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Kulturstaat und Tierschutz

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Wenn als MaßstaJ für die Kultur eines Volkes unter anderem seine Leistungen in Wissenschaft, Kunst und Technik herangezogen werden, so ist die Stufe, auf der die Humanität eines Volkes steht, ebenso wichtig für seine kulturelle Beurteilung. Humanität verlangt von uns nicht nur die menschenwürdige Behandlung des Mitmenschen, son- . dem wird auch durch .die Einstellung des Individuums und sein Verhalten gegenüber dem Tier gekennzeichnet: Tierschutz ist — oder müßte es wenigstens sein — ein wesentlicher Bestandteil der Humanität. Nun ist es leider, eine erschütternde Tatsache, daß der Tierschutz in Oesterreich fast völlig versagt. Da der Tierschutz bei uns nicht durch ein Bundesgesetz, sondern durch Landesgesetze geregelt ist, ergibt sich die wunderliche Tatsache, daß ein Tatbestand, der in einem Bundesland als tierquälerisch, in einem anderen als straffrei und erlaubt gilt. Allein der Umstand, daß auch eine mit Qualen verbundene Verletzung eines Tieres als bloße „Sachbeschädigung“ geahndet werden kann, sofern dies überhaupt geschieht, sagt schon genug.

Welche Forderungen sind nun zu erheben, um einen wirksamen, also nicht nur dem Namen nach bestehenden Tierschutz zu schaffen? 1. Ein für ganz Oesterreich einheitliches Bundesgesetz und Uebettragung der Judikatur an die Gerichte. 2. Mitwirkung von Schule und Klerus, um bei der Erziehung den Tierschutzgedanken zu fördern und selbstverständlich zu machen.

Eine der wesentlichsten Unzulänglichkeiten der Rechtspflege hinsichtlich der Tierquälerdelikte beruht auf dem Versagen der Verwaltungsorgane, die mit der Strafamtshandlung betraut sind. Daß selbst in krassesten Deliktsfällen fast niemals Höchststrafen verhängt werden Arreststrafen kommen äußerst selten vor, liegt zumeist an den mit der Judikatur beauftragten Behörden. Dazu kommt, daß sich oft noch ein politischer Fürsprecher eines „hart bestraften Rohlings einmischt und so letzten Endes die Sache ad acta gelegt wird.

Hier einige Beispiele von empörend unzureichenden „Strafen“:

Ein Bauer aus Hollabrunn läßt eine Kuh, die sich ein Bein gebrochen hat, auf der steinigen Landstraße mit einem Pf erde vorspann zu seinem Anwesen schleifen, wo das Tier in einem erbarmungswürdigen Zustand ankommt. „Strafe“ der Bezirkshauptmannschaft: 50 Schilling. Im Bezirk Judenburg schlägt ein Besitzerssohn mit einer Spitzhacke, die beim Baumfällen verwendet wird, einen Ochsen halb zu Tbde, so daß das Tier notgeschlachtet werden muß. Gegen die — ganz ausnahmsweise — Verurteilung Zu vier Tagen lief Beschwerde beim Verwaltungsgericht ein. Für den Sadismus und das Raffinement dieses Unmenschen spricht der Umstand, daß er als „Milderungsgrund“ anzuführen versucht, er sei ja auch in der Gefangenschaft mißhandelt worden, und im übrigen habe bei dem Roheitsdelikt niemand zugesehen, so daß der Tatbestand des öffentlichen Aergernisses nicht gegeben sei. In Höf lein an der Donau bindet ein Landwirt seinem Pferd die Zunge an die Deichsel, wobei sich das Tier die halbe Zunge ausreißt. Den Zungenrest reißt der Unmensch mit der Hand ab und läßt das Tier unter Peitschenhieben noch schwere Lasten ziehen, bis er es dem Pferdefleischhauer übergibt.

Die Wirkungslosigkeit der geradezu lächerlich anmutenden Strafen ergibt sich von selbst,’ man könnte fast sagen, daß sie sogar einen Anreiz zu neuerlichen Brutalitäten dieser Rohlinge bildet. Jedenfalls muß das Rechtsempfinden eines normalen Menschen angesichts solcher „Judikatur“ einen argen Stoß bekommen; die Forderung nach einem einheitlichen und wirklich ausreichenden Tierschutzgesetz sowie die Uebertragung der Judikatur an die Gerichte ist also wohl gerechtfertigt und unaufschiebbar.

