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„Die Demokratie und die Freiheit in Österreich können nur dann gesichert werden, wenn jeder Staatsbürger die Rechte, die er in der Demokratie hat, auch ausübt. Die Ausübung des Wahlrechtes gehört eu den wesentlichen Rechten und Pflichten in der Demokratie.”

(Aus der Erklärung der Katholischen Aktion zu den Nationalratswahlen 1966.)

Der leider zum substanzlosen Slogan entartete Spruch, daß dem Staat zu geben sei, „was des Staates ist”, wird auch in unserem Land von vielen Bürgern nur noch abgabenrechtlich, also kommerziell, gedeutet. Eine moralische Verpflichtung soll durch Steuerleistungen abgelöst werden, wobei man sich „den” Staat lediglich als einen Inkassanten, wenn nicht als einen legitimen „Räuber” vorstellt. Christen und Nichtchristen unterscheiden sich kaum in der angedeuteten Schauweise staatsbürgerlicher Verpflichtungen.

Die Größe der Verpflichtung gegenüber dem Staat, der sich ohnedies nur in seinen Organen darstellt und der die Geschäfte des Vaterlandes besorgt, kann aber nicht von Steuertabellen abgelesen werden. Das gilt für den Christen ohne Dispens. Ganz besonders in Grenzsituationen, in denen es um die Existenz, zumindest aber um die Chance völlig neuer Gestaltung staatlicher und nationaler Ordnung geht.

Der Staat und das von ihm legitim durch bürokratische Verfahren verwaltete gesellschaftliche Leben sind ein wesentlicher Teil jenes Bereiches, der den Christen zur Ver- Bhristlichung aufgegeben ist. Nicht nur das eigene Ich oder der Mitmensch sollen Adressat christlicher Liebe sein, sondern auch die bürokratische Verflechtung der gesellschaftlichen Selbstverwaltung: der Staat. Wenn . man sorglos und oft in eitler Anmaßung davon spricht, daß mit dem Christlichen die Liebe in die Welt gekommen ist, macht man sich offenkundig keine Vorstellung, welche Gegenstände eigentlich diese Welt enthält und welchen Wirk- kungsort die Liebe vorfindet. Nicht selten muß man daher davon ausgehen, daß die großen Reden von der Liebe nur die Qualität eines Palavers haben.

Ein Ort, in dessen Bereich sich die christliche Liebe vollziehen kann, ist jedenfalls der Staat. Liebe kann zwar nur am anderen, an einem lebenden Wesen, vergegenständlicht werden. Der „andere” aber ist nicht nur der jeweils Nächste, sondern auch die Institution des Staates, dessen Dienstbereitschaft und Leistungen heute erst das Leben, Sattheit, Muße und Freude in einer komplex organisierten Welt möglich machen. Daher ist der Staat eine besondere, institutioneile Form des Nächstendienstes. Die Welt, die den Staat repräsentiert, ist keine völlig andere Welt jenseits des Christlichen, sondern die eine Welt, in der sich die Summe jener Lebewesen angesiedelt hat, die Gegenstand unserer sorgenden Liebe sein sollen. Die Welt und damit den Staat nicht zum Gegenstand liebender Sorge zu machen, heißt das Christliche als sinnlos, als nicht anwendbar zu deklarieren und davon ausgehen, es bestehe nur im eigenen Bewußtsein oder in der höchstpersönlichen Einflußregion, also als eine familiäre Angelegenheit für das traute Heim, in dessen Geborgenheit man sich im Christentum übt. Bei abgedunkelten Fenstern.

Der Christ, dem sein Christentum Verpflichtung für andere zu sein scheint, muß bemüht sein, den Staat, seinen Staat, im Sinn der von ihm verinnerlichten Vorstellungen, gestalten zu helfen. In fairer Konkurrenz mit den Nicht-Christen, mit jenen, die in freier und als richtig vermuteter Entscheidung das Christliche nicht angenommen haben.

Das Christliche am Christlichen ist also etwas sehr Gegenständliches, nicht allein eine Sammlung von Sprüchen, nicht eine Summe theologischer Streitgespräche, deren Übersetzung in die Weltwirklichkeit ohnedies nicht erwogen wird. Allzuviele Christen — sie nennen sich dreist und eitel „Hundertprozentige”, womit sie jeden „Wettbewerb” ausschließen wollen — sehen in dem von ihnen angenommenen Christlichen eine abstrakte Angelegenheit; bestenfalls ein peinlich-neutralistisches Lippenbekenntnis, das man aus Gewohnheit in seinen Sonntag edn- ordnet und auf eine Stunde mehr oder minder teilnahmsloser Anwesenheit („Verweildauer”) bei einer gottesdienstlichen Handlung beschränkt.

Der Christ muß jedoch aus seiner Gesinnung, die keineswegs höchstpersönliches Eigentum, sondern als Gottesgeschenk zur Weitergabe bestimmt ist, weltliche Folgerungen ziehen: Eine solche Folgerung ist ein politisches Verhalten nach dem christlichen Sittengesetz.

Der Vollzug des Christlichen auch über die in der Politik gegebenen Chancen kann aber nur legitim im politischen Raum wirksam erfolgen.

