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Lektion aus Bonn
Die Geschichte ist bekannt. Hermann Bahr hat sie uns in Erinnerung an seine eigene schwarz-rot- goldene Jugend aufgezeichnet. Da erschienen eines Tages alldeutsche Burschenschafter aus Österreich bei ihrem Idol Bismarck in Berlin, um ihm ihre Sehnsucht nach dem Aufgehen Österreichs „im Reich” zu bekunden. Aber der eiserne Kanzler war auch gegenüber diesen Schwarmgeistern eisern. Er empfing sie nicht; mehr noch, er ließ ihnen durch einen engen Mitarbeiter klar und deutlich sagen, wo nach seiner Meinung ihre Aufgaben lägen. Es war ein schwarzer Tag für die Jünger der blauen Kornblume.
Seither ist einiges geschehen. Der mit der Lieblingsblume Bismarcks angetretene radikale Deutschnationalismus feierte unter dem Hakenkreuz Adolf Hitlers seinen Triumph. Er erlebte aber auch unter diesem Zeichen seine größte Katastrophe. Das in den ersten Jahrzehnten nach dem Zusammenbruch des alten Vielvölkerstaates im Donauraum verwirrte und zeitweise orientierungslose österreichische Volk fand zu sich selbst zurück. Die Neutralität seines Staates gab und gibt ihm die Möglichkeit, in neuer Form seine alte von der Geschichte gestellte völkerverbindende Mission zu erfüllen. Dennoch gibt es Kreise, denen dies keine reine Freude macht. Es sind jene, die blind für den Anschauungsunterricht der Geschichte alte Gedankengänge konserviert und nun wieder zeitgemäß abgewandelt und adaptiert unter die Jugend zu bringen versuchen.
Dieser neue Deutschnationalismus greift nicht frontal an. Er „toleriert” die Eigenstaatlichkeit Österreichs. Und das nur auf Widerruf. Bis „Europa” alle Grenzen löscht. Dieser neue Deutschnationalismus, der in der FPÖ trotz der „Liberalisierungsversuche” der letzten Zeit eine parteipolitische Heimstätte hat, aber auch die mittleren Funktionärschichten und einzelne Redaktionen der beiden großen Parteien infiltriert, verliert aber sehr leicht die Contenance, wenn aus der Eigenstaatlichkeit auch eine eigenständige, keinem Nachbarstaat „zugeordnete” Politik erwächst. Alle Masken fallen, wenn jemand, etwa so wie Bundeskanzler Raab seinerzeit, feststellt: „Das österreichische Selbstbewußtsein hat sich — trotz oder gerade infolge der zahlreichen erlittenen Unbillen — bis zu einem eigenständigen österreichischen Nationalbewußtsein gesteigert” (26. Oktober 1955).
Da geht die Hetze los. Neopatriot… Deutschenfeind… Kommunistensöldling… Volksfrontpoli- tiker…So die Vokabeln aus dem einschlägigen politischen Stehsatz. In geistig etwas anspruchsvolleren Schichten werden Kaiser Franz Joseph, Seipel, Kurt v. Schuschnigg bemüht, als wäre die Geschichte in der Zwischenzeit stehengeblieben.
Dieser neue Deutschnationalismus, der nicht aus eigener Kraft, sondern vielmehr aus jener von uns schon einmal als „Gummisohlenpatriotismus” angesprochenen, nur um Wählerstimmen bemühten Haltung politischer Führungskreise seinen Nährboden bezieht, erlebte nun seine schwarze Stunde. Sie schlug in der vergangenen Woche in Bonn.
Bei dem Diner, das der deutsche Bundespräsident zu Ehren seines österreichischen Gastes gab, stand Dr. Lübke auf und sprach an die Adresse von Dr. Schärf:
„Sie können versichert sein, daß Ihr Besuch in Deutschland in der deutschen Öffentlichkeit einen großen Widerhall findet, denn die deutsche Nation fühlt sich durch sehr herzliche Beziehungen mit der österreichischen Nation verbunden und steht dadurch dem österreichischen Staat mit besonderer innerer Anteilnahme gegenüber…” („Wiener Zeitung”, 24. Juni 1964.)
Und einen Tag später sprach der deutsche Bundeskanzler Erhard einen Trinkspruch aus, in dem er versicherte, „daß sich das deutsche Volk der freiheitliebenden österreichischen Nation in der Gesinnung einer gutnachbarlichen Freundschaft, gegenseitiger Achtung und in dem Bewußtsein der gemeinsamen europäischen Aufgabe verbunden fühle”. („Wiener Zeitung”, 25. Juni 1964.)
Diese Worte waren deutlich. So deutlich, daß einige österreichische Zeitungen ihren Lesern nur einen „gemilderten” Text vorsetzten und ein Korrespondent sogar glaubte, Bundespräsident Lübke korrigieren zu dürfen. Seine Worte seien „nicht so programmatisch gemeint”. Man tut eben etwas für eine gewisse Leserschaft…
Die Erklärungen von Bundespräsident Lübke und Bundeskanzler Erhard bringen aber in Wahrheit eine erfreuliche Klarstellung. Sie stehen auf der Höhe der Zeit. Sie können als der Beitrag des offiziellen Deutschland zu verschiedenen Debatten dieses Frühjahrs, die in Österreich mit Berufung auf den deutschen Namen geführt wurden, gelten. In Hinkunft wird es auch nicht möglich sein, jedes klare österreichische Bekenntnis — und ein solches muß konsequent zur Bejahung unserer nationalen Eigenstaatlichkeit und Eigenständigkeit kommen — als „deutschfeindlich” zu denunzieren. Im Gegenteil. Erst dieses schafft die saubere Grundlage für eine nachbarliche Begegnung in echter, dauerhafter Freundschaft.
Das weiß man in Bonn. Es ist hohe Zeit, daß man das überall dort zur Kenntnis nimmt, wo man es bisher an Klarheit hat fehlen lassen.
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