Ebenso wichtig ist es, schon dem jungen Menschen Verständnis und Mitleid gegenüber dem Tier beizubringen: Nur der, der für den Schmerz und das Leid der Stummen Kreatur Gefühl hat, wird auch gegen seinen Mitmenschen human verfahren. Es ist statistisch erwiesen, daß ungefähr 90 Prozent aller kriminellen Verbrecher Tierquäler sind. Und da haben nun Schule und Klerus eine wichtige Aufgabe zu erfüllen, besser gesagt, hätten sie zu erfüllen. Die Abhaltung eines Tierschutztages am 4. Oktober und gelegentliche Hinweise, Tiere gut zu behandeln, genügen da nicht: In der Schule müßten allmonatlich einige Stunden diesem erzieherisch so wertvollen Thema vorbehalten sein. Und erst recht dem Klerus käme die besonders wichtige Aufgabe zu, in Predigt und Religionsunterricht auf den Tierschutz hinzuweisen: Die Heilige Schrift ließe sich da in verschiedenen Aussprüchen heranzieheh und das rühmenswerte Vorbild des heiligen Franz von Assisi, der die Tiere Brüder und Schwestern nennt, müßte immer wieder hervorgehoben werden.

Schließlich sei auf so viele bedauerlich schlechte Beispiele hingewiesen, die junge Menschen immer wieder zu sehen bekommen. da kein behördliches Verbot diesem Uebelstand steuert, sondern sogar die Erlaubnis dazu gibt: die grausame Gefangenhaltung von Waldvögeln, noch dazu in winzig kleinen, „genormten“ und meist- mit Tüchern verhängten Käfigen, Tiersehaüstellungen in Wanderzirkussen, wo ausgesprochene Lauftiere, wie Wölfe und Füchse, wie wahnsinnig an die Gitter ihrer jede Bewegung hindernden engen Käfige anrennen, die Haltung von Kettenhunden, Viehtransporte in eisiger Kälte in offenen Autos, das noch immer geübte „Schoppen“ der Gänse und so vieles andere. Daß auch heute noch grausamste, minutenlange Quälen bedingende Sehlachtmethoden für bestimmte Religionsgenossenschaften erlaubt sind, wirft ein merkwürdiges Licht auf den Tierschutz im „Kulturstaat“, ebenso der Umstand, daß die Gesetzgebung über Tierversuche und Vivisektion bedauerliche Lücken aufweist. Noch immer werden Hekatomben von Tieren aufs grausamste zu Tode gequält von „Forscherri“, die sich über die Urteile berühmtester Mediziner, also ihrer eigenen Fachkollegen, über die oft völlige Wertlosigkeit des Tierversuches hinwegsetzen, weil eben der Staat kaum eine Kontrolle ausübt. Durch Gebot und Verbot kann er einen maßgeblichen Einfluß auf die Kultur ausüben; So müßte einem zu Grausamkeiten neigenden Volkscharakter, der am qualvollen Tiermord, dem Stierkampf, Vergnügen findet, ein Kulturstaat wirkliche Humanitätsbegriffe beibringen, nicht, daß er diesen schlechten Instinkten seiner Bevölkerung nadigibt und dadurch selbst ein trauriges Beispiel erbringt. Erwüchse da nicht auch — wie schon oben erwähnt — dem Lehrer und dem Priester die Pflicht, in ethischer und moralischer Beziehung beispielgebend zu wirken, statt, wie es leider der Fall ist, selbst an solchen rohen Schauspielen teilzunehmen? Die feige Furcht, sich durch Ermahnung und Abmahnung vielleicht mißliebig zu machen, dürfte da keine Rolle spielen. Es müßte auch auf diesem Gebiet mutige Vorkämpfer und Missionäre geben.

Der Schreiber dieser Zeilen ist nach diesen Darlegungen auf Proteste gefaßt, die gegen die vorgebrachten, auf traurigen Erfahrungen beruhenden Tatsachen von manchen Seiten erhoben werden dürften. Verschweigen der angeführten Mißstände wäre aber im Interesse der guten Sache nicht angebracht. Ein wirkungsvoller Menschenschutz hat den Tierschutz zur Voraussetzung. Und auch darum muß immer wieder die Forderung erhoben werden, daß auch in Oesterreich, das als Kulturstaat angesehen werden will, der bisher so arg vernachlässigte Tierschutz endlich zur Tatsache werde. Es wäre hoch an derZeit!

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