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Lenkung, wo sie not tut

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Die Frage wird häufig erörtert, warum in einer Zeit, die mit aller Kraft danach strebt, die Wirtschaft frei zu machen, gerade in der Milchwirtschaft eine weitgehende Lenkung beibehalten, ja sogar eine gesetzliche Regelung eingeführt wurde. Es fehlt nicht an Stimmen, die im Milchwirtschaftsgesetz einen Rückschritt in planwirtschaftliche Verhältnisse sehen. Dieser Widerstreit der Meinungen ist vor allem darauf zurückzuführen, daß die Doktrinen der freien Marktwirtschaft, vorzugsweise im industriellen Sektor herausgearbeitet und auf diese Verhältnisse abgestimmt, unbedenklich auf die in

ihren Voraussetzungen so gänzlich anders geartete Landwirtschaft übertragen werden. Das betrifft nicht nur die realwirtschaftlichen, sondern ebenso die ideell-weltanschaulichen Grundlagen. Die milchwirtschaftlichen Lenkungsmaßnahmen und das Ausgleichswesen können nur dann richtig verstanden werden, wenn nicht der auf sich selbst gestellte und sich selbst verantwortliche Einzelwirtschaf ter, sondern die gesamte Wirtschaft dieses Produktionssektors als ein in sich geschlossenes organisches Ganzes in Betracht gezogen wird.

Diese auf das Ganze gerichtete Wirtschaftsweise der Agrarproduktion steht

seit eh und je den auflösenden und nach Vereinzelung strebenden Tendenzen des freien Marktes entgegen. Trotzdem unterscheiden sich ihre Leh-kungsmaßnahmen grundsätzlich von den aus der Kriegszeit her bekannten Erscheinungen planmäßiger Bewirtschaftung. Die im Jahre 1945 neugeschaffene milchwirtschaftliche Organisation hat deshalb von Anfang an darauf hingewiesen, daß die ihr damals übertragenen Aufbringungs-, Uber-wachungs- und Verteilungsaufgaben eine Belastung für sie seien, weil sie eine wesentlich andere Zielsetzung habe.

Unter Bewirtschaftung verstehen wir die Summe aller Maßnahmen, die der gerechten Verteilung eines nur beschränkt zur Verfügung stehenden Gutes dienen. Sie haben insofern planwirtschaftlichen Charakter, als sie von einer außerhalb der einzelnen Wirtschaftsbereiche stehenden und bevoll-

mäditigten Instanz angeordnet werden. In ihrer Zielsetzung überwiegt das politische Moment, so daß schließlich wirtschaftliche Maßnahmen Mittel für politische Ziele werden. Ihre Notwendigkeit und Zweckmäßigkeit in Notzeiten soll damit nicht bestritten werden. Weltanschaulich gesehen, gehört die Planwirtschaft ebenso wie ihr freiwirtschaftlicher Antipode dem Individualismus an. Hier wie dort entscheidet das autonome Individuum, hier als Einzelwirtschafter für sich, dort als Kollektivgehirn für die gleichgeschalteten“ einzelnen Wirtschafter.

Beide Extremformen sind für eine landwirtschaftliche Produktion nicht das geeignete Rezept. Ginge im Rahmen einer Planwirtschaft die Eigenständigkeit verloren, würden die mit der liberal* n Vorkehrswirtschaft verbundenen Kris-vn ihren Bestand schwerstens gefährden. Die Milchwirtschaft teilt mit der übrigen Agrarproduktion die hohe Krisenanfälligkeit, die besonders durch zwei Momente verursacht wird: durch den relativ hohen Anteil der fixen Kosten und durch die Unsicherheit des Ertrages. Der von so vielen Imponderabilien innerhalb der lebendigen Natur beeinflußte landwirtschaftliche Produktionsprozeß bringt es mit sich, daß der Landwirt nicht mit Höchsterträgen, sondern bestenfalls mit Durchschnittserträgen rechnen kann. So kommt es, daß der Segen einer guten Ernte durch Überhöhung des Angebotes und dadurch ausgelösten Preisverfall wirtschaftlich ins Gegenteil ausschlagen kann. Der alte Kapitalismus reagierte

bekanntlich auf solche Ereignisse durch die Vernichtung zum Beispiel von Welzen oder Kaffee im größten Ausmaß. Diese natürliche Krisenanfälligkeit ver-

