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Lehren für Österreich

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Die folgenden Zeilen sind von der tiefen Sorge diktiert, daß es kein „Verrat" an der Sache Ist, der man sich gesin- nungsmäßig verbunden fühlt, wenn man in Schicksalsstunden das Land über die Interessen von ÖVP und SPÖ stellt. Gewiß, es soll auch — gar nicht so unmaßgebliche — Männer gegeben haben, die in den Stunden, da die sowjetische Kriegsmaschinerie in die CSSR rollte, vor allem daran dachten, wie sie nun das Wasser auf die Mühlen ihrer Partei leiten könnten; allein um des Landes willen sollte man hoffen, daß es sich dabei um eine, wenn auch einflußreiche Minderheit gehandelt hat. Es muß nämlich einmal ausgesprochen werden: Jede Regierung könnte stolz und glücklich sein, die es mit einem solchen Volk zu tun hat, einem Volk, das grundvernünftig und bereit zum „Mitgehen" ist, wenn es richtig geführt ist. Aber wird das österreichische Volk auch immer so regiert, wird vor allem der Staat Immer so verwaltet, wie es das „gute Land" verdiente!

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Die folgenden Zeilen sind von der tiefen Sorge diktiert, daß es kein „Verrat" an der Sache Ist, der man sich gesin- nungsmäßig verbunden fühlt, wenn man in Schicksalsstunden das Land über die Interessen von ÖVP und SPÖ stellt. Gewiß, es soll auch — gar nicht so unmaßgebliche — Männer gegeben haben, die in den Stunden, da die sowjetische Kriegsmaschinerie in die CSSR rollte, vor allem daran dachten, wie sie nun das Wasser auf die Mühlen ihrer Partei leiten könnten; allein um des Landes willen sollte man hoffen, daß es sich dabei um eine, wenn auch einflußreiche Minderheit gehandelt hat. Es muß nämlich einmal ausgesprochen werden: Jede Regierung könnte stolz und glücklich sein, die es mit einem solchen Volk zu tun hat, einem Volk, das grundvernünftig und bereit zum „Mitgehen" ist, wenn es richtig geführt ist. Aber wird das österreichische Volk auch immer so regiert, wird vor allem der Staat Immer so verwaltet, wie es das „gute Land" verdiente!

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Es ist keine journalistische Übertreibung zu behaupten, daß die Tage der Invasion der CSSR die Frage nach dem Schicksal Österreichs mit einer brutalen Deutlichkeit stellten, für die man eigentlich dankbar sein könnte — wenn daraus die nötigen Konsequenzen gezogen werden. Denn diese Tage haben uns demonstriert, wie unangebracht eine Mentalität des „Es kann dir nix g'schehn“ wäre. Sie haben vor allem Schwächen in unserem politischen System geoffenlbart, die mehr als bedenklich stimmen müssen, auch wenn schon wieder Kräfte am Werk sind, die nun die damalige Situation verniedlichen. Es sind Schwächen, die ausgemerzt werden müssen, angesichts einer unsicheren, mit vielen Unbekannten behafteten Weltlage. Auch wenn es die Beschwichti- ger nicht hören wollen: Die Welt ist anders geworden seit dem 21. August 1969, vor allem hat sich die Konstellation in Europa grundlegend geändert.

Hier soll nicht Bekanntes wiederholt werden, worüber in der Tagespresse ausführlich berichtet wurde. Wäre die Sache nicht so ernst, dann könnte man ein neues Kapitel Herzmanofsky-Orlando schreiben, etwa allein über die Umstände der Benachrichtigung des Regierungschefs oder über die Gemächlichkeit, mit der Spitzenpolitiker und vor allem Spitzen der Bürokratie reagierten. Auch über den Einsatz des Bundesheeres könnte manches gesagt werden.

Hierzu gleich eine Bemerkung: In welcher Armee der Welt, die sich noch ein Mindestmaß an militärischem Kodex bewahrt hat, könnte sich ein Mann weiter in seiner Kommandofunktion halten, der auf dem Höhepunkt der Spannung als zuständiger Befehlshaber im Grenzraum gegenüber Journalisten herabwürdigende Erklärungen abgab, deren meritorischen Wahrheitsgehalt man keineswegs bestreiten muß? Aber ist es nicht ein Zeichen dafür, wie wenig moralische Substanz die Führungsschicht des Staates — denn dazu gehört wohl auch ein Brigadekommandant — hat, wenn solche Äußerungen nicht sofort mit der Enthebung vom Kommando und einem strengen Disziplinarverfahren geahndet werden? Hier rächt sich jene systematische Diffamierung einer soldatischen Gesinnung, die beispielsweise in der schweizerischen Armee, die ein Bürgerheer par excellence ist, nicht denkbar wäre.

