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KÜNSTLER UND GESELLSCHAFT

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Wenn ich vom Kontakt des Komponisten mit der Umwelt spreche, so meine ich damit keineswegs irgendeine direkte Einflußnahme dieser Umwelt auf das kompositorische Schaffen. Mir ist jede äußere Lenkung des Schaflensprozesses euspekt: nicht nur die brutal-politische oder die subtilere ideologische Lenkung (von beiden wird noch zu sprechen sein), sondern auch jede persönlich und möglicherweise freundschaftlich gemeinte. Mich stört während meiner Arbeit die Zustimmung nicht weniger als die Kritik. Dennoch glaube ich, daß ich den Kontakt mit meiner Umwelt nie verloren habe. Dafür mag schon die Tatsache sprechen, daß ich nicht für die Schublade komponiert habe: Fast alle meine Werke sind als Auftragskompositionen entstanden, wurden gedruckt und aufgeführt. Der Auftrag bildet die konkrete Verbindung zwischen dem Komponisten und der Gesellschaft, in der er lebt. Der Auftrag zwingt zur Konzentration, die Annahme eines Auftrages zur Einhaltung eines Termins. Schon darin erblicke ich einen Vorteil. Ich stelle mir jedoch die Funktion des Auftrages nicht so vor, daß der Komponist zu warten hätte, bis man an ihn herantritt, um ihn zur Bewältigung eines Pensums zu veranlassen. Wer in der Lage ist, Musik zu bestellen, muß darum keineswegs qualifiziert sein, eine solche Bestellung auch sinnvoll zu formulieren. Es ist Aufgabe des Komponisten, Bestellungen anzuregen, Aufträge zu suggerieren. Fast keines meiner Werke ist ohne Bestellung entstanden; und fast immer war die Bestellung und deren endgültige Formulierung auf einer präzisen Anregung basiert. Der Komponist soll beurteilen, welche Aufgabe ihm gemäß ist. Es wäre sinnlos, von einem Konzertkomponisten Bühnenwerke zu verlangen.

Dem Komponisten, der sich der Notwendigkeit des Kontaktes mit der gesellschaftlichen Praxis bewußt ist, kann es nicht genügen, Noten zu Papier zu bringen ohne Rücksicht auf klangliche Realität, die von diesen Noten symbolisiert wird. Wir wissen allerdings, daß es auch Komponisten gibt, denen es eben nicht nur am Kontakt mit der Gesellschaft, sondern auch am Kontakt mit der klanglichen Realität mangelt. Der Grund dafür wird wohl in der vorwiegend’theoretischen Art der Ausbildung vieler europäischer Komponisten der Gegenwart zu suchen sein. Auch ich habe mit 19 Jahren diese Art der Ausbildung angestrebt und wollte an der Berliner Hochschule für Musik ein Schüler Hindemiths werden. Doch dieser Wunsch blieb mir versagt, weil Hindemith gerade zu jener Zeit auf Veranlassung der nationalsozialistischen Machthaber als Lehrer an der Hochschule für Musik suspendiert wurde. Ich zog daraufhin mein Ansuchen um Aufnahme an diese Schule zurück und folgte den Ratschlägen von Wilhelm Furtwängler und Max Lorenz, die mir übereinstimmend die Zuwendung zur musikalischen Praxis empfahlen. So wurde ich 1938 Korrepetitor an der Berliner Staatsoper, kam erst 1941 als Schüler zu Boris Blacher und war später als Komponist und Berater Karl Eimendorffs an der Dresdner Staatsoper tätig. Auch in Bayreuth machte ich mich im Verlauf von zwei Festspielsommem als musikalischer Assistent mit der musikalischen und Bühnenpraxis vertraut. Meine erste Oper, „Dantons Tod”, entstand als Auftragswerk der Dresdner Staatsoper — obgleich das Werk schließlich nicht dort in Jürgen Fehlings Regie, sondern erst 1947 bei den Salzburger Festspielen seine Uraufführung erlebte mit Ferenc Fricsay, O. F. Schuh und Caspar Neher.

Wenn der Komponist sich der Praxis zuwendet, dann trägt er seinen Teil dazu bei, die Kluft zu schließen, die sich zwischen ihm und der Gesellschaft in unserer Zeit auftut. Doch sein Beitrag allein reicht nicht aus. Die Gesellschaft muß als Auftraggeber das ihre dazu tun, um den Zerfall der musikalischen Kultur in zwei Bezirke — den blutleer-esoterischen und den epigonal-kommerziellen — zu verhindern. In welcher Form tritt nun die Gesellschaft als Auftraggeber an den Komponisten heran? — Hier kann ich aus meiner eigenen Erfahrung vielleicht etwas zur Beleuchtung des Unterschiedes der europäischen und der amerikanischen Situation beitragen. Vier amerikanische Orchester haben mir Aufträge erteilt, die ich erfüllen konnte. Während ich in den USA Orchester und Dirigenten als Auftraggeber kennen und schätzen lernte, waren es in Europa vorwiegend andere Institutionen, vor allem Opernhäuser und Rundfunkanstalten. ..Dantons Tod” war eine Auftragskomposition der Dresdner Staatsoper, „Der Prozeß” entstand im Aufträge des österreichischen Unterrichtsministeriums, die Oper „Der Zerrissene” war von der Hamburger Staatsoper bestellt. Andere Kompositionen entstanden im Auftrag von Rundfunkanstalten der deutschen Bundesrepublik.

