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Kriegsberichterstatter „packen aus“

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Es gibt kaum einen Abschnitt in der Geschichte seit 1945, der so rätselumwoben ist wie das bewaffnete Eingreifen der Anglo-Franzosen gegen Aegypten in jenem düsteren Spätherbst des Jahres 1956. Unverständlich der Zeitpunkt der Aktion, unverständlicher seine Motivierung, am unverständlichsten aber die langsame, zögernde und unsichere Art der Durchführung. Dieser Tage ist nun in Paris ein Buch der Brüder Bromberger, die als Kriegsberichterstatter die Landung in Port Said mitgemacht haben, erschienen, das auf die meisten Fragen eine Antwort weiß.

Was aber nützen uns diese Antworten, wird man einwenden, wenn wir ihre Authentizität nicht überprüfen können? Erst die offiziellen Quellen werden einem ein Urteil ermöglichen! Das stimmt natürlich nicht ganz; wäre dem so, man müßte die Durchleuchtung jüngst- vergangener Vorgänge grundsätzlich unterlassen.

In Wirklichkeit gibt es aber doch Methoden, Nachrichten dieser Art zu überprüfen: Man kann andere Quellen herąpziehen, die. jnner Logik und den Zusammenhang der Beįiąųptun 01. gen testen, andere Gerüchte prüfen, um zu sehen, ob sie auf derselben Linie liegen, schließlich feststellen, ob die Handlungen mit ihren Charakteren in Konflikt stehen oder nicht. So läßt sich zumindest eine „Arbeitshypothese“ herstellen, wie man es ja auch in anderen Wissensgebieten tut.

Die Enthüllungen der französischen Journalisten sind teils militärischer, teils politischer Natur. Im politischen Teil wird zunächst der Inhalt der Gespräche wiedergegeben, die Eden und Lloyd am 16. Oktober in Paris mit ihren französischen Kollegen führten. Es ist bekannt, daß damals sowohl Eden als auch Mollet alle Berater baten, das Zimmer zu verlassen, und diese Vorsichtsmaßnahme ist oft als belastend angesehen worden. Es mußte etwas Böses sein, das sie da ausheckten! Wir können uns dieser Ansicht nicht anschließen und müssen nur feststellen, daß es schwer gewesen sein muß, im nachhinein doch ausfindig zu machen, was gesprochen wurde. Schwer, aber nicht unmöglich. Selbst bei geheimen Sitzungen werden kurze Protokolle angelegt, außerdem müssen gewisse Einzelheiten durchsickern, so aus ihnen Taten resultieren. Im übrigen passen die Gespräche so genau zu den Wesensmerkmalen der Akteure, daß man die Authentizität der Aufzeichnungen schließlich für wahrscheinlich hält. Eden machte nämlich klar, daß er keinesfalls denke, als „Verbündeter Israels" Aegypten anzugreifen, daß er sich jedoch ein Vorgehen als unabhängiger Schlichter des Konflikts, der den Kanal vor den Kriegführenden sicherstelle, vorstellen könnte. Er fügte hinzu, daß die USA dieses Vorgehen nicht schätzen, aber auch nichts gegen eine solche Polizeiaktion unternehmen würden, ia daß man sich auf eine Hilfe in der Oellieferung verlassen könnte, so die Pipelines und der Kanal blockiert bleiben sollten.

Es mag sein, daß sich die Franzosen heimlich lächelnd angesehen haben, und es mag sein, daß mancher Leser dieser Zeilen die Edensche Erklärung für reine Heuchelei hielt. Und doch ist dies aller Wahrscheinlichkeit nach nicht der Fall gewesen, verbinden sich hier doch zwei Elemente, die sich lange Jahre in Edens Laufbahn zurückverfolgen lassen: das internationale Denken einerseits und die Abneigung gegen Israel anderseits, von der ein Großteil des Foreign Office infiziert ist Verfolgt man die offiziellen Aeußtrungen der Interventions- und Nachinterventionszeit genau, so wird man feststellen, daß der Ton gegenüber Israel keinesfalls warmherzig geworden ist, daß man am liebsten Israel und Aegypten getadelt hätte,

ja daß es Ansätze gab, wieder eine antiisraelische Politik einzuschlagen, was allerdings wegen der Empörung in der öffentlichen Meinung schwer durchführbar gewesen wäre. Demzufolge hätte es also in der Tat kein geheimes Einverständnis zwischen London und Tel Aviv gegeben, keine „collusion", wie das englische Wort lautet, das in diesem Zusammenhang immer wieder gefallen ist, keine Verabredung und Durchstecherei also. Die Entrüstung, mit der Eden diesen Vorwurf zurückwies, dürfte also echt gewesen sein.