schärft sich bei der Milchwirtschaft deshalb, weil es sich hier um die tägliche Ernte eines in seinem Naturzustand nicht stapelfähig und jahreszeitlich in verschieden hoher Menge anfallenden Gutes handelt. Kommt es dadurch zwangsläufig zu Produktionsspitzen und Überangeboten, so liegt aber gerade in der Kontinuität der Produktion das ganze Jahr hindurch die einkommensmäßige Bedeutung der Milchwirtschaft für den Landwirt. Dazu kommt, daß wir bei der Verwendung der Milch unterscheiden müssen zwischen Trinkmilch, die zum Genuß, und Werkmilch, die für die Verarbeitung zu Butter, Käse usw. bestimmt ist. Wir haben aber nur einen Marktür Trinkmilch einerseits und Molkereierzeugnisse andererseits, nicht aber für Werkmilch, deren Preis allein durch die auf dem Markt erzielbaren Preise für Butter, Käse usw. bestimmt ist. Die Preise für Butter, Käse usw. sind aber durchwegs so, daß aus ihnen die Produktionskosten der Werkmilch, die für den Bauern die gleichen sind wie für die Trinkmilch, nicht gedeckt werden können. Ohne eine Lenkung des Milchstroms besteht deshalb eine dauernde Tendenz der Werkmilch zum Trinkmilchmarkt, die dort zwangsläufig Übersetzung und Preisverfall hervorruft.

Damit ist das Problem der Milchwirtschaft aufgezeigt, zu dessen Lösung die Lenkung und das Ausgleichswesen dienen. Der Milchausgleichsfonds ist das finanaielle Rückgrat der Milchwirtschaft. Seine Funktion besteht im Prinzip darin, au den von allen Molkereien und Käsereien eingezahlten Ausgleichsbeiträgen insbesondere die Erzeugung von Molkereiprodukten in dem Ausmaß durch Zuschüsse zu stützen, daß diese Betriebe troti der ungünstigeren Verwertung der Werkmilch an alle Lieferanten den einheitlichen Milchpreis auszahlen können, ohne dadurch illiquid zu werden. Die Mittel des Ausgleichsfonds repräsen-

Ue.en somit einen Teil der Unkosten der gesamten Milchwirtschaft, die hier im Fonds gesammelt werden, um nach Maßgabe des unterschiedlichen Anfalles in den einzelnen Betrieben wieder zur Gänze in die Milchwirtschaft zurückzufließen. Die Garantie des einheitlichen Milchpreises durch den Aüsgleichsfonds ermöglicht es, den Drang der Werkmilch zum Trinkmilchmarkt einzudämmen. Der Verdacht, daß dadurch der Konsumentenpreis künstlich hochgehalten werden könnte, ist deshalb unbegründet, weil die Milchwirtschaft nicht nur produzieren, sondern auch verkaufen will und deshalb von sich aus den Konsumentenpreis möglichst niedrig zu halten interessiert ist. Die Lenkung ist vielmehr in den Dienst der Produktivitätssteigerung gestellt. Durch die Milcheinzugs- und Versorgungsgebiete der Molkereien werden überflüssige Transportwege und die ansonsten bei der ungeregelten Konkurrenz mit einem so leicht verderblichen Produkt wie die Milch unvermeidlichen Substanzverluste ausgeschaltet. Nur so konnte die österreichische Milchwirtschaft mit einer in ganz Europa als beispielhaft anerkannten Spanne zwischen Produzenten- und Konsumentenpreis auskommen. Durch den Transportausgleichsfonds ist außerdem auch ein einheitlicher Verbraucherpreis für Milch und Molkereierzeugnisse ermöglicht worden. Ohne diese Einrichtung wäre die Milch in den Städten, die wie zum Beispiel Wien, zu ihrer Versorgung namhafte Mengen aus großen Entfernungen zugeführt erhalten müssen, ungleich höher als in solchen Siedlungen, wo der gesamte Milchbedarf buchstäblich vor den Toren gewonnen wird. Dieser Fall zeigt besonders deutlich, daß durch die milchwirtschaftliche Lenkung und das Ausgleichswesen nicht nur der ländliche Produzent, sondern auch der großstädtische Verbraucher Nutzen hat.

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