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Kulturhauser - ja oder nein?

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Seit der letzten Kulturenquete der SPOe steht die Errichtung sogenannter „Kulturhäuser“ zur Diskussion. In dem parteiamtlichen Kommunique der SPOe werden „Kulturhäuser als Gegengewicht der Pfarrhöfe“ in Betracht gezogen. Es war nicht überraschend, daß diese unerwartete Formulierung eine heftige Reaktion auslöste. Verantwortungsbewußte Volksbildner entschlossen sich nun, in einer sachlichen Aussprache dieser ernsten Frage näherzutreten. Das neue „Studio der Volkshochschule Wien-West“ (Wien VII, Döblergasse 2) konnte zwei maßgebliche Volksbildner, den Bundesstaatlichen Volksbildungsreferenten für Niederösterreich, Professor Dr. phil. Richard Szerelmes, und den Zentralsekretär der Wiener Volkshochschulen, Doktor jür. Wolfgang Speiser, als Referenten gewinnen, und bat alle an dieser Frage interessierten Volksbildner zur Teilnahme an einer Diskussion über dieses Thema. Die Stellungnahmen der beiden Referenten werden im folgenden mit ihren eigenen Worten wiedergegeben. Die Ausführungen von Professor Szerelmes nehmen bereits berichtigend auf eine Pressestimme Bezug, die ihrerseits das Thema aufgegriffen hatte.

Der Bundesstaatliche Volksbildungsreferent für Niederösterreich, Professor Szerelmes, führte aus:

Ich bin dieser Einladung gefolgt, weil mir versichert wurde, daß über die auf dieser „Stätte der Begegnung“ stattgefundene Aussprache objektiv berichtet werden würde. Dies war leider nicht der Fall, denn die „Arbeiter-Zeitung“ vom 1. Mai 195 5 hat meine Stellungnahme zu dieser Frage in ein vorbehaltloses „Ja“ umgedeutet und meine, grundsätzlichen Einwendungen in einem Nebensatz abgetan. Ich möchte daher an dieser Stelle den Inhalt meiner Ausführungen kurz wiederholen.

Es ist nicht zu leugnen, daß es uns kalt über den Rücken läuft, wenn wir das Wort „Kulturhaus“ vernehmen. Man denkt bei diesem Ausdruck unwillkürlich an den .Auftrieb von Massen, denen dort Kultur in amtlich geprüften und genormten Dosen verabreicht wird, da sie ihr kulturelles Plansoll nicht erfüllt haben. Ich hoffe inständig, daß niemand in Oesterreich ernstlich an die Einrichtung solcher Kulturhäuser denkt; sie hätten mit Kultur nicht das mindeste zu tun. Das große Anliegen unserer Zeit ist es, den vermassten Menschen zu eigener kulturschaffender oder doch wenigstens nachschaffenden Tätigkeit hinzuführen. Der Mensch, der durch die Technisierung und Mechanisierung des Produktionsprozesses und durch die Auswüchse des modernen Vergnügungsbetriebes entseelt und nivelliert wurde, muß wieder seine eigenschöpferische Kraft finden, die ihn befähigt, ein erfülltes und vertieftes Leben zu führen. Aufgabe der Volksbildung muß es darum sein, alles zu tun, um dem Menschen zu diesem Erlebnis zu verhelfen. Der Mensch muß auch wieder lernen, die Kräfte zu suchen, die ihm aus der Gemeinschaft zuwachsen. Gemeinsames Musizieren, das Erlebnis des dichterisch erhöhten Wortes, Spiel, Tanz usw.. haben eine starke gemeinschaftsbildende Kraft, die wieder bewußt gemacht werden muß.

