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Königskrise

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Beinahe wäre es in Belgien zu einer ähnlichen Krise gekommen wie die, deren Vorhandensein das gesamte politische Leben des Landes zwischen 1945 und-1951 gelähmt und vergiftet hat. Die Ursachen beider Krisen liegen viel tiefer, als es dem Landesunkundigen scheint und als es die Parteipolemiken wie die Presseerörterungen vermuten ließen. Zunächst darin, daß nicht nur in den breiten Schichten, sondern auch in der Elite der monarchische Gedanke fest verwurzelt ist, daß aber zugleich die meisten Belgier, demokratisch und ständischen Privilegien abgeneigt, an und für sich republikanisch gesinnt wären, wenn nicht... Da setzt nun einerseits die kühle Staatsraison ein, anderseits das Sentiment. Die eine lehrt die Belgier, daß ihr Staat, in dem zwei Nationalitäten beisammen wohnen, auseinanderbrechen müßte, würde er nicht durch die Dynastie zusammengehalten. Die Wallonen zöge es sonst zu Frankreich, die Flamen zu den Niederlanden. Das andere, das Gefühl, wünscht sich einen Hof an der Spitze, weil man in Belgien von jeher Prunk und von Zeit zu Zeit glänzende Feste liebt. Jedenfalls sind alle Anhänger der im Parlament beinahe die absolute Mehrheit besitzenden und in der Zweierkoalitionsregierung Eyskens führenden Christlichsozialen Partei, die meisten Liberalen und ein erheblicher Teil der Sozialisten für das Fortbestehen der Monarchie, und nur eine kleine Minderheit der Sozialisten samt den völlig unbedeutenden Kommunisten lehnt grundsätzlich diese Institution ab.

Nun heißt es aber keineswegs, daß man dem König reale Macht oder daß man gar den anderen Mitgliedern des Herrscherhauses politischen Einfluß zubilligte. Den bekannten Spruch der preußischen Junker: „Und der König absolut, wenn er unsern Willen tut" kann man für Belgien abwandeln: „Nur ein konstitutioneller König ist gut, wenn er zudem nie nach eigenem Willen tut.“

Dieses Idealbild eines Herrschers, der nicht herrscht, ist den Belgiern im Laufe ihrer Geschichte als selbständiger Staat zumeist nur ein Wunschtraum geblieben. Leopold-II., der Schöpfer des Kongostaats, hatte sehr automatische Neigungen, denen er als Souverän der afrikanischen Kolonie nachleben durfte; er war zeit seiner Regierung unbeliebt, und erst nach seinem Tode wußten ihm die Belgier Dank für den Reichtum, den er ihnen erschlossen hatte. Sein Nachfolger Albert I. entbehrte der Popularität, bis er sie durch sein tapferes Verhalten im ersten Weltkrieg gewann. Leopold III. hatte weit eher die natürlichen Gaben dazu. Als er den Thron bestieg, 1934, war er eįn schöner, bezaubernder junger Mann, der in beiden Landessprachen ungewöhnliche Rednertalente und Konversations- künste entfaltete. An des Königs Seite eroberte die anmutige, herzensgute Gattin Astrid alle Herzen. Das Unglück begann, als Astrid bei einem durch die Unachtsamkeit Leopolds III. verschuldeten Autounfall getötet wurde. Der ver- verdiisterte Witwer wurde bemitleidet, di'ch er störte die Zirkel der politischen Leader aller Parteien durch seine jetzt hervortretende Neigung, auf die Geschicke des Landes maßgebenden Einfluß zu nehmen, wie durch die schroffe Art, mit der er manchen Ministern und Parlamentariern begegnete.

Im zweiten Weltkrieg löste der König ob seiner Unlust, im entscheidenden Moment einem anderen Ratgeber als seinem eigenen Gewissen zu gehorchen, schwere Konflikte aus, die ihm die nachhaltige und im Grunde unversöhnliche Feindschaft der ihm ohnedies grollenden Politiker eintrugen. Er weigerte sich, der Regierung ins Exil nach England zu folgen, blieb unter der deutschen Besetzung in Belgien und ... heiratete zum zweitenmal. Das wurde ihm von den durch eine geschickte Propaganda bearbeiteten Volksmassen, zumal in Wallonien, sehr verübelt. An Astrids Stelle eine Flamin, noch dazu aus bürgerlichem Hause (Liliane Baels, später zur Prinzessin von Rėthy erhoben), das war zuviel. Nimmt man dazu das gegen den König angesammelte Ressentiment der Politiker, sogar aus der christlichsozialen Partei, ist es uns verständlich, daß der Herrscher an der Rückkehr aus dem unfreiwilligen Exil verhindert wurde und daß man ihm vor allem die Wiederübernahme der vollen Königsgewalt verwehren wollte. Als er übrigens bei einem Plebiszit die schwache Mehrheit des Stimmvolks für sich erhielt, sträubten sich seine Gegner, vornehmlich die Sozialisten, diesen Entscheid anzuerkennen; die Gefahr eines Bürgerkriegs schwebte über Belgien, bis Leopold III. zu gunsten seines ältesten Sohnes Baudouin abdankte. Damit war, im August 1950, die Königskrise scheinbar überwunden. Ihre, Voraussetzungen aber bestanden fort.

Eine Zeitlang ging alles gut. Nach seinem Verzicht weilte der einstige König oft und lange außerhalb Belgiens, einmal sogar in südamerikanischen Urwäldern. Doch er kehrte immer wieder in die Heimat zurück, und wenn er dort residierte, dann zumeist in demselben Schloß Laeken, wo sein Sohn und . Nachfolger den Wohnsitz hatte. Denn es war den Feinden des einstigen Herrschers nicht geglückt, das ungewöhnlich herzliche Verhältnis Leopolds III. und der Prinzessin von Rėthy zu Baudouin zu erschüttern.

