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Köpferollen in Prag

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Der Verbrauch an politischen Führungsgarnituren steigt in der Tschechoslowakei ins Gigantische. Drei Bundesregierungen, zwei tschechische und zwei slowakische Landesregierungen, eine viermalige radikale Umbesetzung des Parteipräsidiums, eine permanente Umgruppierung der leitenden Sekretare im ZK der KPC und schließlich das fast völlige Auswechseln des Zentralkomitees, der theoretisch höchsten Parteispitze, in zwei Jahren!

Die Absetzungsserie begann noch im Mai 1968 mit der Entfernung von General Prchlik; es folgte nach dem August 1968 bis zum April 1969 der „Kahlschlag“ der Journalisten bei Presse, Rundfunk und Fernsehen, gleichzeitig die Ablösung der Reformergruppe aus ihren staatlichen und bald auch aus ihren Parteifunktionen. Hier skizzierten die Etappen der Entfernungen Dubieks gleichzeitig die Phasen des radikalen innerpolitischen Umbruches: 18. April 1969 Rücktritt als Parteisekretär; 29. November 1969 Entfernung aus dem Parteipräsidium und 28. Jänner 1969 Verlassen des Zentralkomitees. Viel raschere, radikalere und rücksichtslosere Runden im politischen Parkett hatten die anderen Reformer wie Smrkovsky, Dr. Kriegl, Hajek, Pavel, Sik und andere hinter sich. Aber was vorerst den Reformern passierte, geschah jetzt den Männern der Mitte, die sich auch gern „Realisten“ nennen ließen. Spitzenexponent dieser Gruppe war der eben gestürzte tschechoslowakische Ministerpräsident Oldf ich Öernik, dessen Schicksal eigentlich für die mittlere politische Führungsgarnitur der Tschechoslowakei im Alter von knapp 50 Jahren bezeichnend ist.

Cernik gehörte, wie viele andere, zu den „jungen Männern Novotnys“. Der manchmal etwas verkannte Novotny hatte die Gabe, junge und gute Leute auf prominente Posten zu setzen, wenn er allerdings auch später nicht vermochte, diesen Leuten Rückendeckung zu geben und ihren Ideen zum Durchbruch zu verhelfen. Neben Cernik, der unter Novotny sieben Jahre Minister, ein paar Jahre stellvertretender Ministerpräsident war, waren es der spätere stellvertretende Ministerpräsident Ota Sik, der vor allem auf wirtschaftspolitischem Gebiet eine maßgebliche Rolle spielte; der später so maßgebliche Reformer Cisaf, der unter Novotny Unterrichtsminister und jüngstes Kabinettsmitglied war, dann allerdings in Ungnade fiel und als Botschafter nach Bukarest abgeschoben wurde. Es war aber auch der damalige Regierungschef Lenart, der jetzt, beim jüngsten Revirement, slowakischer Ministerpräsident

wurde, nicht zuletzt aber auch Strougal, seinerzeit ein sehr jugendlicher Innenminister, der eben jetzt als Nachfolger Cerniks Chef der tschechoslowakischen Bundesregierung wurde. Nun konnte man bei einer oberfläch-

liehen Betrachtung der Lage der Meinung sein, die neuen Säuberungen der Tschechoslowakei bedeuten eine weitere Stärkung der Position des ersten ZK-Sekretärs der KPC, Dr. Husük. Das scheint allerdings nicht der Fall zu sein. Husäk war im politischen Bereich schon immer ein Einzelgänger. Seine Verurteilung zu lebenslänglichem Zuchthaus und die Tatsache, daß sich sein Freundeskreis daraufhin nur allzu rasch von ihm abgewendet hat, hat diese Anlage nur noch verstärkt Als Husäk dann nach Prag ging, bildete er praktisch eine Einmann-Fraktion — und das bis zum heutigen Tag. Fast vergessen ist inzwischen allerdings, daß es ja ursprünglich die Reformergruppe war, die ihn wieder aufs politische Parkett holte und in Prag zum stellvertretenden Ministerpräsidenten unter dem eben gestürzten Cernik machte. Als dann drei Slowaken in maßgeblicher Position in der Parteispitze in Prag saßen, Dubcek, Dr. Husdk und Vasil Büäk, gehörte praktisch jeder von ihnen einer völlig anderen Riahtung an.

Beim Sturz Cerniks werden zwar vor allem wirtschaftliche Gründe Ins Treffen geführt; Hauptursache aber dürfte gewesen sein, daß er ein ursprünglicher Nouotny-Mann war, der später die Wendung zu Dubcek gemacht hatte — beides Todsünden für Husdfc, der in beiden, in Dubcek wie Novotny, seine Hauptfeinde siebt. Hätte Husäk in der Parteispitze zur Hälfte Reformer und zur Hälfte Konservative, so hätte er sich als geschickter Taktiker noch am ehesten durchlavieren können. Nach völliger Ausschaltung der Reformer und nach der nunmehrigen Entfernung des prominentesten Realisten Cernik gehört das gesamte Parteipräsidium — wenn man den alten Staatspräsidenten Svoboda, der in letzter Zeit ein großer Schweiger geworden ist, ausnimmt — der konservativ-orthodoxen Gruppe an. Und das sind nicht unbedingt die Freunde Husaks Hinzu kommt, daß die beiden Kronprinzen Husäks seit einem guten halben Jahr deutlich sichtbar sind. Nach einem schnellen Gipfelsturm sind die beiden Tschechen Strougal und Kempny neuerlich um eine Stufe höhergekommen; der eine, bislang tschechischer Parteichef, wurde nunmehr Chef der Bundesregierung; der andere, Kempny, zuletzt tschechischer Regierungschef wurde nunmehr Chef des tschechischen Parteibüros.

Ursache dieser neuerlichen Waehablösung ist ja nicht zuletzt die schlechthin katastrophale Wirtschaftssituation der Tschechoslowakei.

Wenn man heute Ministerpräsident Cernik verantwortlich für die wirtschaftliche Misere macht, so ist es zumindest teilweise richtig. Für die Trostlosigkeit, die Apathie und Hoffnungslosigkeit, die weite Kreise der tschechischen und slowakischen Bevölkerung erfaßt hat, ist allerdings in erster Linie Parteichef Husdk verantwortlich. Hier eine Wendung herbeizuführen, wird nicht leicht sein, so daß auch die neuen Regierungschefs ihre Arbeit auf schwankendem Bodiem beginn müssen.

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