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Lateinamerika: atomwaffenfrei?

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In Mexiko City tagten die Delegierten von 18 lateinamerikanischen Regierungen. Sie sollten einen multilateralen Vertrag vorbereiten, in dem sie sich verpflichten, „Atomwaffen nicht zu fabrizieren, zu empfangen, zu lagern oder zu erproben“.

Die Initiative zu dieser freiwilligen Rüstungsbeschränkung ging von Mexiko aus. Sie ist in der Generalversammlung der UN und in einer Vorkonferenz im November 1964 gebilligt worden. Zu der jetzigen Tagung liegen Kommissionsberichte über den geographischen Bereich der „atomfreien Zone“, die etwaige Fassung des Regionalvertrages und die Verhandlungen mit den „Atommächten“ und sonstigen „Interessenten“ vor. Diese Konferenz kann kaum zum Abschluß eines auch nur provisorischen Abkommens führen. Aber sie ist im Rahmen der weltweiten Verhandlungen über die Atomsperre von Interesse und gibt ein Bild über die inneramerikanischen Gegensätze.

Die vorübergehende Errichtung der sowjetischen Raketenrampen in

Kuba und die französische Absicht, auf der Koralleninsel Hao im Süd-paziflk eine H-Bombe zu erproben, ergeben, daß die Lateinamerikaner zunächst von den jetzigen „Atommächten“ abhängen. Sie werden keine „atomfreie Zone“ errichten, wenn diese sie gefährden.

Gefahr für Menschen — und Fische

Obwohl die englischen Fidschiinseln und Australien weit näher an dem französischen Explosionsherd liegen als die südamerikanische Küste, fürchten Peru und Chile, daß die radioaktive Wolke ihre Bevölkerung gefährdet und vor allem den für ihre Wirtschaft lebenswichtigen Fischbestand im Südpazifik vergiftet. Dieses Thema wurde bei der Südamerikareise de Gaulies und bei dem Besuch des chilenischen Präsidenten Dr. Frei ln Paris erörtert. Obwohl de Gaulle in Lateinamerika nur einen sehr umstrittenen Erfolg hatte — Helden sind erst 100 Jahre nach ihrem Tode in Lateinamerika beliebt und denkmalsreif —, störte die Atomfrage nicht die Harmonie. Man sprach zuerst von der Verschiebung des Versuchs und zitierte dann die Antwort des französischen Präsidenten: „Wenn wir Franzosen in 100 Kilometer Entfernung lassen, brauchen die Südamerikaner in 2000 Kilometer Distanz wohl keine Sorge zu haben.“

Die „Atommächte“ als „Störenfriede“ der lateinamerikanischen Rüstungsbeschränkung spielen aber vor allem wegen der nordamerikanischen Basis am Panamakanal eine Rolle. Einer der Hügel, die ihn beherrschen, birgt eine Abschußrampe für Raketen mit Atomkopf, und man darf bezweifeln, ob das Pentagon den neuralgischen Punkt des nordamerikanischen Verteidigungs-systems aus Gründen der interkontinentalen Politik schwächt. Damit wäre aber von vornherein die Möglichkeit ausgeschlossen, eine „atomfreie Zone“ von der Nordgrenze Mexikos bis zum Feuerland zu bilden.

Hindernis Kuba

Das Haupthindernis für einen solchen Vertrag bildet aber Kuba. Die große Mehrheit der lateinamerikanischen Regierungen, Brasilien und Venezuela an der Spitze, lehnt Verhandlungen mit Fidel Castro ab und sucht jede Möglichkeit auszuschließen, daß er — bei Rüstungsabreden oder Integrationsbemühungen — in die „panamerikanische Gesellschaft“ zurückkehren kann. Anderseits widerspricht Kuba jedem Abkommen, das nicht auch den USA gleichartige Bindungen auferlegt. Da in erster Linie die Sowjetunion die kubanische Atomrüstung begünstigen könnte, wäre vielleicht eine interkontinentale Atomsperre im Rahmen des Vertrages zwischen den USA und der Sowjetunion zu verwirklichen.

„Der gemeinsame Feind“

Von den 18 lateinamerikanischen Ländern wäre in absehbarer Zeit vor allem Brasilien in der Lage, selbst Atomkraft für militärische Zwecke zu produzieren. Hiedurch würde das Mißtrauen zwischen diesen Staaten, das noch die Bildung des inneramerikanischen Heeres verhindert und die echte Integrationsbewegung lähmt, zu einer schweren Krise führen. Aber diese Gefahr besteht zur Zeit nicht. Der traditionelle Kampf um die lateinamerikanische Vorherrschaft und das sich daraus ergebende Rüstungswettrennen wird

— zum ersten Male in Jahrzehnten

— entschärft. Die Außen- und die Kriegsminister beider Staaten koordinieren ihre Pro-Yankee-Politik in wechselseitigen Besuchen.

„Wir müssen eine ideologische Grenze gegen den gemeinsamen Feind — den Kommunismus — schaffen. Brasilien und Argentinien werden gemeinsam marschieren, um als freie Völker zu leben“, erklärte der argentinische Kriegsminister General Ongania bei seinem Besuch in Rio de Janeiro, nachdem er den Vorbeimarsch von 20.000 Mann der ersten brasilianischen Infanteriedivision abgenommen hatte.

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