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Kultur in der Offensive

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Soeben beginnt vor dem Alliierten-Rat die Aussprache über die russischen Anschuldigungen gegen Oesterreich. An die Adresse dieses Forums kann nur ein Wort gerichtet werden: Oesterreichs Weg durch die jüngste Geschichte wäre glücklicher gewesen, wenn in vergangenen Jqhrzehnten je ein „Anschluß” von der überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung so kategorisch abgeiehnt worden wäre, wie in der Gegenwart. Aber der Geist, der stets verneint, kann bekanntlich auch Gutes schaffen: Die österreichischen Regierungsparteien werden gut tun, wieder engere Tuchfühlung zu beziehen. Ihren Sprechern, die nicht versäumt haben, neben dem Protest gegen ungerechtfertigte Verdächtigungen auch eine deutliche Trennungslinie gegenüber jenen Elementen zu ziehen, deren wenig patriotische Worte und Taten das schwankende Gerüst der östlichen „Anklagen" stützen, kann man nur zustimmen. Die Perspektiven unserer Innenpolitik sind klarer denn je: es hat sich gezeigt, von welchen Kräften wir eine österreichische Politik erwarten können und bei welchen Kreisen — links und rechts — eine solche Erwartung nichts anderes wäre, als eine sich rächende Selbsttäuschung.

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Soeben beginnt vor dem Alliierten-Rat die Aussprache über die russischen Anschuldigungen gegen Oesterreich. An die Adresse dieses Forums kann nur ein Wort gerichtet werden: Oesterreichs Weg durch die jüngste Geschichte wäre glücklicher gewesen, wenn in vergangenen Jqhrzehnten je ein „Anschluß” von der überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung so kategorisch abgeiehnt worden wäre, wie in der Gegenwart. Aber der Geist, der stets verneint, kann bekanntlich auch Gutes schaffen: Die österreichischen Regierungsparteien werden gut tun, wieder engere Tuchfühlung zu beziehen. Ihren Sprechern, die nicht versäumt haben, neben dem Protest gegen ungerechtfertigte Verdächtigungen auch eine deutliche Trennungslinie gegenüber jenen Elementen zu ziehen, deren wenig patriotische Worte und Taten das schwankende Gerüst der östlichen „Anklagen" stützen, kann man nur zustimmen. Die Perspektiven unserer Innenpolitik sind klarer denn je: es hat sich gezeigt, von welchen Kräften wir eine österreichische Politik erwarten können und bei welchen Kreisen — links und rechts — eine solche Erwartung nichts anderes wäre, als eine sich rächende Selbsttäuschung.

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Die iKulturenquete des Nationalrates war ein Anfang. Oesterreichs beste Köpfe, Männer der Wissenschaft, der Kunst und der Literatur traten aus ihren Laboratorien und Gelehrtenstuben, aus der bescheidenen Anonymität ihres Wirkens vor die gewählte Volksvertretung, vor den verantwortlichen Gesetzgeber, in das Rampenlicht der Oeffent- lichkeit. Sie taten es, um ihre Notlage darzulegen und ihre Forderungen anzumelden. Diese Demonstration hatte einen negativen, aber auch einen positiven Aspekt. Nicht nur der Ernst der Situation wurde durch sie offenkundig, sondern auch die Vielfalt und der noch immer eindrucksvolle Reichtum des österreichischen Kulturlebens.