Ein anderer Beweis: In der Bundeshauptstadt — in Kreisen der hohen Bürokratie — tuschelt man hinter vorgehaltener Hand über die Frage, ob nicht für die Vereinigten Staaten de facto nach wie vor die „Zonentheorie“ in Österreich (Ennslinie und so weiter) aufrecht ist. Allein daß darüber gasprodhen wird, beweist, malt welchem sträflichen Leichtsinn und Uniernst hierzulande die Angelegenheiten des Gemeinwesens behandelt werden.

Die folgenden Lehren sind zu ziehen:

1. Es hat sich erwiesen, daß Österreich das exponierteste Land

des nichtkommunistischen Europas ist. Darauf hat sich nun die Politik einzustellen. Das gilt wohl auch für die Finanzpolitik, was die Bereitschaft westlicher Kreise zum Kapitalengagement in Österreich betrifft.

2. So viel heute auch über „Krisenmanagement“ gesprochen wird, so wenig kann man behaupten, daß es ein solches in Österreich gibt: weder politisch noch militärisch noch wirtschaftlich — und auch der Bereich des Geistigen darf nicht ausgeklammert werden.

3. Die Tage der Besetzung der CSSR haben offenbar gemacht, auf

wie schwachen Beinen unsere Neutralität steht. Man hat nichts davon gehört, daß die österreichische Diplomatie sofort bei den Signatarmächten des Staatsvertrages vorstellig geworden und eine verbindliche Bekräftigung der Integrität Österreichs verlangt hätte. Hier hätte eine lebhafteste Aktivität — in den Staatskanzleien ebenso wie in der Weltöffentlichkeit — einsetzen müssen. Vor allem wäre es darauf angekommen, dem Westen klar zu machen, daß mit einer Verletzung der Integrität und Neutralität Österreichs der Rubikon überschritten worden wäre, daß sich ein

Jahr 1938 nicht mehr wiederholen dürfe. Denn so sicher dürfen wir uns der Respektierung der Neutralität in einer Zeit, da offensichtlich von einer Seite der Welt ausschließlich militärische, landstrategische Überlegungen vorgeschoben werden, nicht fühlen.

4. Es gibt in Österreich keinen „Mobplan“ für den Krisenfall. Das gilt vor allem für den Bereich der Politik. Die Schwächen unserer Landesverteidigung sind manifest, ihre Ursachen bekannt. Die wirtschaftliche Vorsorge ist — aus Budgetnöten — nicht über Planungen hinausgediehen.

5. Das zwingt zu einem Neuüberdenken des gesamten Komplexes unserer großen, wirklich nationalen Fragen — und zwar hier und heute, unabhängig von Parteiräson und Wahltaktik, ausschließlich geleitet von einer österreichischen Gesinnung.

Der Verfasser fühlt sich der Wirtschaft des Landes zutiefst verbunden. Gerade deswegen möchte er davor warnen, immer wieder den „Vorrang für die Wirtschaft“ zu statuieren. Die Politik ist das Schicksal — im Guten wie im Schlechten. Was zählen da Probleme, wie Wachstum, Strukturverbesserung und so weiter, so wichtig sie im einzelnen sein mögen, wo es um die Existenz eines freien Landes geht. Den Kom- merzial- und den Ökonomieräten muß man ebenso wie den Gewerkschaftsfunktionären in Erinnerung rufen: Wirtschaft, Wohlstand und Lebensstandard bedürfen einer festen politischen ebenso wie einer gesinnungsmäßigen Grundlage! Vor dem großen, welthistorischen Hintergrund dieser Tage wird manches von dem, was uns in ruhigen Zeiten wichtig dünkt, zu einer sekundären Frage. Gerade das böte die Chance, in einer großen Anstrengung österreichische Politik zu machen, die auch der Wirtschaft des Landes — das sind nicht nur die Unternehmer, sondern wir alle — zugute käme. Dazu allerdings gehören Mut und großzügiges Denken, vor allem aber Verzicht darauf, wieder — die Lage hat sich ja „normalisiert“! — die Cliquen und Parteikämpfe in den Vordergrund zu stellen.

Wenige Kilometer von uns hat ein Volk, wie Willy Lorenz treffend schrieb, „das Klischee über eine Nation zerstört, das bisher durch Ressentiments völlig verzeichnet war“. Sollten wir uns von Schwejk beschämen lassen? Man rühmt dem Österreicher Lebenskunst und Leichtigkeit nach, aber schließt das Ernst und Verantwortungsbewußtsein dann; aus, wenn es darum geht, ein Land auch für den Krisenfall bereit zu machen?

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