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Letzte Chance: Volksbegehren

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In der 4. Sitzung der“ konstituierenden Nationalversammlung lag ein Gesetzentwurf vor, der die Einführung der Volksabstimmung bei künftigen Aenderungen der Verfassung ankündigte. Der Abgeordnete Dr. Ignaz Seipel erklärte dazu: „Zum erstenmal wird der Ausdruck vom Volksreferendum, unmittelbare Volksabstimmung, eingeführt. Es wird verfügt, daß in der von der konstituierenden Nationalversammlung zu beschließenden endgültigen Verfassung, Verfassungsänderungen der Volksabstimmung zu unterwerfen sind (Volksreferendum) und daß in dieser Verfassung die Bedingungen sowie das Verfahren für die Volksabstimmung näher zu regeln sind. Es ist das die beste und größte Sicherung der demokratischen Errungenschaften, die wir uns denken können. Wir nehmen an, daß in der künftigen Verfassung die unmittelbare Volksabstimmung auch bezüglich anderer wichtiger Punkte ihren Platz finden wird.“ (I. Seipel, Der Kampf um die österreichische Verfassung, S. 69 bis 70.) Dr. Seipel brachte damit zum Ausdruck, was in dieser Zeit eine allgemeine Forderung war. Die Erinnerung an die Parlamente der Monarchie war nicht die beste. Der Gedanke, zur unmittelbaren Demokratie überzugehen, wurde daher besonders von der Christlichsozialen Partei erhoben. Die Sozialdemokraten hatten sich absolut auf die parlamentarische Demokratie festgelegt und fürchteten die Volksabstimmung, insbesondere in Hinsicht auf die Frage der Staatsform. Wie stark die Christlichsozialen für die unmittelbare Demokratie eingenommen waren, bewiesen die Landesverfassungen von Tirol, Vorarlberg und Salzburg, wo auch für den Landesbereich Volksabstimmungen in sehr weitgehendem Maße vorgesehen wurden.

Die Bundesverfassung aus dem Jahre 1920 hat dann tatsächlich den Gedanken der unmittelbaren Demokratie in unsere Verfassung eingebaut. Volksbegehren sollten dem Bundesvolk die Initiative zur Gesetzgebung, Volksabstimmungen die letzte Entscheidung in wichtigen Gesetzgebungsakten überantworten. Die Durchführungsgesetze hierfür ließen allerdings geraume Zeit auf sich warten. Erst unter der Regierung Streeruwitz erledigte der Verfassungsausschuß unter dem Vorsitz Dr. Seipels am 26. Juni 1929 das Bundesgesetz über Volksabstimmungen. Die Sozialdemokraten hatten sich mittlerweile mit dem Einbau der unmittelbaren Demokratie in unsere Verfassung abgefunden, ließen die Durchführungsgesetze zustande kommen und gingen mit einem Antrag, den der Abgeordnete Sever stellte, einen Schritt weiter. Dieser Antrag forderte, daß vom Nationalrat gefaßte und vom Bundesrat keinem Einspruch, der

nocn wirksam wäre, unterzogene, also kundmachungsreife Gesetzesbeschlüsse nicht nur dann der Volksabstimmung zu unterwerfen seien, wenn, wie es Artikel 43 Bundesverfassungsgesetz bestimmt, der Nationalrät es“ beschließt oder die Mehrheit der Mitglieder des NatlÖrialrätlses1 verlangt, „sondern auch schon, wenn eine qualifizierte Minderheit es verlangt.“ (Seipel a. a. O. S. 140.) Diesem Verlangen der Opposition, gegen das Parlament an das Volk appellieren zu können, wurde nicht stattgegeben.

Es bleibe dahingestellt, ob dies richtig war. Vielleicht hätte die politische Entwicklung eine glücklichere Bahn gefunden, wenn die Demokratie der Ersten Republik ein solches Ventil besessen hätte.

Die Gegner der unmittelbaren Demokratie verweisen gerne auf die angeblich schlechten Erfahrungen, die man mit ihr in der Schweiz gemacht

habe. Dort sei es vorgekommen, daß lächerliche Minderheiten einen Volksbeschluß mit Stimmenmehrheit herbeiführten, weil nur ein Bruchteil dfciSrirnmberechtigten an der Abstimmung teilnahm. Wer über die Schweizer Verhältnisse so redet, stellt unter Beweis, daß er sie nicht kennt oder nicht zu beurteilen versteht. Wenn es vorgekommen ist, daß an einer Abstimmung nur 34 Prozent der Stimmberechtigten teilgenommen haben und hierbei die geringe Mehrheit von 18 Prozent erreicht wurde, so beweist das nur, daß der Gegenstand dem Schweizer Volk so gleichgültig war, daß es eine Beschäftigung des Volkes mit der Sache nicht wünschte und sich die Antragsteller vergriffen haben.

In Oesterreich haben bekanntlich im Jahre 1951 OeVP'Abgeordnete einen Antrag eingebracht, der insbesondere das Volksbegehren wesentlich ausbaute und dem Volk unter be-

stimmten Voraussetzungen die Gesetzgebung selbst übertrug Nach Neuwahl des Hauses wurde dieser Antrag im Jahre 195 3 wiederholt. Keiner dieser Anträge kam jemals zur parlamentarischen Behandlung. Sie scheiterten am Widerstand der Sozialisten. Erst als die OeVP auf der in ihnen enthaltenen Verfassungsänderung nicht mehr bestand, wurde die Frage Volksabstimmungs- und Volksbegehrensgesetz wieder aktuell. In der Ersten Republik wurde, wie schon angedeutet, von beiden Gesetzen niemals Gebrauch gemacht. Daraus hätte man lernen müssen. Es ist nicht geschehen. Das Volksabstimmungsgesetz 195 8 ist ein getreuer Abklatsch des Gesetzes aus dem Jahre 1929. Es wird gleichfalls auf dem Papier bleiben.

Und doch hätten einige wenige Verbesserungen genügt, um daraus eine lebende Institution unseres Verfassungslebens zu machen. Man hätte bloß klarstellen müssen, was Gegenstand der Volksabstimmung sein kann, sowie was nicht durch Volksabstimmung erledigt werden darf, weil es sich seiner Natur nach nicht dazu eignet. Weiter hätte dafür gesorgt werden müssen, daß niemand die Volksabstimmung zu scheuen hat, weil er Gefahr läuft, Opfer einer durch Demagogie und Indolenz erzeugten Zufallsmehrheit zu werden. Das Volksabstimmungsgesetz hätte ein entsprechendes Quorum der Abstimmungs-

beteiligten festsetzen müssen und bestimmen, daß Volksbeschlüsse nur zustande kommen, wenn sie tatsächlich von der Mehrheit des Bundesvolkes — den Ausdruck im strengen juristischen Sinne gebraucht — getragen sind. Was an den Schweizer Abstimmungen kritisiert wird, ist ja eben, daß sie dieser wichtigen Voraussetzungen entbehren. Der Einwand, solche Normen würden eine Abstimmungspflicht statuieren, ist nicht gerechtfertigt. Denn, wenn schon? Die Demokratie ist kein Faulbett; wählen und abstimmen sind nicht

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