Die Kulturenquete stellt einen Wendepunkt in der österreichischen Kulturpolitik dar. Die Kultur tritt aus ihrer Defensivstellung, in die sie in den Kriegs- und Nachkriegsjahren langsam abgedrängt wurde, heraus, wird zu einem Faktor in der Tagespolitik, mit dem gerechnet werden muß, und gewinnt das Interesse und die Anteilnahme des gesamten Volkes. Aber es gibt noch andere Anzeichen einer erfreulichen Aktivität. Die „Sozialwissenschaftliche Arbeitsgemeinschaft“ hat in einer Studie mit dem Titel „D er österreichische Kulturdienst im Ausland“ auf die Notwendigkeit hingewiesen, den kulturellen Kräften unseres Landes die Möglichkeit zu bieten, über die Grenzen hinaus wirksam zu sein und aus der kulturellen Abwehrhaltung Oesterreichs, die sich besonders eindringlich gegenüber der intensiven Kulturpropaganda der Besatzungsmächte manifestiert, zur Offensive überzugehen und damit die alte Mission der kulturellen Ausstrahlung und des geistigen Mittlertums wieder aufzunehmen.

Die Forderung nach einem aktiven Kulturdienst im Ausland, nach Einsetzung von Kulturattaches in den österreichischen Vertretungsbehörden und nach der Errichtung österreichischer Kulturinstitute in den wichtigsten Hauptstädten ist nicht neu und wurde auch an dieser Stelle bereits mehrfach erhoben. Doch bestürzt immer wieder die beschämende Tatsache, daß Oesterreich, das angeblich eine kulturelle Großmacht ist, in seinem gesamten Außendienst lediglich über ein Kulturinstitut (in Rom) und nur zwei Kulturattaches (in Paris und Bern) verfügt. Alle Fragen des Kulturexports, der für die Arbeitsbeschaffung so wichtigen Intensivierung des Absatzes österreichischer Bücher, Filme, Schallplatten und Tonbänder, die Er schließung neuer Märkte und neuer Wirkungsstätten für unsere schöpferischen Menschen in bisher nicht oder kaum beachtete Gebiete, wie etwa die der aufstrebenden Völker des Nahen Ostens, nach Indien, Indonesien oder die lateinamerikanischen Staaten, hängen aufs engste mit dem Aufbau eines kulturpolitischen Leitungs- und Funktionsnetzes im Auslapd zusammen.

Es geht heute darum, das Selbstbewußtsein unseres Landes zu heben und angesichts eines starken moralischen und propagandistischen Druckes von außen das Vertrauen in seine geistige Potenz und in seine kulturelle Sendung zu stärken. Die weltweite Ausstrahlung unserer kulturellen Leistungen, die nach wie vor internationales Niveau haben, ist hierzu besonders geeignet. Am Vorabend des zweiten Weltkrieges hat die Schweiz in der Stiftung „Pro Helvetia“ ein „Instrument zur schweizerischen Kulturwahrung und Kulturwerbung“ geschaffen. In der Botschaft des Bundesrates hieß es damals: „Die ständig zunehmende Propagandatätigkeit der totalitären Mächte erfüllte seit einer Reihe von Jahren die verschiedensten Kreise unseres Landes mit Besorgnis, und man suchte nach wirksamen Abwehrmitteln. Die Schweiz, die in einem bisher nicht gekannten Ausmaß militärische und wirtschaftliche Verteidigungsmaßnahmen ergreifen mußte, sah sich nun auch zur Vorbereitung der geistigen Landesverteidigung gezwungen Im Hinblick auf die Bedrohung der geistigen Integrität unseres Landes erwies sich die Mobilisation unserer kulturellen, künstlerischen und moralischen Kräfte als notwendig.“ Die Botschaft erörterte „die möglichen Auswirkungen der ausländischen Propaganda, wie sie in einer Reihe von Großstaaten entfaltet wurde, sei es durch offizielle oder ständige Institute, sei es durch besondere Ministerien, die über mannigfaltige propagandistische Hilfsmittel verfügten und die auch die Presse ihrer Länder kontrollierten. Es war klar, daß sich unser Land gegenüber diesen mächtigen Propagandainstrumenten nicht mit rein defensiven Maßnahmen begnügen durfte. Es handelte sich für uns vielmehr darum, positive Maßnahmen zu ergreifen, die geeignet waren, die Besinnung auf unsere eigenen kulturellen Werte zu fördern und unser nationales Geisteserbe im Ausland besser bekannt zu machen.“

