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Konkordat in Argentinien?

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Mit dieser instruktiven Datstellung des auf völlig neue Grundlagen gestellten Verhältnisses von Kirche und Staat in Argentinien nimmt die Furche“ die durch die jüngsten Ereignisse in Argentinien vorübergehend unterbrochene Originalberichterstattung über Argentinien wieder auf. Die Klärung der Lage erlaubt uns nunmehr auch, die Berichte mit dem vollen Namen unseres Gewährmanncs zu zeichnen, der nach den hunderterlei Gefahren im Zusammenhange mit einer wohlinformierten und verantwortungsbewußten Berichterstattertätigkeit nunmehr vor unseren Lesern aus der Anonymität heraustreten kann. Die „Furche“

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Mit dieser instruktiven Datstellung des auf völlig neue Grundlagen gestellten Verhältnisses von Kirche und Staat in Argentinien nimmt die Furche“ die durch die jüngsten Ereignisse in Argentinien vorübergehend unterbrochene Originalberichterstattung über Argentinien wieder auf. Die Klärung der Lage erlaubt uns nunmehr auch, die Berichte mit dem vollen Namen unseres Gewährmanncs zu zeichnen, der nach den hunderterlei Gefahren im Zusammenhange mit einer wohlinformierten und verantwortungsbewußten Berichterstattertätigkeit nunmehr vor unseren Lesern aus der Anonymität heraustreten kann. Die „Furche“

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Buenos Aires, Ende September

Wer nach den nervenaufreibenden Ereignissen seit dem im November 1954 entfesselten „Kulturkampf“, über die beiden Revolutionen vom 16. Juni und 16. September d. J. bis zum Sieg der letzteren, das seltene Glück hatte, zu jenen zu zählen, die im Regierungsgebäude, auf der historischen Plaza de Mayo von Buenos Aires der Eidesleistung des neuen Staatspräsidenten Argentiniens, General Eduardo A. L o-n a r d i, beiwohnen zu können, und wer den Sinn für Symbolik nicht verloren hatte, für den war die Anwesenheit des argentinischen Kardinal-Primas Msgr. Dr. Luis Santiago C o p e 11 o an der Seite7 des zum Schwur die rechte Hand erhebenden neuen Staatschefs das Zeichen einer neuen sich in den Beziehungen zwischen Staat und Kirche bahnbrechenden Aera. Als sich nach dem geleisteten Eid das neue Staatsoberhaupt dem Kardinal zuwandte und ihm nach dem hiesigen Volksbrauch in seine Arme schloß, war — ohne die offizielle programmatische Rede des ersten Bürgers der Republik abzuwarten — in schlichter, aber um so herzlicherer Form die

Versöhnung zwischen Staat und Kirche in Argentinien vollzogen.

In seiner darauffolgenden Ansprache an die vor dem Regierungspalast versammelte, mehrere Hunderttausend zählende Menschenmenge legte General Lonardi in konziser und sachlicher Form, auf jegliche propagandistische Knalleffekte verzichtend, sein Regierungsprogramm vor und faßte das Kirchenproblem in folgenden Sätzen zusammen:

„Auf dem Gebiet des Kultus war unser Vaterland einem Prozeß äußerster Gewaltanwendung auf das religiöse Bewußtsein der Einwohner ausgesetzt worden. Für diejenigen, die meine Tätigkeit seit der Regierungsübernahme verfolgt haben, hätte ich nichts mehr hinzuzufügen. Es wird mein ständiges Bestreben sein, die Rechte der Kirche und das religiöse Bewußtsein aller, ganz gleich welcher Glaubensbekenntnisse, aufrechtzuerhalten. Was die katholische Kirche betrifft, werde ich mich sehr glücklich fühlen, wenn mir die Vorsehung Gelegenheit gibt, alle Mißverhältnisse durch den Abschluß eines Konkordates zu beenden. Wozu sollen wir uns noch auf unbestimmte Zeit mit den Folgen alter Irrtümer belasten, die durch Tatsachen und Ideen der Gegenwart endgültig überwunden worden sind?“

Schlicht und einfach sind diese Worte — so wie auch die Felduniform des Generals Lonardi war, die er bei dieser Gelegenheit trug —, aber ebenso beseelt von jener Entschlossenheit, mit der er noch einige Tage, vorher die Bewegung leitete, die zum Sturze eines herrschsüchtigen, selbstberufenen „Volksführers“ führte.

