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LEBEN STATT PERFEKTION

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Die Live-Sendung, die optisch-akustische Übermittlung eines Ereignisses im Augenblick des Geschehens, unterscheidet das Fernsehen grundlegend von allen anderen Massenkommunikationsmitteln und wird so zum wichtigsten Element des Fernsehens überhaupt.

Dabei geht es aber nicht nur um die Gleichzeitigkeit von Ereignis und Empfang; sehr wesentlich ist dabei auch, daß uns hier lebendige Menschen gegenübertreten, daß uns hier nicht die synthetische Scheinwirklichkeit des Films vorgegaukelt wird. Anderseits ist es gerade die intime Atmosphäre des Empfanges im Heim, die nach einer persönlichen Ansprache verlangt. So beziehen denn auch die vielen kleinen, im Studio produzierten Sendungen ihre spezifische Wirkung aus der Tatsache, daß sie live gesendet werden.

Ein Musterbeispiel dafür brachte eine der letzten Sendungen „Dienst am K un d e n“. Es war geradezu faszinierend, wie da die Kameras durch die engen Gänge der Dekorationslager und -Werkstätten fuhren und sich der Zuschauer so tatsächlich durch diese Räume geführt sah. Kein noch so gut gestalteter Film hätte auf dem Bildschirm diese Atmosphäre schaffen und diese Wirkung erzielen können.

Zu den wesentlich fernsehgemäßen Sendungen gehört auch die Sendereihe „Wunder der Tierwelt“ von und mit dem Leiter der Biologischen Station Wilhelminenberg, Otto Koenig. Der persönliche Ton, mit dem Otto Koenig seine Zuschauer anspricht, die zwanglosen Gespräche mit seinen Mitarbeitern, das manchmal unberechenbare Verhalten der Tiere — die live vor den Fernsehkameras erscheinen! — und die stets interessanten Themen machen die Sendung zu einer der besten dieser Art. Die als Ergänzung zum jeweiligen Thema eingeblendeten Filmstreifen sind ein durchaus legaler Bestandteil dieser Sendung, solange sie ausdrücklich als Filmaufnahmen deklariert werden, was bisher wohl immer der Fall war.

Hier muß natürlich auch die Sendereihe „F ü r den Markenfreund“ von und mit Doktor Alexander Kalmar genannt werden, über deren prinzipielle Qualitäten schon berichtet wurde („Furche“ Nr. 39/1960). In der zuletzt gesehenen Sendung waren auch die Filmeinblendungen wieder recht gut mit dem eigentlichen Thema verbunden.

Die Sendereihe mit Heinz Fischer-Karwin, „Ihr Auftritt, bitte!“, bringt stets eine Anzahl ansprechender Live-Interviews; diese Gespräche würden noch gewinnen, wenn der Interviewer seinen Partner etwas stärker in den Mittelpunkt rücken ließe und dafür selbst mehr im Hintergrund bliebe, was hier keinesfalls räumlich zu verstehen ist. Wenn nun hin und wieder einzelne Interviews auf Film aufgenommen werden, um beispielsweise Terminschwierigkeiten zu überbrücken, so ist dagegen nichts einzuwenden; man darf aber auf keinen Fall den Eindruck erwecken wollen — wie das offensichtlich manchmal geschieht —, daß auch diese Interviews im Augenblick der Sendung live im Studio erfolgen. Hingegen könnte man vielleicht den einen oder anderen Probenausschnitt live aus dem Fernsehstudio übertragen, wie das früher bei einer ähnlichen Sendereihe die Regel war.

Wenn hier schon von — guten — Live-Sendun-gen die Rede ist, so soll auch eine Sendung erwähnt werden, die längere Zeit nicht zu sehen war: die ausgezeichnete „Kleine Modeplauderei“ mit Monique Traska. Wir würden dieser charmanten jungen Dame, die so herrlich unbefangen plaudert, mit Elan zeichnet und ihr Metier souverän beherrscht, gerne öfter begegnen.

Schließlich darf nicht versäumt werden, auf eine Sendung hinzuweisen, die zwar als Film produziert wurde, aber unbedingt als Live-Sendung hätte gestaltet werden sollen: die erste der

Reihe „Der Mensch von morgen“ mit Universitätsprofessor Dr. Hans Thirring. Professor Thirring ist ein bekannt guter Vortragender; hätte man ihn seinen interessanten Vortrag ohne weitere optische Ausgestaltung live vor den Fernsehkameras halten lassen, so wäre das eine wesentlich bessere Fernsehsendung gewesen, als dieser dilettantisch gemachte Film. Daß hier die elementarsten Regeln der Filmgestaltung verletzt wurden, zeigte sich gleich zu Beginn, als ein falscher Schnitt den Vortragenden seine Antwort von der Fragestellerin weg sprechen ließ. Und was sollte überhaupt diese junge Dame, die sich abmühte, ganz offensichtlich eingelernte Fragen aufzusagen? Auch die Bildbeispiele und Tabellen — einfach hineingeschnitten, anstatt vom Vortragenden gezeigt und erläutert — waren oft nicht glücklich gewählt. Was zum Beispiel sollte der Laie mit den Filmaufnahmen der Sonnen-protuberanzen anfangen? So kann man Fernsehen nicht machen!

