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Landflucht und Landsuche

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Als die Generalversammlung des Verbandes der Europäischen Landwirtschaft tagte, befaßte sie sich unter anderem mit der Gefährdung bäuerlicher Familienbetriebe, hervorgerufen durch Landflucht.

Ebenso konnte sie den Rückgang des landwirtschaftlichen Kulturbodens infolge der zunehmenden Industrialisierung feststellen.

So ging zum Beispiel aus dem Referat des holländischen Delegierten hervor, daß die Zahl der Landarbeiter in Holland seit 1939 um 23 Prozent gesunken ist und jährlich 3000 Hektar Kulturboden verlorengehen. In der Schweiz ein ähnliches Absinken. Bei uns in Österreich das gleiche Bild. Hier kommen noch kriegsbedingte Einflüsse und Schäden hinzu.

Landflucht und Bodenverlust stellen also nicht nur eine Gefahr für die einzelnen Länder dar, sondern bilden eine Bedrohung Europas.

Sie sind der wuchernde Spaltpilz, der unbeachtet, aber unablässig seine Zersetzung in die Lebensstruktur des europäischen Gesamtraumes hineintreibt.

Denn abendländische Gesittung ist unabdingbar verbunden mit der ehrwürdigen Tradition des bäuerlich Seßhaften. Nur aus der Verwurzelung von Mensch und Boden, aus der ruhigen Kraft der Geborgenheit und Sicherheit strömt jenes stolze Bewußtsein der Freiheit, der Entfaltung und Höherentwicklung, auf die Volk und Staat ihren Bestand aufbauen können. Mögen industrielle Auswertungen, Handel und Verkehr einem Staate Aufschwung, Reichtum und Macht verleihen, sein Lebensstrom entspringt dessenungeachtet aus dem Bauerntum. Dieses bedingt einen gewissen Adel der Gesinnung und Gesittung. Bauerntum ist Adel eines Volkes. Eine Verpflichtung des Daseins, sich nicht nach den Grundsätzen des Wohllebens, der Profitgier und Konjunktur, sondern nach den Maßstäben des Dauernden und Bleibenden auszurichten.

Wenn heute Bauernsöhne und -töchter nicht mehr auf dem Lande bleiben, sondern in die Stadt ziehen, einem vermeintlichen .Wohleben“ und „Besserleben“ nach, so äst dies ein Zeichen dafür, daß sie nicht treu und wurzelstark genug sind, dem gleißenden Rausch, dem Taumel des Augenblicks einen harten, klaren Widerstand entgegenzusetzen. Hat die Stadt die Jugend einmal in ihre Fangarme bekommen, so läßt sie sie nimmer los. „Landflucht“, stellt der Soziologe fest und sucht nach Mitteln und Auswegen, um diesem Übel Einhalt zu gebieten. Zwar werden in allen Ländern staatliche und soziale Maßnahmen ergriffen, um eine Überflutung der Städte abzudrosseln, doch der reißende Strom ist kaum aufzuhalten.

Das ist nicht nur in Österreich so, sondern in allen Ländern Europas. Um so mehr muß es wundernehmen, daß der „Verband der Europäischen Landwirtschaft“ die Millionen Volksdeutschen bodenentwurzelten Heimatlosen im Herzen Europas nicht wahrnehmen und sich nicht zum Sprecher dieser nicht „Landflüchtigen“, sondern .Landvertriebenen“ aufwarf.

Von den 300.000 Volksdeutschen Heimatlosen in Österreich sind 2 0 0.0 0 0 D o n a u s c h w a b e n bäuerlicher Herkunft, treue, bewährte Söhne der alten Doppelmonarchie, die sich nicht auf .Landflucht“, sondern auf „Landsuche“ befinden. Sie waren im Südosten Pioniere der Kultur und des Fortschritts, die ihre Bewährung für Heimat und Boden mit Blut und Eisen bis zur Selbstaufopferung, ja bis zur Vernichtung und Ausrottung bestanden haben. Seit der Tagung des Weltkirchenrates in Salzburg über Flüchtlingsfragen scheint sich das Volksdeutschenproblem zu einer innenpolitischen Angelegenheit Österreichs herauszukristallisieren.

Für die von der österreichischen Bundesregierung vorgesehene Einbürgerung und Seßhaftmachung von 15 0.0 00 Volksdeutschen muß nun eine schöpferische Wirtschaftspolitik in Angriff genommen werden.

Internationale Kredite und Marshall-Plan-Gelder werden verfüabar gemacht, um den Entwurzelten wieder Heimat und Existenz begründen zu helfen.