Zur Begründung einer Anteilnahme des Katholiken am Weltvollzug des Christlichen ist in der Demokratie, als der gegenwärtig dem Christlichen gemäßen Verwaltungsform der Gesellschaft, ist eine Summe von Möglichkeiten geboten, primär diie Beteiligung an Wahlen. Durch seine Stimmabgabe hat der christliche Wähler die Gelegenheit, über die von ihm mittelbar ausgewählten Vertreter jene Werte in der Welt zu verwirklichen, die nach dem Sittengesetz geboten sind.

Am 6. März dieses Jahres soll daher in Österreich nicht „irgendwer”, nicht irgendeine beliebige wähl werbende Gruppe gewählt werden, sondern jenes „heilig’ Vaterland”, das so oft in der Mitte nationaler Sprüche steht, ohne daß wir bedenken, wie sehr wir es real lieben und bestens gestalten helfen sollen.

Wer aber nicht wihlt, hat auch gewählt:

• die Abwesenheit vom politischen Leben für vier Jahre,

• die Selbstentmünidigung; er hat sich des Rechtes begeben, in einer Gesetzgebungsperiode in politischen Dingen mitzusprechen und ist politisch emigriert.

• Wer nicht wählt, hat auf Umweg politische Vormünder für sich sprechen lassen und sich daher politisch selbst entmündigt. Keineswegs kann jedoch ein Nichtwähler von sich sagen, er sei „unpolitisch”. Das Nichtwählen ist bereits ein markanter politischer Akt.

Wer als Christ wählt, hat auch das Recht, seine Stimme nach seinem sozialökonomischen Interesse abzugeben. Dies zu bezweifeln ist absurd in einer Zeit, in der so viel von christlicher Soziallehre gesprochen wird.

Angesprochen auf eine Aussage zu den Präsidentschaftswahlen in Frankeich, hat jedoch Kardinal Feltin kurz darauf hingewiesen, daß sich der Katholik bei Abgabe seiner Stimme vor allem der jeweils , auf dem Spiel stehenden moralischen Werte besinnen müsse. Für diese Besinnung gibt die Kirche jedoch weder in Österreich noch in einem anderen Land irgendwelche spezifische Wahlempfehlungen; sie setzt nur Erfüllung der Wahlpflicht voraus, weil sie uns eben den Staat lieben heißt. Auf diese Weise will die Kirche zu verstehen geben, daß sie die Christen für reif und in politischen Dingen für so ausreichend informiert hält, daß sie ohnedies von sich aus richtig entscheiden können. Im Streit der Parteien ist die Kirche jedenfalls ein Neutrum, wenn nicht wie in unserem Vaterland eine Institution der Schlichtung, sie ist eine moralische Einrichtung.

Anderseits kann vermutet werden, daß der Kirche ebenso wie den gläubigen Christen daran gelegen ist, auch im neuen Parlament eine angemessen große Zahl von bekennenden Katholiken zu sehen: so viele Katholiken, daß erwartet werden kann, es werde christliches Glaubensgut auch in der gesetzgebenden Versammlung verkündet und zum weltlichen Gesetz. Wer einen solchen Wunsch für unbillig hält, kann sich nicht Demokrat nennen.

Bekennender Katholik sein heißt, so hartnäckig zu den Grundsätzen des Sittengesetzes stehen, daß in Grenzsituationen auch wider die Interessen der eigenen Partei gestimmt wird. Audi wider die Interessen der Geldgeber der Partei, die oft wie „heilige Kühe” behandelt werden. Daher ist die Strapazierung der Parteidisziplin oft eine Disziplinierung des (christlichen) Gewissens durch Politmanager.

Im Gespräch mit einem der bedeutendsten und vornehmsten Führer des österreichischen Sozialismus habe ich jüngst die Frage angeschnitten, ob angesichts der gegebenen Situation, das heißt der nunmehr bekannt gewordenen Auswahl der Kandidaten, auch Katholiken das gleiche Recht haben (wie Atheisten), zu verlangen, sich im Parlament angemessen vertreten zu sehen. Grundsätzlich wurde mir zugestimmt. Das bedeutet, daß auch nach sozialistischer Aussicht Katholiken das Recht haben, bei einer Alternative einem katholischen Bewerber den Vorzug zu geben, freilich in der Annahme, daß die Partei dem Gewählten auch die Möglichkeit bietet, sich als Abgeordneter der Stimme seines Gewissens entsprechend zu verhalten, und daß die legitimen ökonomischen Interessen des Wählers nicht dauernd gröblich verletzt werden.

Jedenfalls grenzt es an Schizophrenie, einerseits zu verlangen, daß „die” Welt, mit der wir täglich konfrontiert werden und die uns zur „Besserung” aufgegeben ist, eine andere wird, ohne etwas zur Besserung eben dieser Welt, und sei es nur durch Stimmabgabe, zu tun.

Eine „Denkzettelwahl” ist Wahl gegen die Stimme des Gewissens und gegen den Verstand, ist gröblicher Mißbrauch des Stimmrechtes, blas- phemische Verhöhnung eines in Generationen und neuerdings durch Millionen von Opfern gewonnenen Rechtes freier Entscheidung in Fragen der Politik.

Daher bleibt uns nicht nur als Last, sondern als moralische Pflicht: Zeugnis abzulegen — behütet von der Umfriedung der Wahlzelle. Daher legen wir Zeugnis nicht vor den Menschen ab, sondern nur vor unserem Gewissen I

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