Ich glaube, daß diese Beispiele sehr deutlich einen wichtigen Unterschied zwischen dem europäischen und dem amerikanischen Musikbetrieb zeigen. In Europa sind die Opernhäuser und Rundfunkanstalten zumeist öffentlich-rechtliche Institutionen. Damit haben sie die Chance und zugleich auch die Verpflichtung, als gesellschaftliche Auftraggeber zu fungieren. Bei den Opernhäusern mit ihrem realen Publikum wird dieser Verpflichtung unter Berufung auf den konservativen Geschmack des Publikums oft ausgewichen. Die Rundfunksender mit ihrem anonymen Publikum haben es leichter. Sie verfügen über ausreichende Mittel und können es sich leisten, bestellte oder angebotene Werke zu honorieren und auch zu senden. Über manchen Nachteil dieses Systems wird noch zu sprechen sein, doch sind die Vorteile nicht zu verkennen. Eine ganze Reihe deutscher Komponisten ist heute in der Lage, von Tantiemeneinkünften auskömmlich zu leben; das gilt etwa für Carl Orff, für Boris Blacher — der auch Direktor der Berliner Hochschule für Musik ist —, für Hans Werner Henze — der auch als Pädagoge und Dirigent tätig ist — oder für Werner Egk — der ebenfalls zuweilen als Dirigent wirkt. Viele Komponisten beziehen allerdings den größeren Teil ihres Einkommens nicht aus Auiführungstantiemen: sie sind Lehrer an Musikschulen, Lektoren bei Verlagsanstalten, Programmleiter oder Dirigenten des Rundfunks usw. Im großen und ganzen kann man jedoch sagen, daß die Programme des Rundfunks in vielen europäischen Ländern die Grundlage der materiellen Existenz vieler Komponisten bilden. Ich selbst habe bis 1944 mein Einkommen als Korrepetitor verdient und konnte erst später meine Existenz auf das Einkommen aus Aufführungstantiemen gründen. Seit 1963 bin ich überdies als Lehrer an der Wiener Musikakademie tätig.

Das legitime Verlangen des Komponisten nach Förderung durch die Gesellschaft wirft unter bestimmten historischen Voraussetzungen leider auch das Problem illegitimer Einflußnahme auf das Schaffen des Komponisten auf. Von der brutalen Form der Einflußnahme unter Hitler in Deutschland muß ich hier nicht ausführlich sprechen. Nach 1945 hat ein Teil Europas eine zweite Form der Gängelung der Kunst kennengelernt: die stalinistische. Sie hat auf dem Gebiet der Musik im Jahre 1948 mit voller Kraft eingesetzt — obgleich Tendenzen schon lange vorher fühlbar waren. Das Jahr 1948 bleibt auch mir als kritisches Jahr in Erinnerung: damals wurde meine Oper „Dantons Tod” an der Ostberliner Staatsoper von Leopold Ludwig einstudiert und nach drei Aufführungen auf Geheiß sowjetischer und ostdeutscher politischer Stellen vom Repertoire abgesetzt. Danach konnten meine Kompositionen in Ostdeutschland lange Jahre nicht aufgeführt werden. Es dauerte einige Zeit nach Stalins Tod, bis sich dies änderte. Heute stehen meine Werke, ebenso wie die vieler anderer Komponisten des Westens, wieder auf den Programmen des Ostens …

Überblickt man das gesamte Panorama der europäischen Musikwelt, dann wird man mit einiger Sorge in bezug auf die Unabhängigkeit des Komponisten erfüllt. Gewiß: die Kunstdiktatur des Nationalsozialismus hat 1945 ihr Ende gefunden, und die stalinistische Diktatur in Osteuropa ist seit etwa 1956 einem deutlich erkennbaren Auftauungsprozeß unterworfen. Restbestände der einen wie der anderen Mentalität sind aber nicht von einem Tag auf den anderen zu beseitigen. Dazu kommt, daß in jenen Ländern, die ich näher kenne — nämlich Österreich, die deutsche Bundesrepublik und West-Berlin —, die soziale Stellung des Komponisten keineswegs so souverän ist, wie man es sich wünschen würde. Gelegentlich gewinnt man den Eindruck, daß die Unabhängigkeit des Komponisten in diesen Ländern heute stärker eingeschränkt ist als zur Zeit von Haydn und Mozart. In die Hände der Musikabteilungsleiter der Rundfunk- und Fernsehanstalten ist heute größere Macht gelegt, als irgendein Auftraggeber der bisherigen Musikgeschichte besessen hat. Ihnen gesellt sich noch die Macht der Presse hinzu…

Das unmittelbar konkrete Verhältnis zwischen dem Komponisten, dem Auftraggeber und dem Publikum ist im großen und ganzen eine Sache der Vergangenheit. Es hat keinen Sinn, diesem verlorenen Paradies nachzuweinen. Die Vermittlung zwischen dem schöpferischen Musiker und dem Publikum hat in der industriellen Gesellschaft der Markt übernommen. Ältere Traditionen haben sich zwar in Europa noch bis ins 20. Jahrhundert behauptet, doch nun setzt sich das Gesetz des anonymen Marktes immer deutlicher durch. Und damit kommt es zu einer Entfremdung, die schließlich zu einem Statusverlust des Komponisten geführt hat. Die Kommandohöhen des Musiklebens sind in der Regel nicht mehr von den Komponisten besetzt, sondern gehen an die Dirigenten und schließlich an die Manager über. Man denke an die Rolle, die Liszt als Programmgestalter in Weimar spielte, an die beherrschende Funktion von Rubinstein und Tschaikowskij in Rußland, an die Machtfülle, die Gustav Mahler und Richard Strauss als Operndirektoren hatten — und man wird begreifen, daß der europäische Komponist heute einen Verlust an gesellschaftlichem Rang zu beklagen hat.

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