Dasselbe gilt allerdings nicht für die Franzosen: Wieder, den beiden Autoren zufolge, haben sich M o 11 e t und Ben Gurion in Villacoublay getroffen und, wie man so schön sagt, Fraktur geredet. Ben Gurion war es dabei weniger um englisch-französische Truppen zu tun, ihm ging es vor allem darum, den Schutz französischer Jagdflugzeuge gegen ägyptische Luftangriffe zu erhalten. Wieder läßt sich die Behauptung der beiden Journalisten nicht erweisen. Es steht aber fest, daß der amerikanische Geheimdienst in Frankreich etwa ab diesem Zeitpunkt eine plötzliche und außergewöhnliche Vergrößerung des Telegramm-, Radio- und Chiffreverkehrs Paris—Tel Aviv feststellte und Eisenhower warnte, daß etwas im Gang sei. ,

Die Franzosen scheinen dabei, aus Rücksicht mit dem Gretchen-Komplex Edens, diese Unterstützung nicht leichten Herzens gegeben zu haben. Sie war dann allerdings recht entscheidend. Auch der ägyptische Zerstörer „Ibrahim el Awal“ soll nicht von einem israelischen Schiff, sondern von der französischen „Kersaint“

gekapert worden sein. Auch der Oberbefehlshaber der Anglo-Franzosen, Charles Keightley, wird durch den französischen Bericht reingewaschen. Er war über die ausgedehnten Vorbereitungen, die die Franzosen auf Zypern getroffen hatten, um die Spitzen der vorrückenden Israelis aus der Luft zu versorgen, nicht informiert worden. Man kann daraus schließen, daß es zwar ein ehrlicher Mann, aber keinesfalls ein sehr umsichtiger Oberbefehlshaber gewesen sein muß, denn wer nicht weiß, was im eigenen Haus geschieht, wird sich im Nachbarhaus noch weniger zurechtfinden, und es ist immer günstig, die Kriege im Nachbarhaus zu führen.

Ebenso rätselhaft wie der Ausbruch war auch das Ende de Krieges. Die beiden Franzosen, die ihren britiscnen Kampfgefährten mit viel Sympathie gegenüberstehen (wenn sie auch offensichtlich der Meinung sind, daß sie alles verpatzt haben), messen hier der flackernden Gesundheit Edens eine überragende Rolle zu. Er war zu diesem Zeitpunkt „vom Tode bedroht". Aber diese dramatische Bemerkung wirft eher ein neues und eigenartiges Problem auf, als eines der bekannten zu lösen. Wie verhält es sich, wenn ein Premier vom Tode bedroht ist? Kann er diese Gefahr durch politische Konzessionen abwenden, zu denen er sonst nicht bereit gewesen wäre? Offenbar nicht, sonst könnte ja der einfache Soldat in Port Said sich auch aus einer Stellung gelöst haben, da er vom Tode bedroht war. Aber so lagen die Dinge im Falle Edens wohl nicht. Er hatte einen doppelten Kampf zu führen, gegen das Ausland, das die „Polizeiaktion" ablehnte, und gegen die eigenen Kollegen im Kabinett, die nun die Aktion ab- blasen wollten. Gegen diesen doppelten Druck reichten seine physischen Kräfte ganz einfach nicht aus, ganz gleich, ob er sich nun vom Tode bedroht fühlte oder nicht. Am 6. November, nachdem zwei französische Minister vergeblich in London versucht hatten, Eden neuen Mut einzuflößen, wurde Mollet, der gerade Adenauer bei sich zur Mittagstafel hatte, von Eden angerufen, der ihm mitteilte, daß er sich zu einem Waffenstillstand entschlossen habe, was im Grunde ein anglo-französischer Entschluß hätte sein sollen. Nicht Bulganins Drohung habe ihn dazu veranlaßt, sondern der Druck des Weißen Hauses, der Vereinten Nationen und die Opposition im eigenen Kabinett. Man wird nicht fehlgehen, den Druck, den das Weiße Haus auf Eden ausgeübt hat, als das entscheidende Moment anzusehen. Dazu habe ich im Winter in New York einen eigenartigen Kommentar gehört, und zwar von mehr als einer Seite. Demzufolge soll das Pentagon Eisenhower habe wissen lassen, daß angesichts der angespannten Weltlage die Besetzung des Kanals durch die Briten von größter Bedeutung sei. Eisenhower war daher bereit, zwar auf Eden einen Druck auszuüben, aber schließlich den Engländern doch genügend Zeit einzuräumen, die Ziele zu erreichen. Da Eden jedoch sofort auf der ganzen Linie nachgab, war ein Kompromiß im Sinne des Pentagons unmöglich geworden.

Die militärischen Aspekte des Buches sind insofern von weniger großem Interesse, als sie sich geradlinig aus dem politischen Konzept ableiten und nicht viel Neues bieten. Daß die Generäle ihren Willen nicht durchsetzten, ist bekannt. Jetzt erfahren wir, daß der französische Generalstab eine Blitzkriegaktion vorgesehen hatte, deren Hauptlast Fallschirmspringer zu tragen gehabt hätten und die die Paralysierung des gesamten ägyptischen Widerstandes innerhalb weniger Tage oder sogar Stunden hätte herbeiführen können. Im nachhinein ist es stets schwer, die Meriten solcher Pläne zu prüfen, besonders wenn das militärische Dispositiv nicht restlos enthüllt wird. Daß irgendein Plan dieser Art eher zum Erfolg hätte führen können als die „Polizeiaktion“, die man sich schließlich in London abgerungen hatte, liegt auf der Hand.

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