So die Schweiz 1939. Und Oesterreich heute? Ist es nicht ebenso,’ ja weit mehr gezwungen, eine „geistige Landesverteidigung“ zu errichten? Mächtige Propaganda-maschinen westlicher und östlicher Provenienz mit schier unerschöpflichen finanziellen Mitteln befinden sich sogar innerhalb der eigenen Grenzen. Man hat sich an sie bereits so gewöhnt, daß man gar nicht mehr bedenkt, welche Gefährdung diese ständige Beeinflussung durch Film, Buch, Zeitungen, Radio für unsere kulturelle und geistige Eigenständigkeit darstellt. Die Aufnahmefähigkeit und Aufgeschlossenheit Oesterreichs gegenüber fremdem Kulturgut ist zwar groß, aber nicht grenzenlos.

Es ist zu hoffen, daß die durch die Arbeit der „Sozialwissenschaftlichen Arbeitsgemeinschaft“ eingeleitete Kulturoffensive in Hinblick auf eine Aktivierung der österreichischen Kulturpolitik im Ausland ebenso zum Markstein einer neuen Entwicklung wird wie die Kulturenquete für die Kulturpolitik im Innern Wenn nun an die Errichtung von Kulturinstituten und an die Entsendung von Kulturattaches herangetreten wird, so wird das Schwergewicht dieses Problems auf der richtigen Auswahl der Persönlichkeiten liegen. Welche Eigenschaften sollen sie besitzen und welche Voraussetzungen erfüllen, um den vielfachen Aufgaben, die sie erwarten, gerecht werden zu können?

Es wird immer von zwei Alternativen gesprochen. Die einen empfehlen verdienstvolle Beamte, die anderen sprechen sich für repräsentative Persönlichkeiten des kulturellen Lebens wie Universitätsprofessoren und anerkannte Künstler aus. Beide Vorschläge zielen an der eigentlichen Problematik vorbei. Sie sind zu schematisch. Kulturattaches, die einer österreichischen Mission beigeordnet werden, sollen vor allem versiert und beweglich sein. Es dürfen keine Bürokraten sein, aber auch nicht in höheren Regionen schwebende Künstler oder auf bestimmte Fachgebiete spezialisierte Wissenschaftler, auch wenn sie einen klangvollen Namen haben. Was hat eine derartige Persönlichkeit zu tun? Es sind vor allem Manageraufgaben, die zu bewältigen sind: Es gilt Gastvorlesungen und Gastvorträge zu veranstalten, Ausstellungen zu arrangieren sowie Gastspiele österreichischer Ensembles, Orchester und Solisten. Es müssen Matineeveranstaltungen mit wertvollen österreichischen Kultur- und Spielfilmen durchgeführt werden. Presse und Rundfunk sind ständig mit aktuellen Kulturnachrichten aus Oesterreich zu versorgen, Oesterreichstunden im Rundfunk zusammenzustellen. Vor allem aber wird ein großes Gewicht auf die Herstellung von persönlichen Kontakten zu legen sein; mit Filmproduzenten, mit Leitern von Rundfunk- und Televisionstationen, mit Theater- und Konzertagenturen, mit Verlagen und Sortimentern. Alle diese nur andeutungsweise skizzierten Aufgaben verlangen viel Geschicklichkeit, gesellschaftliche Wendigkeit, journalistisches Fingerspitzengefühl, viel kulturpolitischen Spürsinn und viel konkretes, praktisches Allgemeinwissen auf allen wichtigen Gebieten des geistigen und künstlerischen Lebens und der kulturellen Produktion. Eine derartige Persönlichkeit muß daher eher der Typ eines kultivierten Managers sein. Nicht der Spezialist ist not wendig, denn er ist zu einseitig, vielleicht auch weniger der absolut schöpferische Mensch, denn dieser wird immer nur mit halbem Herzen bei der Sache sein, die ein ganzes erfordert. Auf keinen Fall aber ist ein trockener Verwaltungsjurist am Platz, der keinen Kontakt zum pulsierenden Alltag des kulturellen Lebens hat.