Sozialisten und ein Teil der Liberalen begannen zu munkeln, daß der junge Herrscher stets auf das Wort seines Vaters hörte. Man warf Baudouin vor, daß man ihn nur im Kreise seiner Eltern und seiner Geschwister lächeln sehe, daß er die Berührung nicht nur mit dem Volk, sondern sogar mit der Society scheue, vor allem aber, daß er, obzwar an der Schwelle seines vierten Jahrzehnts, nicht heirate.

Dafür entwickelten sich zwei bedrohliche politische Affären, die sofort durch die Gegner des Hofes ausgeschrotet wurden.

In der Kongokolonie, wo Baudouin so begeistert empfangen worden war und über deren inneren Frieden sich die Belgier holden Täuschungen hingaben, brachen Unruhen aus, deren der dortige Generalgouverneur Cornells nicht Herr werden konnte. Die in Brüssel am Ruder befindliche christlichsozial-liberale Koalitionsregierung beschloß, ihn abzuberufen. Doch der bei Eyskens und dem Kolonialminister Van Hem- melrijck in Ungnade gefallene Prokonsul hatte sich die Gunst Leopolds III. erworben, der im heurigen Winter die Kolonie wieder besuchte. Der Ex-König setzte sich warm für den Gefährdeten ein. was zur Folge hatte, daß Baudouin dessen Absetzung verweigerte. Die Regierung wollte darüber, keinen großen, Konflikt entfesseln und fügte sich dem Wunscli des1 Monai'chenį Cornells durfte weiter seine Funktionen ausüben Das rief einen ersten heftigen Sturm in Parlament und Presse hervor, wo die bei den vorjährigen Wahlen geschlagenen Sozialisten die so einladende Gelegenheit zum Angriff auf das Kabinett Eyskens benützten.

Der Sturm wuchs bald zum Orkan. In den Tagen, da man sich (bildlich) um Cornells’ Kopf stritt, wurde die Verlobung des jüngeren Bruders Baudouins, Prinz Albert, mit der italienischen Prinzessin Paola Ruffo di Calabria bekanntgegeben. Das Volk war entzückt. Wenn schon nicht Baudouin, so wenigstens der präsumptive Thronerbe I'Albert, der in seiner Kindheit wegen eines Sprachfehlers Sorgen verursacht hatte, war seither zum stattlichen, liebenswürdigen Kavalier herangereift, der schon durch seine Erscheinung leichter Popularität gewinnen konnte als sein bebrillter, schüchterner königlicher Bruder. Doch die Dynastie hatte wiederum Pech, oder vielmehr, ihren Beratern unterlief wieder einmal ein folgenschwerer Fehlgriff.

Man dachte der Vermählung besonderen Glanz zu verleihen, wenn man Papst Johannes XXIII. bäte, selbst die Trauung zu vollziehen, weil sich die Verlobten bei dessen Krönung kennengelernt hatten. Die Verhandlungen mit dem Vatikan wurden durch den belgischen Botschafter beim Heiligen Stuhl, Baron Poswick, geführt, wie es scheint über den Kopf des Erstministers Eyskens und des Außenministers Wigny hinweg. Der Heilige Vater sagte zu. Selbstverständlich konnte in diesem Fall ’ keine Ziviltrauung geschehen. Denn die Zeremonie hätte auf dem Gebiet des Vatikanstaats stattgefunden, wo allein die kirchliche Eheschließung existiert. Nach belgischem (und nach allgemeinem internationalem) Recht wäre sie, wie der belgische Primas Kardinal Van Roey in einem Hirtenbrief mit Fug hervorhebt, gültig gewesen. Doch die laizistischen Kreise Belgiens erhoben eifrigen Protest. Nicht zuletzt war man darüber ent täuscht und erbost, daß man ihnen das prächtige Schauspiel einer Fürstenhochzeit und die damit verknüpften Volksbelustigungen vorenthalten . wollte. Nun fiel dem belgischen Außenminister und dem Botschafter beim Vatikan die heikle Aufgabe zu, aus einer Sackgasse herauszugelangen.

Da wurden die hochgehenden Wogen, beinahme im letzten Moment, besänftigt. Nicht auf einmal. Zunächst entschloß sich am 25. Mai Leopold III., seine Absicht veröffentlichen zu lassen, aus Schloß Laeken fortzuziehen. Worauf dem Tratsch über die ständige Bevormundung Baudouins das wichtigste Substrat genommen war. Am 2. Juni folgte sodann die amtliche Mitteilung, die Eheschließung Alberts werde in Brüssel stattfinden, und zwar zuerst zivil, dann kirchlich, entsprechend dem belgischen Gesetz.

Die zweite dieser Nachrichten, die beide von den Sozialisten mit Siegesgeschrei begrüßt wurden, verbreiteten die kompetenten Stellen am Tag, nachdem Baudouin von einer dreiwöchigen Reise durch die USA zurückgekehrt war, triumphal gefeiert von Hunderttausenden, die der Hauptstadt Straßen säumten. An ebendemselben 2. Juni empfing der König die Journalisten zu einer Aussprache, bei der er pflichtschuldig lächelte und leutselig war. „Doch wie’s da drinn’ aussieht, geht niemand was an“, singt der Prinz im unvergänglichen „Land des Lächelns“. Und die zweite belgische Königskrise ist vorbei. Auf wie lange, das steht vorläufig nicht in den Blättern und nur in den Sternen geschrieben.

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