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Kompromißwege zum Konkordat

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druck gibt, daß, je mehr die Wilsenschaft In dai Leben der Menschen kommt, um so weniger die Menschen der Religion, dieser großen Illusion bedürfen werden. Es ist sehr interessant, gerade von Sigmund Freud eine solche Auffassung in so späten Jahren vertreten zu hören, in einer Zeit, in der die moderne Naturwissenschaft bereits ihre ersten ganz großen für die moderne Entwicklung bedeutsamen Eroberungen und Entdeckungen vorbereitet hat und in der sich gleichzeitig gezeigt hat, daß diese ungeahnten Entdeckungen und Entwicklungen jedenfalls die religiöse Überzeugung sehr vieler dieser Wissenschaftler nicht zu erschüttern vermochte. v Ich habe unlängst den Brief eines Mannes, der zu den bedeutendsten Naturwissenschaftlern dieser Epoche gehört, gefunden, in dem er mir spaßhaft seine zehn Gebote geschickt hat — die dann später, glaube ich, publiziert wurden. In diesen zehn Geboten spricht dieser Mann, der voll von Ironie und Selbstpersiflage ist und auch einer Spur Zynismus, von der Größe der Schöpfung. Ich führe das nur an, ich bin ja selbst Agnostiker, weil dieser Mann, dem die Geheimnisse offenbarer waren als mir und vielen von uns, von der Ehrfurcht erfüllt war vor religiösen Postulaten, ohne ein religiöser Mensch im eigentlichen Sinne gewesen zu sein.

Das alles hat natürlich die Position der aufgeklärten Sozialdemokraten noch verstärkt, denn sie wußten sich irgendwie eins mit den Männern der Wissenschaft. Dann kam die Erste Republik, und man begann sich aufs neue mit diesem Problem zu befassen und es neu zu durchdenken. Und wenn schon Gtto Bauer hier so oft zitiert wurde, so möchte ich jetzt zitieren, was er darüber gesagt hat:

„Der Papst, die Bischöfe, die Prälaten, das ist die Kirche. Der arme Kleinbauer, der, wenn die Wolken aufziehen und ein Hagelschlag die Frucht auf dem Felde, die Frucht mühseliger Jahresarbeit zu vernichten droht, die Hände faltet und betet, unser täglich Brot gib uns heute, das ist Religion. Die mächtigen Herrschaftsorgamsation, deren Diplomaten an allen Höfen sitzen, deren Fürsten große Parteien lenken und die Schicksale beeinflussen, ■■ das ist die Kirche. Die Mutter, die am Krankenbett ihres Kindes in inbrüstigem Gebet zur Mutter Gottes Trost und Rettung sucht, das ist Religion. Das in Jahrhunderten kunstvoll aufgetürmte System der dogmatischen Theologie, das ist die Kirche. Die Legende, die die Mutter dem Kind erzählt, das ist

Religion. Das gewaltige Herrschaftssystem des Kirchenrechts, das ist die Kirche. Das den Armen, den Leidenden tröstende, erbauende, fromme Lied, das ist Religion.“

Das ist gewiß eine Fülle von schönen Formulierungen, aber wir sind heute auch in dieser Frage nicht mehr ganz dieser Auffassung. Diese ganze Auffassung kulminierte in dem Satz „Religion ist Privatsache“, der heute nicht mehr als Grundsatz in unserem Parteiprogramm enthalten ist aus Gründen, die ich dann noch ganz kurz ausführen werde.

Erste Kontakte

Nach 1945 in der Zweiten Republik hatte ich ein Notquartier bei einem damals bekannten und auch heute nicht unbekannten katholischen Publizisten gefunden und dort gab es erste interessante Gespräche, erste Kontakte. Der Besuch Kas Vorinks, des Vorsitzenden der holländischen Partei der Arbeit, und sein Bedürfnis mit österreichischen Theologen zusammenzukommen, war dafür ausschlaggebend, daß es zu einem ersten solchen Kontakt nach dem Krieg zwischen Sozialdemokraten und Vertretern der Kirche gekommen ist, das an sich wenig ergebnisreich gewesen ist. Es war ja nur ein erstes Sich-Abtasten. Dann später gab es im Bereich der Politik für uns die großen Probleme. Der spätere Bundespräsident hat als Vizekanzler und Parteivorsitzender den Standpunkt vertreten, daß Österreich nicht okkupiert, sondern annektiert war, was zur Folge haben mußte — nach seiner Auffassung —, daß damit alle völkerrechtlichen Verträge hinfällig geworden sind, denn Österreich habe als

