladungen gegenüber aber harthörig gezeigt. Mit gutem Grund. Vielleicht hat nicht zuletzt der Verlauf der Semmeringer Arbeitstagung gezeigt, daß jetzt nicht die Stunde für den verantwortlichen Lenker der österreichischen Politik ist, um höherer Ehre oder — was bei einem Mann wie Raab stärker ins Gewicht fallen dürfte — der ersehnten und verdienten Ruhe wegen das Steuer aus der Hand zu geben. Sagen wir es offen: die Volkspartei selbst wäre gegenwärtig alles andere als gerüstet, um ohne Schaden einen so einschneidenden petsonellen und organisatorischen Umbau zu vollziehen, den der Ausfall ihęes politischen Zentrums zwangsläufig verursachen müßte.

Also fällt es nicht schwer, zur Tagesordnung zurückzukehren und weiterhin Ausschau nach einem, nach dem besten Kandidaten für die verwaiste Präsidentschaftskanzlei zu halten.

Wir haben von allem Anfang an keinen Zweifel darüber gelassen, daß, mit der oben erwähnten Ausnahme, die Chancen der Volkspartei nicht die besten sind, wenn sie starr daran festhält, einen aktiven Politiker aus ihren Reihen zum Nachfolger Dr. Körners zu macheri. Was würde daher näher liegen, als den Von vielen Seiten geäußerten Wunsch — in diesem Fall ist die Presse wahrhaft nur Dolmetscherin weitverbreiteter Meinungen — nach einem dem Parteileben entrückten Mann (der noch lange kein unpolitischer Mensch zu sein braucht) Ausschau zu halten. Gerade das aber wurde, wenn unsere Beobachtungen richtig sind, auf dem Semmering versäumt.

Die hier fällige Entgegnung kam vorweggenommen werden. Wir kennen den Chor der Parteistimmen, der an solcher Stelle unisono ruft: „Es ist keiner da.“ Wir kennen ihn, wie gesagt, und geben sogar zu, daß sich tatsächlich nicht gleich bestimmte Namen aufdrängen.

Daß man aber achselzuckend diesen Wunsch, der zugleich eine reale Chance für die Volkspartei wäre, übergehen zu können glaubt, zeigt nicht nur Mangel an Phantasie, sondern eher schon an gutem Willen.

So will man also der Sozialistischen Partei den Vortritt — man kann auch sagen die Initiative — lassen. Sie hat es in diesem Fall wirklich etwas leichter. Ihre Forderung nach einem Kandidaten „wie Renner und Körner“ läßt erkennen, daß man hier alles auf eine Karte setzt.

Daneben hält sich aber hartnäckig die Ansicht — erinnern wir uns an die Taktik der „Königrufen"Spieler —, daß es zu guter Letzt doch noch überraschend zu einem Arrangement der beiden Parteien kommen könnte.

Da man allem Anschein nach noch immer davor zurückschreckt, dem Volk — was gar nicht das Aergste wäre — einen gemeinsamen Kompromißkandidaten zur Bestätigung vorzuschlagen, droht hier nach wie vor im Hintergrund die Verfassungsänderung und die Wahl in der Bundesversammlung.

Auf dem Semmering wurde die Partie ..Königrufen" abgebrochen. Die Karten bleiben verdeckt auf dem Tisch. Man wird sie bald wieder aufnehmen müssen. Es ist ein ernstes Spiel. Sein Einsatz ist wahrlich keine Bagatelle.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung