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Digital In Arbeit

Leistung, Sorgen, Vertrauen

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Wieder Ist die Grazer Südostfrühjahrsmesse eine eindrucksvolle Schau über die Leistungen der steirischen Wirtschaft. Die Arbeitnehmer freuen sich über diese Erfolgsbilanz, welche die Steiermark der Öffentlichkeit vorlegen kann, denn es ist wesentlich auch das Werk der Arbeiter, Angestellten und Beamten, das hier zum Ausdruck kommt. Wir durften auch im vergangenen Jahr Rekordproduktionen, Rekordbeschäftigung, Rekordumsätze verzeichnen. Aber als verantwortungsbewußte Funktionäre der Arbeiterbewegung müssen wir gerade in diesen Frühlingstagen des heurigen Jahres davor warnen, den Glanz der Konjunktur, den wir heute noch verzeichnen können, als etwas Selbstverständliches und auf die Dauer Gesichertes zu nehmen.

Österreich, und damit natürlich auch die steirische Wirtschaft, stehen vor der gewaltigsten Strukturänderung, die wir wahrscheinlich seit 1918 erlebt haben. Die Verhandlungen mit der EWG haben begonnen. Die Arbeitnehmer bejahen die Eingliederung Österreichs in den größeren europäischen Markt, weil es eine entscheidende Voraussetzung für die weitere Sicherung des Lebensstandards ist. Ein kleines Land wie unseres, das so sehr von Exporten und Importen abhängt, wäre verloren, wenn es von seinen traditionellen Märkten abgeschnitten würde. Aber die Teilnahme an der Integration wird nicht nur Vorteile bringen, sondern auch manche Opfer kosten. Sind unsere Betriebe in den letzten Jahren so rationalisiert und modernisiert worden, daß sie auf dem europäischen Markt konkurrenzfähig sind? Manche Betriebe ja, viele aber nicht. Wir denken an die ungünstige Betriebsgrößenstruktur in der Steiermark. Was wird mit den hunderten Klein- und Mittelbetrieben geschehen, die sich bisher nur auf Grund des Zollschutzes und der Kartellverträge halten konnten? Wohin mit den tausenden Menschen, die noch heute in diesen Betrieben arbeiten? Mit der Politik des Fortwursteins, wie sie leider vielfach in Österreich immer noch anzutreffen ist, werden wir die Zukunft nicht bewältigen. Wir brauchen ein langfristiges Wirtschaftskonzept. Weite Teile unseres Landes sind bisher noch Stiefkinder der wirtschaftlichen Entwicklung. Im ganzen Grenzgebiet, aber auch im Raum Murau, an der mittleren Enns und anderswo gibt es zuwenig Betriebe und zuwenig Arbeitsplätze. Das Einkommen der Menschen in diesem Gebiet beträgt pro Kopf der Bevölkerung mitunter nur ein Drittel der Kopfquote des Einkommens in den intensiv beschäftigten Industriegebieten. Es wird nicht leicht sein, dort Betriebe anzusiedeln und Arbeiteplätze zu schaffen, aber es muß gelingen, diese Gebiete nachzuziehen. Es gibt Mittel und Wege, ihnen zu helfen, aber nur, wenn alle verantwortlichen Stellen in Bund, Land und Gemeinden an der Lösung des Problems miteinander und nicht gegeneinander arbeiten.

Eine industrielle und gewerbliche Förderung, die das Sterbende stützt, ist fehl am Platz. Was unser Land braucht, sind Betriebe, die in die Zukunft weisen, die nicht das erzeugen, was andere auch erzeugen können. Wir brauchen eine Spezialindustrie und ein hochwertiges Gewerbe. Wir brauchen Arbeitskräfte, die so gut als möglich ausgebildet und imstande sind, Qualitätsarbeit zu leisten und Qualitätswaren auf den Markt zu bringen.

Wir haben in zwanzig Jahren noch nicht einmal alle notwendigen statistischen Unterlagen erarbeitet, die notwendig wären, um sachgerechte Entscheidungen zu fällen. Zu oft wird immer noch in einer sehr einseitigen Propaganda Planung mit Bolschewismus gleichgesetzt. Die steirischen Arbeitnehmer sind aber nicht bereit, auf ihrem Rücken die wirtschaftspolitischen Fehler der verantwortlichen Regierungsstellen auszutragen.