Etwas anders liegen die Dinge bei der Leitung eines Kulturinstituts. Hier liegt das Schwergewicht auf pädagogischen und repräsentativen Aufgaben. Sie muß daher einer Persönlichkeit von fachlichem Format übertragen werden, die womöglich in dem betreffenden Land schon bekannt ist, ein Mann der Wissenschaft, ein Hochschullehrer, vielleicht auch ein hervorragender Schriftsteller, ein namhafter Publizist oder ein anerkannter Kulturpolitiker; aber auch in diesem Fall wäre zu empfehlen, der Leitung einen agilen Manager für praktische und organisatorische Aufgaben beizuordnen. Auf keinen Fall aber darf eine derartige Funktion als ein Versor- gungsposien angesehen werden. Es wäre ein großer Fehler, auf Grund einer falschen Einschätzung der Bedeutung und der Tätigkeit eines Kulturrepräsentanten im Ausland auf diesen Posten ausgediente Beamte oder ver-

wendungslöse Politiker abschieben zu wollen. Nur ein geschulter und besonders ausgewählter Personenkreis kann hier in Frage kommen, will man es nicht bei einer leeren Geste bewenden lassen.

Kulturattaches und Kulturinstitutsleiter sind Mittler über die Grenzen. Ihre Aufgabe ist nicht nur, ein Sprachrohr des geistigen Oesterreichs und ein ständig bemühter Manager seiner Vertreter und seiner Leistungen zu sein, sondern sie sind auch Informatoren für die Zentralstellen in Wien und den Bundeshauptstädten über die kulturelle Entwicklung in dem Land, in das sie entsendet sind. Sie müssen über neue Tendenzen und Erfahrungen berichten, die wieder wertvolle Rückschlüsse und Anregungen für österreichische Verhältnisse ergeben können. Aus dieser Wechselwirkung kann dann ein für die einzelnen Länder spezialisiertes Konzept für eine wirksame österreichische Kulturwerbung entworfen werden.

Die Jahre des Wiederaufbaues gehen zu Ende. Die Wirtschaft hat die Ausgangspositionen des Jahres 1938 erreicht und vielfach überschritten, das Sozialwesen wendet sich neuen Projekten zu, es ist an der Zeit, daß auch jenes Gebiet wieder zu seiner vollen

Geltung kommt, das seit je Oesterreichs Ruhm und Stolz war, das sein Ansehen in aller Welt und bei allen Völkern begründet hat: seine Kultur, seine geistigen Leistungen, Die österreichische Musik, die Oper, die Orchester und die Chöre, das österreichische Theater, Literatur und Dichtung, Museen und Kunstschätze, die bildenden Künstler und Architekten, all die Aerzte und Philosophen, Naturforscher und Techniker — in ihrem Lager ist Oesterreich! Oeffnen wir weit die Türen und Fenster unseres Landes, Stellen wir unser Licht nicht länger unter den Scheffel. Wir haben s nicht notwendig, uns vor fremden Leistungen auf allen diesen Gebieten, sosehr wir sie achten und anerkennen, beschämen zu lassen. Sagen wir uns und unseren Kindern, aber auch allen in der Welt, die es hören wollen, daß wir nicht nur ein überreiches Erbe abendländischen Kulturgutes bewahren und verwahren, sondern daß wir nach wie vor auf Grund unserer lebendigen Gegenwartskultur unser Mitspräche- recht im geistigen Gespräch der Völker anmelden. Der Aufbau eines österreichischen Kulturdienstes im Ausland soll die Voraussetzungen schaffen und die Möglichkeiten hierzu erschließen. Dr. H. M. L.

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