Somit beschreitet Argentinien den einzig richtigen Weg zur endgültigen, auf beiderseitiger Verständigung beruhender Regelung der Beziehungen zwischen Staat und Kirche. Diese waren seit Argentiniens Loslösung von Spanien im Jahre 1810 stets in Schwebe und führten infolge der eigenmächtigen und willkürlichen Auslegung des Patronats als inhärent der nationalen Souveränität nicht nur zu Spannungen, sondern zu offenen Konflikten und zeitweilig auch zum Abbruch der Beziehungen zum Heiligen Stuhl. Der vom Staat einseitig in den Verfassungen von 1853 und 1949 normierte Status der katholischen Kirche zeigte die Tendenz, die bereits in der ersten verfassungsgebenden Versammlung von 1813 zum Ausdruck kam, eine dem Staate hörige und von ihm abhängige Eigenkirche zu bilden. Die Frage der Zivilehe und des Religionsunterrichts und andere mehr komplizierten zudem noch das Gesamtproblem der Beziehungen zwischen Staat und Kirche.

Man kann die Hoffnungen des neuen argentinischen Staatspräsidenten auf einen raschen Abschluß eines Konkordats auch als etwas verfrüht bezeichnen, denn der Vatikan hat halboffiziell bereits zu wissen gegeben, daß er den Abschluß dieses so wichtigen Abkommens mit einer konstitutionell gewählten Regierung vorziehe, statt mit einer provisorischen de-facto-Regierung eine Regelung dieser Angelegenheit vorzunehmen. Dies wird aber trotzdem den guten Willen, den die Regierung Lonardis gezeigt hatte, in keiner Weise beeinträchtigen und sie entmutigen, von sich aus alle Schritte zu unternehmen, um auf jenen Gebieten, wo der Staat auch ohne vorheriges formelles Einvernehmen mit der Kirche vorgehen kann, die Kirche in ihre Rechte wiedereinzusetzen.

Einige Provinzen haben den Religionsunterricht bereits wieder eingeführt. Auf dem Gebiet des Bundesschulwesens bietet die Person des neuen Unterrichtsministers Dr. Atilio Del l'O r o M a i n i Gewähr, daß diese Belange in guten Händen sind und die Lösung des Problems in nächster Zeit erfolgen wird. Der neue, für dieses Ressort verantwortlich zeichnende Mann ist Präsident der Jugendliga der Katholischen Aktion gewesen, er ist Mitbegründer der Kurse für katholische Kultur und Gründer der bereits 38 Jahre erscheinenden und angesehensten katholischen Halbmonatsschrift „Criterio“ in Buenos Aires.

Auch auf anderen Gebieten wird die provisorische Regierung von sich aus Schritte unternehmen, um den der Kirche durch das gestürzte Regime verursachten Schaden wiedergutzumachen.

In ihrer traditionellen würdigen Haltung in Zeiten des ihr gegen ihren Willen aufgedrängten „Kulturkampfes“ hat die Kirche sich — wie immer — bewährt und ist als Siegerin aus dem Streite hervorgeangen. Da sich das neue Regime die Losung „Weder Sieger noch Besiegte“ zu eigen gemacht hat, da dies auch stets die Losung der Kirche war, ebnen sich die Wege einer zukünftigen fruchttragenden Zusammenarbeit dieser beiden Faktoren auf allen gemeinsame Belange betreffenden Gebieten. Argentinien und sein Volk, verbunden mit der Kirche, haben die harte Probe bestanden.

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