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Laudatio für Dr. Adolf Schärf

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Einundfünfzig Tage vor seinem 75. Geburtstag ist Adolf Schärf gestorben. Am Grabe des dritten Präsidenten der Zweiten Republik steht mit dem ganzen Vaterland, mit seinen Parteifreunden und den anderen, die am jenseitigen politischen Ufer gestanden waren, trauernd auch das katholische Volk. Nicht in einer förmlichen Staatsdevotion entstammenden Trauer, sondern in einer echten, bewegten Anteilnahme. Mit dem Vaterland hat auch das österreichische katholische Volk einen schweren Verlust erlitten.

Die gläubigen Katholiken können und sollen es heute nicht bestreiten, daß sie 1957 die Wahl von Adolf Schärf zum Oberhaupt eines nach formellen Kriterien noch immer christlichen Landes keineswegs mit Enthusiasmus zu begrüßen vermochten. Nicht etwa allein deshalb, weil der neue Präsident gegenüber einem sympathischen Gegenkandidaten und großen Wissenschaftler katholischen Bekenntnisses gesiegt, sondern weil es nunmehr den Anschein hatte, daß, von der Quasipräsidentschaft des Karl Seitz abgesehen, ein bekennender und kämpferischer Atheist unser Land vor aller Welt repräsentieren und der Austromar-xismus zum Rang förmlicher Staatsgasinnung erhoben werden sollte.

Mit Adolf Schärf zog ein Mann in die Präsidentschaftsgemächer der Hofburg, der seine Ehe mit dem zu seiner Zeit noch keineswegs konventionellen gleichzeitigen Austritt aus der katholischen Kirche begründet und später nie einen Zweifel darüber gelassen hatte, daß ihm Sozialismus nicht lediglich eine auf Neuverteilung des Sozialprodukts angelegte innerweltliche Heilslehre sei, sondern auch Weltanschauung in der drastischen Schauweise eines „perfekten Atheismus“, eines „kämpfenden Atheismus“, dem Religion und ihr institutionelles Gebäude, die Kirche, bestenfalls eine zu liquidierende Fehlhaltung sind. Mehr nicht.

Sieben Jahre nach dem Amtsantritt von Adolf Schärf dürfen die Katholiken unseres Landes, nicht allein erschüttert und emotionell bestimmt durch das Ereignis des plötzlichen Todes ihres Staatsoberhauptes, sondern auch in nüchterner Analyse der langjährigen Amtsausübung des Bundespräsidenten eine Laudatio des Toten sprechen:

In den Jahren seiner Präsidentschaft, fast ohne Übergang, hat sich Adolf Schärf, sei es in seinen hoheitlichen oder sei es in seinen privaten Akten, formell den Bindungen durch seine Partei entzogen und demonstrativ bekundet, daß er beabsichtige, Präsident für alle, Oberhaupt des ganzen Landes zu sein und sich nicht allein von den Denkansätzen und der Rücksichtnahme auf die Interessen seiner Partei bestimmen zu lassen.

In den Schicksalsstunden der Koalition fand diese an Adolf Schärf ihren unnachgiebigen Fürsprecher, auch in Situationen, in denen es dem Schein nach für die Sozialisten, für die Partei des Präsidenten, nützlicher gewesen wäre, sich neue, gefügigere und schwächere Partner zu suchen. Adolf Schärf hat sich dabei als Präsident-Koordinator, als großer Österreicher erwiesen, als Staatsmann, der die Interessen einer ihm nahestehenden Gruppe, der er seine Position zu danken hatte, dem Ganzen unterzuordnen wußte.

Obwohl der Tradition des Austro-marxismus verpflichtet, war der Bundespräsident in jeder Geste und Handlung als Amtsträger ein vollendeter Demokrat, der auch von jenen Rechten, die ihm zustanden, nur sparsam Gebrauch machte und Demokratie wörtlich als Volks- und nicht als Präsidentenherrschaft verstand. Schärf war Demokrat im Umgang mit den Politikern und war es vor allem in der geradezu rührenden Schlichtheit seiner Lebensführung, dokumentiert durch die noble Führung seines Amtes, in der er sich stets als Hofrat altösterreichischer Prägung, wie ihn uns Josef Roth zeichnet, auszuweisen vermochte.

