6538165-1946_26_10.jpg
Digital In Arbeit

Kraftstrom und Fahrt

Werbung
Werbung
Werbung

Der Fremde, der heute nach Salzburg kommt, nimmt mit Staunen die Veränderungen wahr, die sich hier im Eisenbahnverkehr im Laufe eines Jahres ergeben haben. Heute fahren die Züge mit einer nicht zu überbietenden Pünktlichkeit. Der Fahrplan hat hier schon einen fast friedensmäßigen Stand erreicht. Und doch ist erst ein Jahr vergangen, seit am Paß Lueg die letzten Kampfhandlungen und Brückensprengungen stattgefunden haben. Diese außerordentlichen Aufbaulcistungen der österreichischen Staatsbahnen sind der mustergültigen Arbeit aller Eisenbahner, gleich welchen Dienstranges, zu danken, vor allem in der Tätigkeit des Elektrifizierungsamtes und der fort-gesdirittenen Elektrifizierung der Salzbürger Strecken. Der Laie, der im elektrischen Zug durch die Landschaft fährt, wird sich kaum Gedanken darüber machen, was alles an Arbeit, technischer Leistung und natürlichen Voraussetzungen notwendig ist, um einen so hohen Leistungsstandard zu erreichen.

Im Juli vorigen Jahres war genau ein Vierteljahrhundert vergangen, seit das österreichische Parlament einstimmig ein „Gesetz, betreffend die Einführung der elektrischen Zugförderung auf den Staatsbahnen der Republik Österreich“ beschloß. Die politische und wirtschaftliche Lage war damals ähnlich wie heute. Der junge Staat mußte seine Wirtschaft auf die durch den Zusammenbruch der Donaumonarchie geschaffene Lage umstellen. Auf dem Gebiete der Energiewirtschaft mußte vor allem der Verlust der Kohlenfelder durch die Erfassung der „weißen Kohle“ der heimischen Wasserkräfte wettgemacht werden. Besonders für das Bahnnetz war die Lösung dieser Frage von größter Wichtigkeit, um hier soweit wie möglich von der Einfuhr ausländischer Steinkohle unabhängig zu werden. Die Gedanken waren nicht neu. Denn schon 1891 hatte man im damaligen k. k. Eisenbahnministerium die Frage der Elektrifizierung der Arlbergbahn untersucht und 1905 iin Stud'enbüro geschaffen, um die Ausnützung der Alpenwasserkräfte für die Elektrifizierung der österreichischen Staatsbahnen zu erforschen.

Nachdem durch den ersten Weltkrieg die Durdiführung der Pläne zunächst verhindert worden war, wurde 1919 über Auftrag der Regierung mit den Vorarbeiten für die Elektrifizierung der Staatsbahnlinien westlich Salzburgs und der Salzkammergutbahn begonnen und bereits im folgenden Jahr konnten die eigentlidien Bauarbeiten in Angriff genommen werden. Das inzwischen geschaffene Gesetz sah vor, daß bis 1925 der elektrische Zugbetrieb .auf der Arlbergbahn Innsbruck — Bregenz, der Salzkammergutbahn Attnang — Bad Aussee, der Westbahn von Salzburg bis Wörgl und auf der Tauernbahn von Schwarzadi - St. Veit bis Villach aufzunehmen sei. Für die damals noch im Betriebe der privaten Südbahngesellschaft stehende Brennerbahn konnte ein Elektrifizierungsbeschluß erst 1925 gefaßt werden, als die Betriebsführung von den österreichisdien Bundesbahnen übernommen worden war — ein interessanter Hinweis übrigens darauf, daß Initiative und Fortschritt durchaus nicht immer mit privatwirtschaftlicher Führung verbunden sein müssen.

Die Schwierigkeiten, die sich in einem verarmten Staate diesem Werk entgegenstellten, waren ungeheuer, besonders auf finanziellem Gebiet, wo erst durch internationale Hilfe die Finanzierung auf eine solide Grundlage gestellt werden konnte. Der Auftrieb, den die österreichische Volkswirtschaft durch die mit der Elektrifizierung verbundenen Arbeiten erhielt, war ganz bedeutend. Aus der Vielzahl der Arbeiten und Leistungen seien nur hervorgehoben: der Bau von drei neuen Bahnwasserkraftwerken am Spullersee“ in Vorarlberg, an der Stubache im salzburgi-sdien Oberpinzgau und an der Mallnitz in Kärnten, ferner der Ausbau eines über 400 Kilometer langen Fernleitungsnetzes, der Bau von zwölf Bahnumspannwerken und eines Fahrleitungsnctzes von über 750 Kilometet und nicht zuletzt die Beschaffung einer großen Anzahl von elektrischen; Lokomotiven.

