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Leichte Brise in Warschau

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Hat der kreißende Berg nur di< sprichwörtliche Maus geboren? Fas' scheint es so, wenn man das Kommunique betrachtet, das di< kommunistischen Partei- unc Staatsführer am Ende ihrer Warschauer Beratungen feierlich unterzeichneten. Ein „Prawda“-Leitartike: hätte gewiß auch ohne solche Gipfelkonferenz diese Liste bekannter Vorschläge, Wünsche und Warnunger zusammenstellen können. Das wesentliche Ergebnis dieser Zusammenkunft ist deshalb fast nur derr zu entnehmen, was zwischen der Zeilen des Kommuniques steht — oder was es überhaupt verschweigt

Der Vorrang der Sowjetführung im eigenen Lager beruht heute nichi mehr (wie zu Zeiten Chruschtschows; auf der beherrschenden Persönlichkeit, noch weniger auf ideologischen Formeln, die blinde Gefolgschaft sichern, er gründet vielmehr vor allem auf dem militärischen Gewicht der Sowjetunion als Atommacht. Deshalb bietet heute der politische Ausschuß des Warschauer Militärpaktes eines der wenigen noch brauchbaren Dächer für die sieben Länder des östlichen Bündnissystems. Hier vereinen sich noch am ehesten die Interessen seiner Partner, denen allen an militärischer Entspannung, an Sicherheit in Mitteleuropa, liegt — ganz gleich, ob sie, wie etwa Rumänien,, nichts als ihre Ruhe haben wollen, um eigene Wege zu gehen, oder ob ..sie, auf, Zementierung ihres labilen Status bedacht sind wie etwa die DDR. Wenn aber die Motive der Partner so auseinanderklaffen, dann läßt sich bei aller Gemeinsamkeit im Ziel keine entschlußfreudige oder gar unternehmungslustige Stimmung erzeugen. Und daran schien ganz offensichtlich die Warschauer Tagung zu kranken. Oder gelang es etwa den Sowjetführern aus dieser Not eine Tugend zu machen? Lag ihnen am Ende gerade daran, sich durch ein Maß an Besonnenheit in bestimmten Punkten glaubhaft zu machen — auch gegenüber dem Westen?

Kurz vor der Warschauer Tagung hatte Albanien (das jetzt praktisch aus dem Pakt ausgeschieden ist) die „Windstille“ der sowjetischen Politik heftig gerügt; kaum war die Tinte der Warschauer Unterschriften trok-ken, übernahm Peking diese Polemik. Denn in der Tat: „Wind“ hat es in Warschau nicht gegeben — wenn man darunter eine frische Brise oder gar einen umwerfenden, revolutionären Sturm versteht, wie ihn die Chinesen bevorzugen. „Die grundlegende Entwicklungstendenz in der gegenwärtigen Etappe besteht im Anwachsen der Kräfte, die für die Erhaltung des Friedens eintreten ...“, mit diesen Worten beginnt das Kommunique, und es endet mit der Versicherung, man wolle „mit allen Mitteln zur Entspannung und Abrüstung, zur friedlichen Koexistenz beitragen“. Zwischen diesen Sentenzen befaßt sich das Kommunique mit zweierlei: zuerst mit unverbindlichen Solidaritätsbeteuerungen im Blick auf weit entfernte Krisenherde (Kuba, Vietnam, Kongo, Malaysia), die den Warschauer Pakt als solchen gar nichts angehen, wohl aber mit chinesisch-kommunistischen Ambitionen verquickt sind. Dann folgt eine ausführliche Warnung vor einer Weitergabe von Atomwaffen an die Bundesrepublik, „gleichviel in welcher Form — direkt oder indirekt durch Staatengruppierungen, zur ausschließlichen Verfügung oder in jeder Form der Mitverfügung“. Wiederholt werden in diesem Zusammenhang die bekannten Abrüstungsprojekte, an erster Stelle die Pläne Gomulkas und Rapackls.

Amerika, das Rapacki an einer europäischen Sicherheitskonferenz beteiligen wollte, wird plötzlich nicht mehr erwähnt. Eine Geste gegenüber de Gaulle? Das läßt die Anspielung des Kommuniques auf das Streben der USA „nach militärischpolitischer Hegemonie in Westeuropa“ vermuten. Aber die Grundtendenz des ganzen Dokumentes ist es eben, Türen in allen Richtungen offen zu lassen — oder zu öffnen. Deshalb, wohl zum Kummer Ulbrichts, kein Wort von Berlin und nur sehr allgemein der Wunsch nach „einer deutschen Friedensregelung“.

Die Zeit der Ultimaten ist vorüber. Die Sowjetunion, die Sicherheit im Rücken braucht, und ihre Verbündeten, die eigene Schäfchen ins Trok-kene zu bringen haben — sie drängen an den Verhandlungstisch mit dem Westen. Der Angelpunkt für sie ist Deutschland: Läßt sich vielleicht mit dem Protestschrei gegen atomare Mitspracherechte Bonns westliches Mißtrauen aktivieren — und westliche Neigung zu Sicherheitsgarantien? Zumal jetzt, da Bonn nach einer Deutschlandinitiative seiner Verbündeten ruft, ohne selbst konkrete Sicherheiten (militärische, territoriale) in Aussicht zu stellen? Schon kurz vor der Warschauer Konferenz erinnerte Moskau in seiner nach Washington gerichteten Protestnote gegen den ominösen Atomminengürtel plötzlich wieder an „das Potsdamer und entsprechende andere Viermächteabkommen“; in dieser Note fand sich sogar der erstaunliche Hinweis auf die Bundesrepublik „als Rechtsnachfolgerin des ehemaligen Deutschen Reiches“. Untertöne, die aufhorchen lassen, fanden sich auch im Warschauer Kommunique. Es hütet sich zwar, einen Preis für die deutsche Wiedervereinigung zu nennen und formuliert nur umgekehrt, daß jede atomare Mitverfügung Bonns die Wiedervereinigung ausschlösse.Dann folgt ein Satz, der — vergleicht man ihn mit den starren Positionen der letzten sechs Jahre — auffallend elastisch wirkt: „Nur auf dem Wege der Entspannung und effektiver Vereinbarungen über die Abrüstung in Deutschland und in Europa können Voraussetzungen für die Vereinigung der beiden bestehenden souveränen und gleichberechtigten deutschen Staaten im Sinne der Prinzipien des Potsdamer Abkommens geschaffen werden.“

Wird hier nicht sehr behutsam ein schmaler Verhandlungsspielraum sichtbar gemacht? Eine Möglichkeit, Abrüstungsschritte und die deutsche Frage wieder zusammen auf den Tisch der vier Großmächte zu bringen? Denn zu den „Prinzipien des Potsdamer Abkommens“ gehört nicht zuletzt die Viermächteverantwortung für Deutschland — übrigens auch für seinen militärischen und territorialen Status. In Potsdam war dem Rat der vier Außenminister aufgetragen worden, eine „friedliche Regelung für Deutschland“ vorzubereiten, damit diese „durch die für diesen Zweck geeignete Regierung Deutschlands angenommen werden kann, nachdem eine solche Regierung gebildet sein wird“. Seit 1959 gab es keinen solchen Versuch mehr; damals wähnte Chruschtschow in seinem Berlin-Ultimatum den Hebel zu besitzen, der das Problem der europäischen Sicherheit sozusagen kostenlos aus der Verklammerung mit der deutschen Frage herauswuchten könnte. Heute, nach fast sechs Jahren, hängt die neue Sowjetführung offenkundig nicht mehr dieser Illusion nach.

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