Der Live-Sendung kommt aber auch auf dem Gebiete des Fernsehspiels als der wesentlich künstlerischen Ausdrucksform des Fernsehens, eine grundlegende Bedeutung zu. Denn alles, was schon eingangs gesagt wurde, gilt natürlich in gleicher Weise auch hier. Immer wieder wird der Vorwurf laut, das dem Live-Fernsehspiel die technische Perfektion des Films fehle. Aber das Fernsehen soll nicht Perfektion zeigen, sondern den Menschen, wie er wirklich handelt und redet. Seien wir doch froh, daß wir im Fernsehen ein AusdTucksmittel haben, das die technische, kalte, unpersönliche Perfektion des Films entbehren kann, daß uns nicht durch Kameraeinstellung und Schnitt Geschehnisse vorgetäuscht werden, die sich niemals in dieser Form abgespielt haben. Mit Recht haben namhafte Filmexperten wiederholt darauf hingewiesen, daß der Darsteller im Film eine ganz andere Funktion hat als der Schauspieler auf der Bühne, daß er im Grund genommen nicht mehr als ein Requisit in der Hand des Regisseurs ist. Daß auf diese Weise Werke von stärkster Wirkung und durchaus künstlerischem Niveau zustande kommen können, steht außer Zweifel. Aber niemand würde die künstlerische Integrität des Theaters anzweifeln, weil auch dort nicht die Möglichkeiten zu jener Perfektion bestehen, wie sie der Film bietet. Und gerade die Theaternähe ist es, die das Live-Fernseh-spiel kennzeichnet. Die Tatsache, daß der Schau-

Spieler seine Rolle, dem tatsächlichen Ablauf des Stückes entsprechend, „durchspielt“, daß die Einmaligkeit und Unwiderruflichkeit seiner Leistung (vielleicht sogar noch mehr als auf der Bühne) ihn veranlassen, sein Letztes zu geben, daß wir hier sehen, wie ein Mensch ein Schicksal wirklich erlebt, das macht das Wesen des Fernsehens auch auf diesem Gebiete aus.

Diese Fakten bleiben zwar im großen und ganzen auch bestehen, wenn eine solche Live-Sendung — ohne nachträgliche Bearbeitung! — auf Film oder Band aufgezeichnet wird. Darüber hinaus aber dürfte bei der Direktsendung eines Fernsehspiels auch der Simultaneffekt, das gleichzeitige Miterleben eines künstlerischen Schöpfungsaktes, die dem Zuschauer mitbewußte Möglichkeit eines Versagens, die echte Ungewißheit darüber, was die nächste Sekunde bringen wird, eine weitere Erlebnisbereicherung für den Zuschauer bedeuten. Das setzt allerdings voraus, daß der Zuschauer über die Art der Sendung (ob direkte Live-Sendung, Aufzeichnung oder Fernsehfilm) genau und verläßlich informiert wird, so verläßlich, daß er dieser Information auch volles Vertrauen entgegenbringt.

Sicher verdankte die letzte Eigenproduktion des Österreichischen Fernsehens, „Das Floß der Medusa“ von Georg Kaiser (Regie: Wolfgang Glück), einen Teil ihrer Wirkung der Tatsache der Live-Sendung. Aber die Realistik des Fernsehens in Verbindung mit der bewundernswert realistisch gestalteten Szenerie vertrug sich nur schwer mit dem expressionistischsymbolischen Gehalt und der gehobenen Sprache der Dialoge. Daß die durchweg jungen Darsteller diesen Dialogen keineswegs alle gewachsen waren, kann man ihnen nicht verübeln. Darstellerisch gab es recht überzeugende Leistungen (vor allem: Witta Pohl, Renate Bernhard und Mathias Fuchs). So war diese Aufführung lediglich ein interessantes Experiment, das aber nicht überzeugen konnte.

Sehr wohl überzeugen konnte hingegen die Aufzeichnung einer Inszenierung des Deutschen Fernsehens (NWRV Hamburg) von Georges Ber-nanos' „Die begnadete Angs t“, die zu Recht auf dem Weltkongreß der UNDA ausgezeichnet worden war. Die Auflösung in einzelne, durch lange Schwarzblenden voneinander getrennte Szenen bewirkte eine starke Verdichtung und verhalf zusammen mit der souveränen Kameraführung Bernanos' Dialogen um Todesangst und göttliche Gnade auch optisch zu starker Wirkung. Aus dem hervorragenden, von Konrad Wagner sicher geführten Ensemble seien Gertrud Kückelmann, Anne Kersten, Maria Krahn, Ida Ehre und Cordula Trantow stellvertretend für alle anderen genannt. Karl Hermann Joksch hatte einen, dem Stück und der Aufführung würdigen szenischen Rahmen geschaffen.