Völkerrechtssubjekt aufgehört zu bestehen. Die Anhänger der Okkupationstheorie vertraten dann als einen anderen Standpunkt, die Völkerrechtssubjektivität Österreichs wäre zu vergleichen mit einer Spiralfeder, die dann, wenn der äußere Druck wegfällt, wieder ihre alte Gestalt annimmt. Ich weiß nicht, ob der verewigte Bundespräsident ein Anhänger der Annexionstheorie deshalb war, weil er auf diese Art am besten das Konkordat oder die Idee der Gültigkeit des Konkordats ad absurdum führen konnte oder ob es seiner innersten Uberzeugung nach so war. Ich weiß nur, daß ich von allem Anfang an auf Grund meiner Stellung als politischer Emigrant ein unbedingter Anhänger der Okkupationstheorie sein mußte und ich habe im Ausland immer wieder zusammen mit einigen Freunden den Standpunkt vertreten, Österreich gäbe es, es wäre nur eines der okkupierten Länder so wie Norwegen und Holland und Belgien. Anders wäre unsere politische Aktivität gar nicht denkbar gewesen. Dazu kam, daß ich als Außenpolitiker der Auffassung war, auch rein technisch, daß es ja unsinnig sei, viele nützliche Verträge noch einmal zu schließen, nur deshalb, weil man sich theoretisch nicht einigen kann, was uns eigentlich widerfahren ist. Ich war also der Meinung, daß wir ein okkupierter Staat waren und von dem Augenblick an, in dem ich dieser Meinung auch ein gewisses Gewicht verleihen konnte, habe ich das getan. Dies war nicht erst ab 1959, sondern schon in der Zeit, in der ich Staatssekretär war. Denn schon damals habe ich mit Beamten des Außenministeriums eine Kompromißformel für die Gültigkeit des Konkordats gesucht.

Diese Bestrebungen zu einem Kompromiß zu finden, wurden nicht nur mit scheelen Augen auf sozialistischer Seite beobachtet, sondern es wäre auch ganz aussichtslos gewesen, dem damaligen Papst auch nur die Idee eines Kompromisses näherzubringen. Das haben maßgebende Herren der Volkspartei oft und oft versucht und sind damit gescheitert. Es bedurfte verschiedener Voraussetzungen, neuer Voraussetzungen. Nun hat man mir in Rom erzählt — ich weiß nicht ob diese Geschichte wahr ist, ich gebe sie jedenfalls zum erstenmal wieder — daß der neue Papst sich mit einem seiner früheren Mitarbeiter über eine Reorganisation des

Medaillenwesens unterhalten habe. Er habe diesen Mann, der früher sein Mitarbeiter in Paris war, kommen lassen, um sich mit ihm zu beraten, und soll dann gesprächsweise auf das Konkordat gekommen sein und gefragt haben, wieso denn sein Vorgänger so böse auf die Österreicher gewesen wäre, die doch so gute Kinder der Kirche sind. Und da habe ihm dieser junge Freund gesagt, ja, das sei in Kraft getreten in einer Zeit, in der die Sozialdemokraten in Haft waren, in der es keine sozialdemokratischen Abgeordneten mehr gab — und nun stellten sich die Sozialdemokraten auf den Standpunkt, das Konkordat könne nicht gelten. Denn wir seien

widerrechtlich, verfassungswidrig der Ausübung unserer demokratischen Rechte beraubt gewesen, wir waren im Gefängnis und das gelte daher nicht. Der neue Papst habe nun, wie das so seine Art war, ganz unkonventionell gemeint, ja das müßte man doch eigentlich auch verstehen und berücksichtigen. Er soll dann einem seiner nächsten Mitarbeiter im Bereich der internationalen Beziehungen der Kirche empfohlen haben, den Österreichern gegenüber verständnisvoll vorzugehen. Also sehr vorsichtig und zart mit ihnen umzugehen: damit war das Signal für einen Kompromiß gegeben.

So entstand auf der einen Seite das Verständnis für die besonders prekäre Situation, in der wir Sozialdemokraten uns befunden haben auf Grund der Situation 1934 — auf der anderen Seite aber auch das Verständnis einiger von uns, die sich gesagt haben, daß eine Kirche, die überall auf innere politische Veränderungen nach Abschluß internationaler Verträge Rücksicht nehmen muß, nur noch mit wenigen Staaten Verträge abschließen könnte. Man muß also Verständnis haben für den Standpunkt der Kirche, daß dieser Vertrag rein juristisch seine Gültigkeit haben müsse. Und so sind wir einer Lösung näher gekommen, die für beide Teile akzeptabel war. Österreich ist nicht versunken in nachtschwarzem Klerikalismus, wie das manche mir vorgehalten haben, als ich diese Lösung in meinem Parteigremium vertrat. Sogar gemäßigte Politiker haben mir das vorgehalten — die gemäßigten aus der Ersten Republik waren böse über mich und über meinen „rotten KlsrikaMsmus“ wie Site das genannt haben. Aber diese Verträge sind der deutlich sichtbarste Ausdruck für ein neues Verhältnis der österreichischen Sozialisten zur katholischen Kirche geworden. Auch Bundespräsident Doktor Schärf hat damals sein Verständnis erklärt und damit zum Ausdruck gebracht, daß seine Ansichten als Parteivorsitzender nicht mehr ohne weiteres auch seine Ansicht als Staatsoberhaupt einer Republik sein könnten, in der Rücksicht zu nehmen ist auf alle Bürger dieses Staates.

Das neue Programm der SPÖ

Und so möchte ich von einer zweiten Gruppe von Symptomen sprechen, die die Wandlung von der anderen Seite her charakterisiert. Diese Motive auf der anderen Seite: das war die Reideologisierung der Sozialistischen Partei in Österreich, die mit dem Wiener Programm begonnen hat. Ich habe das verschiedentlich schon ausgeführt. Unmittelbar nach

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