Nach dem Tod seiner Gattin, 1956, blieb Adolf Schärf, obwohl Staatsoberhaupt geworden, in seiner Wohnung am Wiener Hamerlin-gplatz und vermied es, sein privates Milieu seinem neuen Rang angemessen zu ändern. Dadurch hat der Tote ein Vorbild für künftige Staatsoberhäupter unseres Landes geschaffen. Der Wohnsitz des Präsidenten war lediglich durch einen wachhabenden Polizisten gekennzeichnet und unterschied sich in nichts von den Miethäusern des achten Wiener Gemeindebezirkes. Fast bis in sein letztes Lebensjahr ging der Bundespräsident auch oft und oft zu Fuß in sein Büro. In welchem Land wäre dies möglich? Nicht wenigen war es gegönnt, etwa im Schwarzenberggarten einem einsamen, unbewachten Spaziergänger zu begegnen — dem Staatsoberhaupt, das in der privaten Sphäre auf jedes unnötige Dekorum verzichtete und Würde nur da auswies, wo es ihm das hohe Amt gebot.

Die Katholiken des Landes wissen dem Bundespräsidenten Dank für seine vornehme Haltung der Kirche und dem Katholischen gegenüber. Adolf Schärf war in seinem politischen Denken aus den Bedingungen seiner Jugend geformt und in seiner Weltanschauung auch von der materiellen Not der Jahrhundertwende und im besonderen seiner nächsten Umgebung geprägt worden, aber ebenso, das sollten wir nicht übersehen, von den äußeren Darstellungsformen einer Kirche der Jahrhundertwende, die in vielen Verhaltensweisen noch fremdgesteuert war, weil sie nicht selten als Staatskirche verstanden wurde. Zu allem kam, daß der Sozialismus der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts geradezu aus Konvention die Rechtfertigung seiner materiellen Forderungen auf einer höheren Ebene, auf jener eines aufklärerischen Atheismus, au sichern suchte. Bekenntnis zum Sozialismus wurde völlig systemfremd mit jenem zum Atheismus gleichgesetzt.

Was die Katholiken Österreichs angesichts ihrer Erfahrungen und nicht mit Unrecht von einem Vorsitzenden der SPÖ auch in seiner Eigenschaft als Staatsoberhaupt erwartet hatten, ist nicht eingetreten. Wo es sein Amt gebot, begegnete Adolf Schärf, wenn auch in korrekter Distanz, dem Katholischen in einer höflichen Referenz, die mehr gewesen ist als Amtsgeste. Die Kirche, mit der sich der Bundespräsident in der Zeit seiner Amtsführung von 1957 bis 1964 konfrontiert sah. war eine freie Kirche und nicht jene seiner Jugend, eine Kirche, die sich, unbehindert Zeugnis für die Wahrheit abgebend, mit den Besten ihrer Vertreter sozial engagierte.

In den Jahren seiner Präsidentschaft wußte Adolf Schärf die Erkenntnis dieses neuen und immer offenkundiger werdenden Sachverhaltes in diskreter Weise auszudrücken, ganz eindeutig in seiner Erklärung aus Anlaß der letzten Angelobung:

„Mit Genugtuung stelle ich fest, daß auf kulturellem Gebiet, insbesondere im Verhältnis zu den Religionsgemeinschaften, in der Zweiten Republik ein anderes, besseres Klima geschaffen werden konnte, als es früher herrschte.“

Die Feiern zum Tag der Wiedererrichtung der Republik und des Gedenkens an die Befreiung unseres Landes aus einem halbkolonialen Status sind nicht allein vom Ableben des Staatsoberhauptes überschattet, sondern werden wahrscheinlich in Bedeutung und Form noch überdeckt durch einen Wahlkampf. Wir haben noch die widerlichen Auseinandersetzungen des Wahlkampfes von 1957 in Erinnerung. Wenn die Verantwortlichen das Andenken des großen Toten geziemend ehren und überdies dem österreichischen Volk eine unangemessene Störung seiner Festtage ersparen, ja diese nicht ad absurdum führen wollen, sollten sie daher nichts unversucht lassen, um dem Staat in einer würdigen Weise ein neues Oberhaupt zu geben. Das wäre die beste posthume Ehrung von Adolf Schärf, ein Staatsakt in seinem Sinn.

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