Die vor 25 Jahren begonnenen Arbeiten der Elektrifizierung wirkten aber noch immer weiter für die Volkswirtschaft fort, da vor allem die Einsparung hochwertiger Auslandskohle bis zum Jahre 1935 jährlich im Durchschnitt 20.000 Waggons betrug. Zur Zeit stehen von den österreichisdien Eisenbahnen mit einer Streckenlänge von mehr als 5800 Kilometer rund 980 Kilometer im elektrischen Betrieb; auf diesen 980 Kilometern werden unter normalen Verhältnissen etwa 25 Prozent des gesamten Verkehrsaufkommens der österreichischen Eisenbahnen geleistet. Die übrigen mit Dampf betriebenen Strecken erforderten 1937 mehr als 93.000 Waggons ausländischer Steinkohle, das ist über ein Drittel der Gesamteinfuhr an Steinkohle.

Die Vergewaltigung Österreichs durch das Dritte Reich setzte auch der Durchführung der weiteren Elektrifizierungspläne ein Ende. Im Zuge der Zerschlagung des zentralen österreichischen Verwaltungsapparates wurde durch den Reichs verkehrsminister die Auflösung der Elektrifizierungsdirektion verfügt und eine Übertragung vieler Aufgaben dieser Direktion auf Stellen in Deutschland durchgeführt. Dazu wurden die obersten Stellen einer neugeschaffenen Obersten Bauleitung für Elektrifizierung mit Deutschen besetzt, so daß der österreichische Einfluß stark eingeschränkt wurde. Da außerdem der Bahnelektrifizierung von seiten der militärischen Berater der Deutschen Reichsbahn größter Widerstand entgegengesetzt wurde, beschränkte sich die Bautätigkeit während der letzten sieben Jahre in Österreich auf die Fertigstellung der von der österreichischen Bundesbahn begonnenen Bauten und auf die Erhöhung der Leistungsfähigkeit der bereits betriebenen Linien. Außerdem wurden das Bahnstromversorgungsnetz vor allem für den Transport von Bahnstrom ins Reich erweitert und der Bau von zwei weiteren Kraftwerken im Stubachtal (Salzburg) und bei Braz in Vorarlberg begonnen. Daneben wurden weitere Projekte studiert, wobei man aber nur die alte österreichische Tradition wieder aufgriff, ohne daß es zu praktischen Arbeiten gekommen wäre. Denn obwohl die Vorarbeiten für die Fortsetzung der Elektrifizierung bis Linz gemäß dem Beschluß der letzten selbständigen österreichischen Regierung abgeschlossen und alle hiezu erforderlichen Baustoffe bereits beschafft waren, verbot das Reidisverkehrs-ministerium offensichtlich unjer dem stärksten Druck des Generalstabes sofort die Weit.erführung der Arbeiten über Attnang hinaus. Selbst die geringen Restarbeiten im Absdinitt Salzburg — Attnang konnten nur mit größter Anstrengung und unter erheblichem Zeitverlust zum Abschluß gebracht und damit der elektrische Zugbetrieb im Jahre 1940 mit zweijähriger Verspätung gegenüber dem ursprünglichen Programm aufgenommen werden.

In diesem Zusammenhang muß die Tatsache hervorgehoben werden, daß es ein Verdienst der von den Nazi noch im Amte geduldeten österreichischen Referenten ist, sich mit aller Kraft für die österreidiischen Interessen eingesetzt zu haben, so daß eine gewisse folgerichtige Verbindung zwisdien den Arbeiten vor 1938 und den zukünftigen Arbeiten hergestellt werden konnte.

Wie vor fünfundzwanzig Jahren wird es auch heute im Hinblick auf die schwierige Kohlenversorgung anzustreben sein, die weitere Elektrifizierung der Staatsbahnen so rasch wie möglich in Angriff zu nehmen. Zunädist wäre die Durchführung der bereits 1937 besdilossenen Elektrifizierung der Strecke Attnang — Linz erforderlich. Darüber hinaus bereitet aber die Generaldirektion der Staatsbahnen ein neues Elektrifizierungsgesetz vor, dessen Durchführung sich auf etwa zwölf Jahre erstrecken würde und einen Kostenaufwand von 600 Millionen Schilling erfordert. Darin ist vorgesehen die Elektrifizierung sämtlicher Hauptstrecken südlich der Donau, also vor allem die Strecke Linz — Wien, ferner Wien — ungarische Grenze bei Hegyeshaloni, die Südbahn Wien — Graz, die Strecke Bruck an der Mur — Tarvis mit ihren Nebenstrecken, die Strecke Bischofshofen — Radstadt — Selztal und schließlidi die Linie Spittal a. d. Drau — Villach. die gesetzlich schon seit 1920 vorgesehen ist. Schon wird in bahneigenen Werken genügend Strom für die zukünftigen Elektrostrecken erzeugt, daß also der Strom auf die Strecke wartet, ein Zeichen dafür, daß die österreichischen Staatsbahnen und ihre Leitung in erster Linie an die Leistung zum Wohle der Gesamtheit und des jungen österreichischen Staates denken.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung