6546550-1947_18_10.jpg
Digital In Arbeit

Konzentration osteuropaischer Wirtschaft

Werbung
Werbung
Werbung

Der eigentliche Geist des Kapitalismus Ist ein Geist kühner, mutiger Eroberung der Erde, ein Geist, der alles dem endlosen Anwachsen des geheiligten Haufens materieller Güter unterjocht Gleich jedem geschichtlichen Ereignis bringt er Gutes und Böses, Licht und Schatten hervor, aber in unserer Zeit ist der Welt nurmehreine Schattenseite zugekehrt. Jam judicatus est. So braucht das christliche Gewissen eigentlich nur mehr dieses Urteil ad acta zu nehmen. Andere mögen den Leichnam von vier Jahrhunderten Mühe und Leid, Schönheit, Heroismus und Verbrechen begraben mit Reden, Konferenzen, Kriegen, Feuerwerken und Fahnen! Das christliche Gewissen kennt alle Traurigkeiten dieses Schauspiels und wendet sich dem Leben zu.

Jacques Maiitain, Gesellschaftsordnung und; Freiheit

In den Hauptstädten Osteuropas und des Balkans war während der zweiten Aprilhälfte dieses Jahres ein Kommen und Gehen zu Wirtschaftsverhandlungen und Vertragsabschlüssen — 26 Delegationen besprachen in 2 Wochen 13 Handelsverträge. Zweifellos ist damit ein Rekord in der Wirtschaftsgeschichte dieses Teiles Europas zu verzeichnen. — Eine solche Gleichzeitigkeit könnte vielleicht Zufall sein. Zum Bilde gehört aber auch, daß die USA im März ein jugoslawisches Ansuchen um große Nahrungsimittellieferungen abgelehnt haben, daß Rumäniens Ernährungslage einer Katastrophe zusteuert, die USA gegenüber den Kreditansprüchen der Tschechoslowakei sich zurückhaltend zeigten, daß der neue Fünfjahrplan Jugoslawiens einen großen Import von Industrieeinrichtungen zur Voraussetzung hat und daß zahlreiche Anträge amerikanischer Senatoren vorliegen, nach denen Polen und Ungarn vom Hilfsprogramm der USA gestrichen werden sollen.

Die wichtigste Stelle unter seinen Wirt-sdiaftsverhandlungen weist Polen augen-sdieinlich den Besprechungen mit der Tschechoslowakei zu, da der polnische Handels- und Industrieminister Hylari Mine selbst nach Prag reiste. Schon nach wenigen Verhandlungstagen konnte er dort feststellen, daß eine Koordinierung des polnischen Dreijahrplans mit dem Zweijahrplan der Tschechoslowakei möglich sei, wobei Polen der Tschechoslowakei für Ausstattungs-material zum Wiederaufbau seiner Wirtschaft Rohmaterialien liefern und vor allem einen Zugang zur Ostsee gewähren soll. In Erwartung eines umfangreichen Güteraustausches wurde daher am 4. Mai eine neue Bahnlinie eröffnet, die auf der Strecke Mähren—Schlesien die Tschechoslowakei mit Polen verbindet. Am 16. April reiste eine weitere polnische Handelsdelegation unter Führung von Dr. Gall nach Bukarest ab, wo unverzüglich die Verhandlungen über einen neuen Handelsvertrag begannen. Der rumänische Gesamtimport aus Polen betrug im Vorjahr 34.627 Tonnen im Werte von 151 Millionen Zloty, darunter an erster Stelle Petroleumprodukte mit 25.429 Tonnen im Werte von 129 Millionen Zloty sowie 9100 Tonnen Manganerze im Werte von 15 Millionen Tonnen Zloty. Bei der polnischen Ausfuhr nach Rumänien dominieren die Kohlentransporte mit 114.871 Tonnen im Werte von über 71 Millionen Zloty. — Zur gleichen Zeit traf eine Delegation von 18 ungarischen Wirtschaftsführern in Warschau ein, um das derzeitige ungarisch-polnische Handelsabkommen, das Ende dieses Jahres abläuft, zu revidieren und auszuweiten, wobei es Ungarn in erster Linie um Kohle und Koks aus Polen geht. Dieser Delegation folgte in den letzten Tagen eine jugoslawische Wirtschaftskommission, die das am 30. April ablaufende Wirtschaftsabkommen mit einem Wertumfang von 6,2 Millionen Dollar in Warschau nicht nur erneuern, sondern auch weitestgehend intensivieren soll.

Der Außenhandelsminister der Tschechoslowakei, Ripka, konnte Ende April nach seiner Rückkehr aus Sofia berichten, er habe mit dem bulgarischen Finanzminister Stefanow ein neues Handelsabkommen unterzeichnet, nach dem die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen den beiden Staaten die noch nie erreichte Höhe von 3437 Millionen Kronen erzielen werden. Der für vier Jahre vorgesehene Handelsvertrag räumt der Tschechoslowakei einen großen Beitrag an der Industrialisierung Bulgariens ein, die für ihre Lieferungen von Maschinen, Bergwerksausrüstungen sowie Personen- und Lastkraftwagen vor allem Tabak, Ölfrüchte und Rohseide erhalten wird.