Die Rangordnung der Marshall-Plan-Hilfe sah auch bisher in erster Linie die Sicherung und Ausweitung der Nahrungsfläche des Landes vor, um auf agrar-wirtschaftlichem Gebiet die Eigenversorgung und Unabhängigkeit Österreichs zu erreichen. Diese Bestrebungen werden sich angesichts- der im Jahre 1952 versiegenden amerikanischen Zuschüsse nunmehr verdoppeln müssen.

Der wirtschaftliche Einbau der Volksdeutschen ließe sich also am besten durch Ansiedlung auf bisher brachliegendem Boden durchführen. Österreich ist im Besitz von ansehnlichen Flächen meliorationsbedürftigen Bodens.

Ministerialrat Dr. Ing. Bernhard Ramsauer gab in seinem Aufsatz in der „Furche“ vom 22. November 1947 die m e 1 iorationsfähigen Flächen mit 6 5 0.0 0 0 Hektar an. Ein Gebiet, das man seiner beachtlichen Größe wegen als .zehntes Bundesland“ bezeichnen kann. Von dem Ertrag dieser urbar gemachten Nutzfläche könnten 2 Millionen Menschen mit Brot und 3 Millionen mit Kartoffeln versorgt werden. Außerdem könnte der Viehstand um 500.000 Rinder und ebenso viele Schweine vermehrt werden. Nicht zu sprechen von den vielen anderen Erzeugnissen und Erträgnissen auf dem nährwirtschaftlichen Sektor.

Auch der Europahilfsplan sieht im Rahmen seines technischen Hilfsprogramms für Österreich die alljährliche Verwendung von 4,1 Millionen Schilling vor. Außerdem wird die Nutzbarmachung brachliegender Gebiete durch Lieferung amerikanischer Spezialmaschinen weitgehend gefördert.

Wenn also Österreich die Erschließung neuen Kulturbodens und neuer Kreditquellen in einem Anhub vorwärtstreiben will, so bietet die Lösung der Flüchtlingsfrage eine willkommene Handhabe dazu. Es liegt im Bereiche einer weit-chauenden staatspolitischen Konzeption, diese einmalige geschichtliche Gegebenheit als das auszuwerten, was sie dem Volke, dem Staate und der Nation zu bieten vermag. Eine Stärkung des Wirtschaftspotentials, die Auffrischung des biologischen Kraftstroms und darüber hinaus die Neubelebung der nationalen Kredit- und Investitionslage durch Zuführung internationaler Zuschüsse.

Der Einbau eines gesunden, starken Bauerngeschlechts, das in jahrhundertelanger geschichtlicher Bewährung sich nicht nur als pionierhaft fortschrittlich, sondern auch als bodentreu und wurzelstark erwies, könnte für Österreich zum Segen werden, wenn es diese Chance günstig zu nützen weiß.

Durch Errichtung bäuerlicher Familienbetriebe wäre der Landflucht Einhalt geboten, gleichzeitig wäre diesen heimatlosen Menschen eine Existenzgrundlage und ein Anreiz geboten, ihre vielseitigen wirtschaftlichen Erfahrungen nutzbringend zu verwerten.

Nicht nur, daß die vermehrte Produktion die Lücke der Eigenversorgung des Landes schließen könnte, sondern die Einführung neuer landwirtschaftlicher Produktionszweige, wie zum Beispiel der Hanfbau, Sonnenblumen-, Sojabohnen-, Gemüse-, Industriepflanzen- und Tabakbau könnten bisher unbeachtet gebliebene Quellen der Nahrungsmittel- und Rohstoffbeschaffung erschließen, die sich auch auf die Außenhandelsbilanz, den Import und Export revolutionierend auswirken würden.

Es gilt nun mit kluger Erwägung und Voraussicht auf jene bodenständige, seßhafte Schicht des Donauschwabentums zurückzugreifen, die Gewähr bietet für die Kontinuität der Planungen, die nicht der Landflucht verfällt, sondern sich als wertvoller, ergänzender Faktor in das wirtschaftliche, biologische und soziale Gefüge des Staates eingliedert.

Hier gilt es nicht, sich mit kleinlichen

Maßstäben an dem augenblicklichen Stand des Heute zu orientieren, sondern mit staatspolitischer Erwägung zukunfts-schauend zu planen und handeln, bevor eine geschlossene Abwanderung nach Übersee uns der wertvollsten Kräfte und dieser einmaligen geschichtlichen Gegebenheit beraubt.

Wenn es gelingt, das Donauschwaben-tum als Bauernvolk in seiner ganzen, umfassenden Volksbreite in das „zehnte Bundesland“ einzupflanzen, entquillt daraus der Segen einer großen staatspolitischen Tat, geeignet, österreichischen Lebensquell und Lebensraum zu mehren. Ein Ziel, hoch genug im Leben eines Volkes und einer Nation, um davor jedwede kleinlichen Einwände zurückzustellen.

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