Wir erleben gerade in der Steiermark, wie Infolge der nichtvorhandenen Planung und Koordinierung in der Wirtschaft Produktionsüberkapazitäten geschaffen werden, und niemand weiß jetzt, wohin mit den erzeugten Produkten. Industrien wurden aufgebaut, für die eine entsprechende Rohstoffbasis fehlt. Denken wir nur an die Säigeindustrie, an die Mühlenindustrie und zum Teil auch an die Papierindustrie. Arg ist es auch um die Infrastruktur des Landes bestellt. Wir haben zuwenig Schulen, ein nichtentsprechendes Straßennetz, verkehrsmäßig kaum erschlossene Gebiete, zuwenig Spitäler. Es ist wohl mancher Fortschritt in den vergangenen Jahren erzielt worden. Aber wieviel mehr hätte bei zielbewußtem Einsatz der Mittel geleistet werden können.

Leider wird bei manchen Schwierigkeiten in den Betrieben heute den Arbeitnehmern schon wieder die Antwort von Anno dazumal gegeben: Abbauen, einstellen, zusperren. So wird es sicherlich nicht gehen. Das wichtigste Ziel für die Arbeitnehmer ist auch heute die Erhaltung und Sicherung der Vollbeschäftigung, und zwar nicht nur für den Augenblick, sondern auch für die vor uns liegenden schwierigeren Zeiten. Eine aktive Arbeitsmarktpolitik, die Umschulung von frei werdenden Arbeitskräften, die Berufsweiterbildung und Berufslenkung, die entsprechende Ausbildung von Fachkräften sind die Voraussetzung, daß die Arbeitsplätze auch in Zukunft gesichert werden können.

Ein wohl weit über die Stelmark hinausgehender, hochaktueller Wunsch aller Arbeitnehmer ist die Sicherung der Kaufkraft des Schillings. Die Preissteigerungen haben auch im Jahre 1964 bei weitem das Maß überschritten, daß für die Wirtschaft und die in ihr tätigen Menschen tragbar ist. Manche Preisregulierungen sind unvermeidbar. Wenn sie durch echte Mehrkosten verursacht sind, müssen wir sie als einen Tribut hinnehmen, den wir für die Konjunktur und für die Vollbeschäftigung zu entrichten haben. Aber gegen ungerechtfertigte Preiserhöhungen muß unnachsichtig eingeschritten werden. Wir sind überzeugt, daß ein großzügiger Ausbau der Konsumentenorganisationen die Verstärkung der Konsumentenberatung und der Preisüberwachung vieles zum Guten wenden könnte. Worte sind zuwenig, Taten müssen her. Neben der Konsumentenorganisation gibt es viele andere Mittel, um den mit den Preisen zusammenhängenden Problemen zu begegnen. Wie lange fordern die Arbeitnehmer schon die Senkung der Zölle, eine noch stärkere Liberalisierung und andere wettbewerbsverschärfende Maßnahmen! Man müßte diese Maßnahmen nur rechtzeitig einsetzen.

Wir haben in den vergangenen zwei Jahrzehnten schier unlösbare Probleme bewältigt. Wir glauben, daß wir die große Aufgabe, vor der wir am Beginn des dritten Jahrzehnts der Zweiten Republik stehen, genauso lösen werden, wenn es wieder besser als in den letzten Jahren gelingt, an Stelle einer Politik des Gegeneinander eine Politik des Miteinander zu betreiben. Was wir heute besonders in der Wirtschaftspolitik brauchen, ist Sachlichkeit und Vernunft. Manches wird auch in Zukunft nur im Kompromißweg zu lösen sein, weil in einer pluralistischen Gesellschaft nie einer allein Recht behalten kann. Aber Kompromisse sind nur dann möglich, wenn auf allen Seiten guter Wille vorhanden ist. Die steirischen Arbeitnehmer und ihre Organisationen haben bewiesen, daß sie bereit sind, nicht Unmögliches zu fordern, daß sie Opfer bringen, wenn es sein muß, daß der Ruf nach Verantwortungsbewußtsein und Disziplin von ihnen ernst genommen wurde. Aber die Arbeitnehmer werden sich nur dann auch ia Zukunft zu dieser Haltung bekennen können, wenn sie ein Gleiches von den anderen Wirt-schaftspartnern erwarten können.

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