Es war immer das Anliegen jeder echten Gemeinschaft, sich den Raum für ihre Tätigkeit zu schaffen. Wir kennen die Leistungen der katholischen Gesellenvereine, des Kolpingwerks, der Arbeiterbildungsvereine usw. auf diesem Gebiet. Es wäre sicherlich zu begrüßen, wenn Jugendliche und Erwachsene nicht in der Stickluft des Wirtshauses, am Biertisch und in der gefährlichen Nähe von Alkohol Kulturpflege ausüben müßten. Wir kennen Beispiele, wie aus Heimatmuseen kulturelle Zentren für die musische Tätigkeit erwuchsen, wie sich das Heimatmuseum zu einem Heimathaus entwickelte, das allen offenstand, die sich hier zusammenfinden wollten. Wichtig ist der Gedanke, daß solche Pflegestätten der Kultur ein Werk aller sein und auch allen zur Verfügung stehen müßten. Derartige Zentren könnten auf diese Weise eine hohe staatsbürgerliche Aufgabe erfüllen, indem sie Menschen verschiedener Meinung zusammenführen und ihrren die Möglichkeit zur Diskussion, zur Stellungnahme in sachlicher Weise, bieten. Ein nationales Unglück aber würde es bedeuten, wenn derartige Einrichtungen zu Schwerpunkten politischer Art oder zu Gegengewichten gegen Kirche und Pfarrhof würden, wie es leider in der letzten Zeit von gewisser Seite gefordert worden sein soll. Diese Bemerkung wurde allerdings bei dem obengeführten Gespräch entschieden dementiert.) Solche „Kulturhäuser“ wären Geschwüre am Körper der Gesellschaft, die unsere Heimat zwangsläufig einer neuen Katastrophe ausliefern müßten.

Die Frage „Kulturhäuser“ — ja oder nein? ist daher in dieser Form nicht zu beantworten. Es fragt sich, was man unter dieser Einrichtung versteht, wer sie erhalten und wer dort zu Wort kommen soll. Ohne Zweifel können sich solche — vielleicht in der besten Absicht geschaffenen — Institutionen zu Instrumenten politischer Propaganda und gesteigerter Vermassung entwickeln, was jeder volksbildnerischen Arbeit diametral entgegengesetzt wäre.

Inzwischen hat die Gemeinde Wien in der Per-Albin-Hansson-Siedlung bereits ein solches „Nachbarschaftshaus“ errichtet, das den Bewohnern dieser Siedlung Möglichkeiten kultureller Betätigung bieten soll. (Der Ausdruck „Kulturhaus“ wird auch von sozialistischer Seite vermieden.) Am konkreten Fall wird sich bald zeigen, was der Mensch aus einem — wie versichert wurde — nur der Kulturpflege dienenden Werk machen wird.

Kultur ist das letzte gemeinsame Gut, das wir noch besitzen. Es wäre ein nicht gutzumachender Fehler, wenn man daranginge, dieses letzte, das alle Angehörigen unseres Volkes verbindet, in einzelne Sektoren zu zerstückeln; dies würde aber geschehen, wenn man Kultur und Kulturpflege als Streitobjekte der Parteien in die politischen Auseinandersetzungen des Tages hineinzöge. Die Volksbildner aller Richtungen sind sich — wie bei unserem Gespräch zum Ausdruck kam — über die schwerwiegenden Folgen einer derartigen Haltung klar.

Mögen sich auch die führenden Männer aller Parteien vorbehaltlos dieser Einsicht anschließen!

Zentralsekretär Dr. Speiser betonte, daß „die Industrialisierung der letzten hundert Jahre, die Entwicklung der Großstadt, die Verkehrsprobleme und die Veränderung der sozialen Sphäre zur Zerstörung historisch gewachsener Bindungen geführt haben: der Familie, der Berufsgenossenschaft und der Siedlungsgemeinschaften. In der amorphen Großstadt vereinsamt der einzelne Mensch, und infolge des Mangels an Bindungen wird er zum Opfer jenes Prozesses, den Volksbildner und Kultursoziologen seit mehreren Jahrzehnten als Vermassung bezeichnen und bedauern.