Aber auch ein Experiment bescherte uns das Deutsche Fernsehen — diesmal war es der Südwestfunk — und ein recht merkwürdiges noch dazu: Die Leo-Fall-Operette „M a d a m e P o m-p a d o u r“ wurde unter der Regie von Wilm ten Haaf vom Fernsehen auf einer Bühne inszeniert, und die vor Publikum stattfindende „Aufführung“ wurde live übertragen. Die Inszenierung selbst war bestes Operettentheater — Namen wie Eiße Mayer-hofer, Fritz Remond, Peter Minich, Gaby Fehling, Heinz Bennent bürgten für gesangliche und darstellerische Qualität — und die Fernsehübertragung war durchaus gelungen. Nur fehlte ihr die Rechtfertigung, die eine echte Theaterübertragung in sich trägt. Wenn nun aber das Fernsehen selbst etwas inszeniert, dann sollte es doch wohl seine ihm eigenen Mittel und Möglichkeiten bis zur letzten Konsequenz einsetzen. Und das war hier keineswegs der Fall, wenn man auch versucht hatte, die Inszenierung auf die Fernsehübertragung auszurichten und gelegentlich mit der Kamera auf die Bühne fahren konnte. Was dabei herauskam, hinterließ zwar einen durchaus erfreulichen Eindruck, war aber weder eine Theaterübertragung noch eine besonders eindrucksvolle Fernsehinszenierung. Das Deutsche Fernsehen selbst hat diesbezüglich bereits Maßstäbe gesetzt.

An der Grenze zwischen Fernsehspiel und Unterhaltung steht die „Familie L e i t n e r“, die beliebte Fernsehfamilie, deren Autoren aus unerfindlichen Gründen sorgsam verschwiegen werden. Unter der ausgezeichneten Regie von Otto Schenk wird hier stets nette Unterhaltung geboten, mit Herz, viel Charme und manchmal ein wenig „Schmalz“. Aber irgendwann kann sich jeder von uns darin erkennen. In der vorletzten Sendung bewies Gertraud Jesserer als das „neue“ Töchterlein, daß sie, obwohl ein gänzlich anderer Typ, mindestens ebenso bezaubernd ist wie ihre Vorgängerin, für die man sie so sang- und klanglos einspringen ließ. Daß diese Sendung eine Aufzeichnung war, ist hoffentlich eine einmalige, durch irgendwelche zwingende Ursachen bedingte Notlösung. Abgesehen von der schlechten Qualität der Aufzeichnung, verlangt gerade dieses Programm grundsätzlich nach einer direkten Live-Sendung. Die Schauspieler werden von den Zuschauern in diesem Falle so mit ihren Rollen identifiziert, daß es unvorstellbar wird, daß sie zur Zeit der Sendung an einer anderen Stelle auftreten oder selbst vor dem Bildschirm sitzen. Daß diese Aufzeichnung noch dazu nicht als solche gekennzeichnet wurde, ist äußerst bedenklich.

Die reine Unterhaltungssendung ist nun ein weiterer und vom Fernsehen noch nicht recht bewältigter Bericht der Live-Sendung. Hier ist die erfreuliche Nachricht zu verzeichnen, daß die Sendereihe „Jede Sekunde ein Schilling“ endlich zu Ende geht. In einer Zeit, in der zwar viel von Menschenwürde geredet, aber noch viel mehr eben diese Menschenwürde in den Staub getreten wird, erscheint es untragbar, daß man die Entwürdigung des Menschen zum „Gspaß“ erhebt. Und von der Entwürdigung des Menschen, von der Bloßstellung und Lächerlich-machung lebte diese Sendung ausschließlich. Immer wurden die „Mitspieler“ mit Wasser begossen, mit Cremetorte beworfen, unter Rauch und Staubentwicklung auf den Boden gesetzt und was der köstlichen Scherze mehr sind. Daß die Betroffenen damit einverstanden waren, macht die Sache nicht besser. Die „Spiele“, die zu diesen Szenen führten, waren immer die gleichen (nur die Methode der Lärmerzeugung wurde variiert) und die „Einlagen“ reichten nicht aus, um die peinliche Plattheit dieser Sendungen zu kaschieren.

Was das Österreichische Fernsehen den Erwachsenen noch nicht recht bieten konnte, das hat es im Jugendprogramm zustande gebracht: Eine Unterhaltungssendung mit Schwung und Charme und ohne wesentliche Leerläufe: Die erste in einer geplanten Reihe von Teenagersendungen „Leute von heute“ hatte — unter der Regie von Dr. Karl Stanzl — diese Eigenschaften und hat, soweit Reaktionen von Jugendlichen bekannt geworden sind, im großen und ganzen auch tatsächlich den Beifall ihres Publikums gefunden. Das Programm war abwechslungsreich, die Quizfragen waren keineswegs leicht und die beteiligten Jugendlichen von bezwingender Natürlichkeit. Über die Qualität der im Rahmen der Sendung gezeigten Filmaufnahmen sei hier nichts gesagt: Sie war nämlich unter jeder Kritik...

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