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Landesbewußtsein gesucht

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„Tirol äs lei oans“ — solch patriotische Sprüche haben sich im Lande unter der Enns nicht herausgebildet. Sicher, es sind in erster Linie historische Gründe, die im österreichischen Kernland die Schaffung eines starken Landesbewußtseins verhinderten. Fast ein halbes Jahrhundert an Eigenständigkeit — damals hat Niederösterreich die Bundeshauptstadt verloren — ist eine zu kurze Zeitspanne, um tirolerisches oder gar vorarlbergisches Landesbewußtsein zu schmieden. Wir wollen hier nicht etwa der Ausbildung eines unzeitgemäßen Kantönligeistes das Wort reden. Es geht uns — wie auch einem Großteil “der politischen und kulturellen Elite in Niederösterredch — um eine echte geistige, vor allem kulturelle Integration des in vier Vierteln um die größte Stadt Österreichs gelagerten Bundeslandes.

In den letzten Jahren hat man im Lande unter der Enns versucht, neue Impulse für die Bildung eines echten Landesbewußtseins zu geben. Unter Landeshauptmann Dvpl.-lng. Hartmann beschloß man — in Klosterneuburg, nicht im Niederösterreichischen Landhaus in Wien! — die Schaffung einer eigenen Landeshymne. Aber ein Liedchen vermag den mächtigen Chor der Massenmedien nicht zu übertönen, die kaum Rücksicht auf Niederösterreich nehmen. Ein echtes Landesbewußtsein kann ja nicht allein auf einer trauten Weise fußen. Es braucht das Bewußtsein nicht nur um Geschichte und Tradition, sondern auch um die Gegenwart. Hierher gehört das Wissen um die Sargen und Probleme des Landes, hierher gehört vor allem eine hinreichende Information. Niederösterreich hat man noch nie eine eigene Rundfunkwelle zugebilligt. Es teilt diese mit Wien und dem Burgenland. Und obwohl das Land unter der Enns mehr als 1,35 Millionen Einwohner zählt, hat es keine eigene Tageszeitung — hier wird es selbst vom „Ländle“ weit iübertroffen. Ist es ein Wunder, wenn in Niederösterreich das Unbehagen mit den Massenmedien besonders groß ist?

Als Niederösterreichs Vertreter im Rundfunk-Aufsichtsrat, Abgeordneter Fram Stangler, schließlich doch für den neuen „Generali“ stimmte, tat er dies nicht aus purer Sympathie für einen Unabhängigen. Der Kultur- und Rundfunkexperte des ÖAAB Niederösterreichs wollte sich offenbar die Startposition für die Verhandlungen um das eigene Landesstudio nicht verschlechtern. Die Frage ist noch immer nicht entschieden: Werden Wien, Niederösterreich und das Burgenland völlig getrennte Länderstudios bekommen? Ein paar traute Heimatstunden, einige Lokal-nachrichten und Verlautbarungen, das war so ziemlich alles, was die Eigenständigkeit des nach Wien größten Bundeslandes bisher „dokumentierte“.

Aber das soll nun angeblich anders werden. Nach der Meinung Stanglers soll das eigene Länderstudio die eigene Tageszeitung ersetzen. Ob das gelingen wird? Auch wenn die großen Säle in Baden, Wiener Neustadt, St. Pölten, Krems usw. für Funkübertragungen adaptiert werden sollten, so kann man auf diesem Wege im besten Fall einige Ausschnitte aus Veranstaltungen und Diskussionen übertragen. Sicher, schon das wäre für die Niederösterreicher eine kleine Sensation.

Die Wiener Massenmedien, allen voran die Tageszeitungen, leiden darunter, daß man in der Bundeshauptstadt trotz des räumlichen Naheverhältnisses mit den Problemen Niederösterreichs kaum besser vertraut ist als mit denen Vorarlbergs. In Wien gibt es eine Menge ausgezeichneter Journalisten. Viele waren schon im Weißen Haus, aber nur wenige im Niederösterreichischen Landhaus, obwohl letzteres inmitten der Bundeshauptstadt steht. Die Wertigkeit der Nachrichten wird in erster Linie danach bemessen, ob sich ein Ereignis in Wien oder in der „Provinz“ abspielt. Der Spatz, der vom Rathausturm fällt, ist „gewichtiger“ als eine Gemeinderatssitzung einer der größeren Städte Nieder-österreichs, bei der es vielleicht um Millioneninvestitionen für den Neubau eines Krankenhauses geht.

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