Als ein Versuch, diese sozialen Probleme zu meistern, wurde die kulturelle Betreuung der Menschen in den Siedlungen am Stadtrand vorgeschlagen. Auf die Bedeutung der Nachbarschaftsbestrebungen hat zuletzt Bundesrat Professor Dr. Karl Lugmayer hingewiesen. Eine Studie englischer Nachbarschaftsheime und Kulturzentren haben es wünschenswert gemacht, auch in Wien solche Nachbarschaftsheime zu gründen. Ein Muster ist das am 7. Mai in der Per-Albin-Hansson-Siedlung eröffnete kleine Volksheim.

Ich würde bei dem Vorschlag kultureller Zentren allerdings das Wort „Kulturhäuser“, das vom französischen „Maison de la culture“ herkommt, lieber nicht gebrauchen, da es schwer eingedeutscht werden kann. Der Gedankengang, den Menschen im noch überschaubaren Bereich seiner engsten Siedlungsgemeinschaft zu erfassen, würde besser durch den von mir gebrauchten Ausdruck „Nachbarschaftsheim“ wiedergegeben werden. Solche Nachbarschaftsheime werden dann im städtischen Bereich am ehesten als „Volksheim“, im ländlichen Bereich wohl am besten als „Dorfgemeinschaftshaus“ bezeichnet werden.

Der Wunsch nach Dorfgemeinschaftshäusern ist in Oesterreich schon ein alter. Solche Gemeindehäuser bestehen in Deutschland seit dem Jahre 1897, jetzt auch in der Schweiz und Skandinavien.

Der Bundesstaatliche Volksbildungsreferent für Niederösterreich hat schon 1922 in seinem „Führer für Volksbildner“ unter dem Titel „Das Gemeindehaus“ auch für Oesterreich diese Einrichtung energisch verlangt. Daß es sich dabei um keinen Gegenpunkt gegen bestehende Einrichtungen oder gar gegen religiöse oder politische Institutionen, sondern um eine Stätte der Begegnung für alle handeln muß, ist wohl selbstverständlich. Es kann dazu nichts gesagt werden, als in der zitierten Schrift des niederösterreichischen Volksbildungsreferenten im Jahre 1922 schon gesagt wurde: „Das Religiöse hat seine Heimat in der Dorfkirche, die Familie im Hause, die Schule Jcommt als Mittelpunkt weniger in Betracht und das Wirtshaus darf nicht Mittelpunkt werden ... Wie der Bauer in die Kirche geht, wenn er mit seinem Herrgott sprechen will, so geht er in das Gemeindehaus in allen Nöten und Belangen seines weltlichen Daseins.“

Die Referate und die Diskussion stimmten mehr oder minder darin überein, daß die Idee der „Kulturhäuser“ oder Nachbarschaftshäuser, Gemeinschaftsheime oder Gesellschaftsheime als solche nicht abgelehnt werden könne. Bezüglich der Durchführung war eine gewisse Besorgnis zu spüren, diese Zentren könnten, in der Hand eines entsprechenden Verwalters oder Managers oder einer ebensolchen Gruppe, zu Objekten bzw., im weiteren Verlauf der Entwicklung zu Instrumenten einer einseitigen Kultur,,politik“ werden. Hier die nötigen Sicherungen einzubauen, wird ebenso nötig sein wie eine vorangehende Klärung der geistigen Ansprüche, die hier verfolgt werden soll. Dabei wird man nicht vergessen dürfen, daß diesem Bemühen nur dann ein dauernder Erfolg beschieden sein kann, wenn es auch die „verlorene Mitte“, die unterbrochene religiöse Bindung des modernen Menschen mitsieht und wiederherzustellen, keinesfalls aber zu stören versucht! Es ist ja bekannt, daß auch religiös nicht gebundene Psychologen den „Ver der Mitte“, das religiöse Vakuum, als die Ursache der meisten seelischen Erkrankungen und der Neurosen bezeichnet haben. Wenn also das „Ganze“ — im Sinne einer neuen menschlichen Integration — beachtet wird, dann kann die Idee der Gemeinschaftshäuser mit kulturellem Ehrgeiz von allen begrüßt und gefördert werden!

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