Auf seiner Rückreise aus Sofia führte Außenhandelsminister Ripka auch in Belgrad weitreichende Wirtschaftsverhandlungen zur Durchführung eines am 25. Februar dieses Jahres getroffenen Übereinkommens, das die Lieferung von Industrieeinrichtungen aus der Tschechoslowakei an Jugoslawien für 7,5 Milliarden Kronen sowie die Beistellung von 25.000 Metertonnen Saatkartoffeln vorsieht und das durch große Gegenlieferungen von Rohstoffen kompensiert werden soll. Gleichzeitig wurden Verhandlungen über die von der Belgrader Regierung beschlagnahmten Guthaben der Tschechoslowakei in Jugoslawien geführt, deren Wert für Er-holungs- und Sommerreisen tschechoslowakischer Staatsbürger an die Adriaküste verwendet werden soll. Minister Ripka betonte anläßlich seines jugoslawischen Aufenthalts, die starke Entwicklung des Warenaustausches zwischen den slawischen Ländern bedeute keine Blockbildung wirtschaftlicher oder politischer Art, er gab aber in diesem Zusammenhang das große Interesse der Tschechoslowakei an der Entwicklung der Balkanwirtschaft bekannt und motivierte es damit, daß es nötig sei, diese Länder vor einer neuerlichen Auslieferung an Deutschland zu bewahren. Zur selben Zeit traf auch der stellvertretende Außenminister Dr. Klementis aus Prag' in Belgrad ein, um ein tschechoslowakisch-jugoslawisches Kulturabkommen zu unterzeichnen. Der rumänische Minister für die Bergwerksund Petroleumindustrie, Dr. lonescu, erklärte anläßlich eines Wirtschaftsbesuches in Prag, für den Aufbau der rumänischen Industrie kämen vor allem Maschinen aus der

Tschechoslowakei in Frage, wofür sein Land ölprodukte, Obst und Wein liefern wolle. In der letzten Aprilwoche wurde in Bukarest zur Intensivierung der beiderseitigen Handelsbeziehungen eine rumänisch-tschechoslowakische Handelskammer gegründet.

Ein gleichfalls neues ungarischjugoslawisches Abkommen sieht einen umfangreichen Güteraustausch im Werte von 200 Millionen Dollar vor. Es soll Jugoslawien vor allem die dringend benötigten industriellen Ausrüstungen zur Realisierung seines in diesen Tagen beschlossenen Fünfjahrplanes liefern, dessen Hauptziel die Industrialisierung des Landes ist. Wenige Tage päter wurde auch ein neues — zwar nur kurzfristiges — Handelsabkommen zwischen Jugoslawien und Bulgarien unterzeichnet, in dem für das laufende Jahr ein beiderseitiger Güterverkehr im Wert von einer Million Pfund Sterling vorgesehen ist.

Aus Budapest ist der ungarische Handelsminister Alexander Ronai am 28. April mit einer großen Wirtschaftsdelegation zum Abschluß eines neuen ungarisch-sowjetischen Warenabkommens nach Moskau abgereist. Wie er aus diesem Anlaß der ungarischen Presse mitteilte, wird Ungarn am 1. August 1947 zur vollen Planwirtschaft übergehen. Aus Budapest verlautet, daß Ronai in Moskau vorschlagen wird, für die ungarische Ausfuhr nach der Sowjetunion künftighin hauptsächlich Industriewaren in Betracht zu ziehen, anstatt wie bisher landwirtschaftliche Produkte. Der ungarische Import aus der Sowjetunion erreichte im März die Höhe von 17 Millionen Gulden.

Ebenfalls in den letzten Apriltagen hat sich der jugoslawische Außenhandelsminister Petrovidi zur Fertigstellung eines jugoslawisch-russischen Handelsvertrages nach Moskau begeben. Kurze Zeit früher ist eine bulgarische Delegation in die Hauptstadt der Sowjetunion abgereist. Sie wird vor allem versuchen, von der Sowjetunion Lieferzusagen für Erdöl, Baumaschinen und Chemikalien zu erlangen, wofür Bulgarien Tabak, Erze und Häute ausführen will. Anfang April wurde bereits ein polnisch-sowjetrussisches Abkommen unterzeichnet, das als Provisorium den am 31. März abgelaufenen Handelsvertrag bis 30. Juni 1947 ersetzen soll. Dieses Provisorium ist eine Folge verschiedener technischer Schwierigkeiten, die bei den schon vor einigen Monaten begonnenen Handelsvertragsverhandlungen auftraten. Am 28. April ist ferner in Moskau eine albanische Delegation eingetroffen, die ebenfalls unter der Leitung des albanischen Wirtschaftsministers Spiro steht.

Diese überaus rege Tätigkeit der Wirtschaftsdelegationen hat bereits Gerüchte eines „Balkan-Wirtschaftsbundes“ oder eines

„Wirtschaftsblocks Stettin-Varna“ entstehen lassen. Solchen Vermutungen widerspricht aber die Tatsache, daß mehrere osteuropäische Staaten gleichzeitig Wirtschaftsverhandlungen mit Westeuropa und den USA führen und daß verschiedene Balkanländer wiederholt ausländisches Kapital zu Investitionen in ihrem Lande eingeladen haben. Zweifellos ist aber dennoch bei allen diesen Verhandlungen ein System bestimmend, das wahrscheinlich der Meinung recht gibt, die hinter diesen Verhandlungen planmäßige Autarkiebestrebungen zur Stärkung der wirtschaftlichen Gesamtstellung dieser Länder gegenüber Westeuropa und den USA vermutet. Von dieser Erwägung scheint auch der stellvertretende Außenminister der Tschechoslowakei, Dr. Klemen-tis, ausgegangen zu sein, als er am 29. April in Belgrad erklärte: „Durch unsere gegenseitigen Wirtschaftsabkommen wird die erste Grundlage für einen koordinierten Wirtschaftsplan unserer Länder geschaffen. Ich glaube, daß damit die Grenzen der Tschechoslowakei und Jugoslawiens überschritten und die Wirtschaftsbeziehungen in ganz Mitteleuropa beeinflußt werden.“

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung